Montag, 06.01.2020 / 14:45 Uhr

Zum Tod Soleimanis: Ungeplanter Betriebsunfall des Superhelden

Von
Oliver M. Piecha

Gegen anti-iranische Proteste setzte Soleimani auf brutale Gewalt, bis sich niemand mehr zu demonstrieren traut. Sein eigener Tod war dabei nicht vorgesehen.

 

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(Auch im Tod vereint: Qassem Soleimani und Abu Mahdi al-Muhandis; Quelle: Hossein Velayati/CC BY 4.0)

 

Die notorische pro-Assad-Twitter-Aktivistin Rhania Khalek hat den Tod Qassem Soleimanis und seines wichtigsten irakischen Untergebenen, des Milizkommandeurs Abu Mahdi al-Muhandis, durch eine amerikanische Kampfdrohne in einen gewagten Vergleich gepackt: „Äquivalent wäre der Schock, wenn der Iran Abraham Lincoln, George Washington und Captain America alle auf einmal aus dem Weg geräumt hätte.“

Qassem Soleimani hätte Donald Trump einfach nicht mit Szenen konfrontieren dürfen, die ihn an das Schicksal der Präsidentschaft von Jimmy Carter und an die Geiselkrise von 1979 erinnern mussten.

Als Propagandistin des „Resistance Camps“ sitzt ihr der Schock ganz tief in den Knochen, schließlich befände sich ihr Auftraggeber und Idol Baschar Al-Assad ohne die rettende Hilfe Qassem Soleimanis heute wo auch immer, jedenfalls nicht mehr im Präsidentenpalast von Damaskus. Aber gelindes Entsetzen und nachhaltige Irritation über die Tötung Soleimanis waren tatsächlich überall spürbar, selbst bei hartgesottenen Nahostbeobachtern.

Dieser Tod war im Plan nicht vorgesehen

Seit langem hat keine Nachricht aus der Region mehr für solche Beunruhigung gesorgt. Die New York Times sprach von „einer tektonischen Plattenverschiebung in der Politik des Nahen Ostens“, für den Guardian drohte der Tod Soleimanis „ein grausiges neues Kapitel im Nahen Osten“ zu eröffnen. In Deutschland sprudelten die – wenn es um den Iran geht – immergleichen abgenutzten Warnhinweise hervor wie die Einblendungen in einer Dauerwerbesendung: Gewaltspirale, Eskalation, jetzt müsse man dringend reden und auf Diplomatie setzen. Der deutsche Nahostspezialist Tobias Schneider brachte die Schwierigkeit, den Tod Soleimanis angemessen zu kommentieren, auf den Punkt, als er bemerkte, es läge nicht an mangelnden Informationen, sondern am Verlust des Bezugsrahmens.

Es war einfach nicht vorgesehen, dass es Qassem Soleimani, diesen Herren über Leben und Tod, der seit über zwei Jahrzehnten die dunkelsten und blutigsten Affären des Nahen Osten dirigierte, jemals persönlich treffen könnte, zumal im vollen Rampenlicht der Weltöffentlichkeit durch eine amerikanische Rakete. Das hat der Generalmajor der Revolutionsgarden wohl selbst so gesehen, sonst hätte er nicht vor seinem Tod einen Linienflug von Damaskus nach Bagdad bestiegen.

Qassem Soleimani scheiterte an den Folgen des Arabischen Frühlings 2.0.

Soleimani, den die Israelis, wie es beharrliche Gerüchte haben wollen, schon vor Jahren ausschalten wollten, dies aber auf Bitten der Amerikaner unterlassen mussten, agierte in der Ära Obama beim Kampf gegen den IS im Irak zeitweise sogar mit Rückendeckung der US-Luftwaffe. Seitdem er im Zuge des Krieges in Syrien aus seinem langen geheimnisumwitterten Schattendasein herausgetreten war, wurde er mit seinem Silberbart zur Ikone. Wenn man wissen wollte, auf welchen Kriegsschauplätzen er gerade unterwegs war, musste man nur den geposteten Handybildern seines begeisterten schiitischen Kanonenfutters folgen. Soleimani war nicht der General im Bunker, er gefiel sich bei Frontbesuchen. Aber er wurde irgendwann zu groß, um einfach ausgeschaltet zu werden. In der wahren Machthierarchie der Islamischen Republik war Soleimani möglicherweise bereits die Nummer Zwei hinter dem Revolutionsführer, jedenfalls waren es dieser Mythos und die von ihm eingefädelte iranische De-facto-Herrschaft im Irak, in Syrien und im Libanon, die ihn schützte.

Eine letale Fehleinschätzung

Mit dem zweitägigen Happening vor der US-Botschaft in Bagdad unterlief aber eine Fehlkalkulation. Vielleicht war es ein Fall von Betriebsblindheit des zu routinierten Nahosttaktikers. Die für die Medien so gekonnt inszenierte symbolische Aktion war natürlich ein voller Erfolg. Zwei Tage lang hämmerten wütende schiitische Kämpfer auf Panzerglasplatten ein, zündeten Feuer an, beschmierten Wände. Die belagerte US-Botschaft wurde zur Kulisse für das Schaulaufen iranischer Unterfeldführer wie jenes Abu Mahdi al-Muhandis, der dort seinen letzten großen Medienauftritt hatte. Soweit lief das alles nach Plan.

Es ist eben doch nur die immergleiche Antwort des alten Nahen Ostens gewesen: Gewalt und notfalls Krieg, bis vor lauter Leichenbergen niemand mehr Demonstrieren geht

Allerdings steht mit Donald Trump gerade ein arg umstrittener amerikanischer Präsident im Vorwahlkampf, dem man nachsagt, emotionale und manchmal nicht recht konsistente Entscheidungen zu treffen, und der bekannt dafür ist, auf Stimmungen und Medienbilder stark zu reagieren. Qassem Soleimani hätte Donald Trump einfach nicht mit Szenen konfrontieren dürfen, die ihn an das Schicksal der Präsidentschaft von Jimmy Carter und an die Geiselkrise von 1979 erinnern mussten. Ein Obama hätte das weggesteckt, weggesehen, sich zum Schluss noch lächelnd entschuldigt – aber Donald Trump sicher nicht.

Auf die schrillen Drohungen aus Teheran reagierte er konsequent: 52 Ziele seien im Iran vorgemerkt, sie stünden für die 52 Geiseln, die der Iran „vor vielen Jahren“ genommen habe. Trump versteht Symbolpolitik, er ist keineswegs geschichtsvergessen und er weiß, seine Wähler zu bedienen. Trump agiert instinktiv, und das bremst die Machthaber in Teheran auf ungewohnte Weise aus. Die Islamische Republik Iran, die seit ihrer Gründung vor vierzig Jahren – mit Hilfe eben dieser Geiselaffäre als konstitutivem Akt  –  für ihre westlichen Zuschauer und Adressaten gezielt das Image des unkontrollierbaren, jähzornigen Kindes pflegt, das mit kalkulierter Brechung von Tabus und Grenzen seine Umgebung terrorisiert, kommt mit der Idiosynkrasie eines Donald Trump einfach nicht zurecht. Man kann den Verdacht haben: Er kann das fast besser als die in Teheran.

Ein erstes großes Fragezeichen hinterließ die amerikanische Meldung, Soleimani sei ein „target of opportunity“ gewesen, auch wenn man schnell nachschob, dass der Iraner gerade bei der Planung großer Anschläge gegen Amerikaner zugange gewesen sei. Natürlich war er das, er war das seit Wochen, wenn nicht Monaten, er war das die meiste Zeit seines Lebens. Die Meldung einer Journalistin der New York Times unter Berufung auf interne US-Quellen besagt, dass Qassem Soleimani von Trump erst nach den Angriffen auf die US-Botschaft kurzfristig als Ziel ausgewählt worden sei. Beim Angriff selbst soll noch nicht einmal klar gewesen sein, dass sich auch Abu Mahdi al-Muhandis in dem Fahrzeug befunden habe. In den USA hat die Diskussion um Donald Trump die Auseinandersetzung um die realen Umstände und Folgen von Soleimanis Tod allerdings längst überlagert.

Griff in die nahöstliche Mottenkiste

Im Grunde wollte Soleimani diesmal gar nichts von den USA selbst. Die Raketenangriffe auf US-Basen, das Zurückschlagen der USA, die Belagerung der Botschaft als Vergeltung, und so weiter und so weiter, das hätte man noch ein bisschen länger betreiben können. Soleimani ist nicht etwa durch die nun allerorten beschworene „Eskalation“ zwischen den USA und dem Iran zu Tode gekommen.

Ein nicht unplausibler Bericht von Reuters schildert Details einer Krisensitzung mit Qassem Soleimani, Abu Mahdi al-Muhandis und anderen irakischen Milizbefehlshabern, die im Oktober in Bagdad stattgefunden haben soll. Der Kernpunkt: Soleimani befahl Angriffe auf amerikanische Basen, um militärische Gegenschläge zu provozieren, die Stimmung gegen die Amerikaner machen sollten. Im Süden des Irak wie in Bagdad versuchte die irakische Regierung da gerade verzweifelt, die Demonstrationen schiitischer Iraker einzudämmen, deren unbändige Wut zwei Zielscheiben kannte: das unfähige irakische politische Establishment und den Einfluss des Iran. Den wiederum nichts und niemand so prominent verkörpert hat wie Qassem Soleimani selbst.

Rund um den 40. Jahrestag der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran wurde Anfang November wieder eine diplomatische Vertretung angegriffen – aber diesmal das iranische Konsulat in einer der heiligen Städte der Schiiten, in Kerbela – und noch dazu von Schiiten. Ein Gau für die Iraner, ein Problem, das Soleimani lösen musste. Er inszeniert also eine weitere, eine Gegenkrise. Und das mit dem Verbrennen von amerikanischen und israelischen Fahnen hatte doch vierzig Jahre lang so schön funktioniert. Jedenfalls kurzfristig ist Soleimani damit auch erfolgreich gewesen, nur führte dieses oft erprobte Manöver dieses Mal zum unerwarteten Tod seines Masterminds –  war es also ein weiterer genialer Schachzug eines verschlagenen Strategen oder nicht doch eher ein Betriebsunfall?

Eine direkte Konfrontation wollen beide Seiten weiter vermeiden.

Der Iraner hat viele Jahre seines Lebens gegen die Amerikaner gekämpft, er hat gegen Jihadisten und syrische Rebellen gekämpft, gegen Israel sowieso immer, und was ihn umgebracht hat, waren amerikanische Raketen. Qassem Soleimani scheiterte an den Folgen des Arabischen Frühlings 2.0. Denn gegen die Menschen, die aus Verzweiflung über ihre kaputten Staaten und korrupten Machthaber auf die Straße gehen, kannte er nur eine einzige Antwort. Er setzte sie immer wieder geschickt ein, aber es ist eben doch nur die immergleiche Antwort des alten Nahen Ostens gewesen: Gewalt und notfalls Krieg, bis vor lauter Leichenbergen niemand mehr Demonstrieren geht.

Was passiert jetzt? Nichts, was nicht sowieso geschehen hätte können

Was wird also jetzt passieren? Geht es nach den Überschriften, die man aktuell in zuhauf lesen kann, dann „müssen“ die Iraner zurückschlagen. Soleimanis Nachfolger hat auch schon verlauten lassen, demnächst seien überall im Nahen Osten die Körper toter Amerikaner zu finden. Was soll er auch sagen, er sagt das, was alle denken, dass er sagen muss.

„Krieg“ herrscht im Nahen Osten freilich sowieso. Das neue Jahr hat im syrischen Idlib mit Bombardierungen und toten Kindern begonnen, aber das ist vermutlich allen ziemlich egal, die, wie der praktisch recht machtlose iranische Außenminister, wegen Qassem Soleimanis Tod von einem Bruch des Völkerrechts zu fabulieren.

Noch besser ist der Witz von der angeblich verletzten irakischen Souveränität – immerhin hat es mit Abu Mahdi al-Muhandis auch den Anführer einer Miliz getroffen, die offiziell zwar Teil der irakischen Streitkräfte ist, sich aber offen dazu bekannt hat, sich als stolze Soldaten Soleimanis zu fühlen und dem iranischen Revolutionsführer ihre Reverenz als Führer der Rechtgläubigen zu erweisen. Weniger an irakischer Souveränität als das geht fast nicht mehr.

Was jedenfalls klar ist: Eine direkte Konfrontation wollen beide Seiten weiter vermeiden. Dass etwas ungeplant aus dem Ruder läuft, ist immer möglich. Aber diese reale Gefahr einer Eskalation war auch schon vorher gegeben. Man denke nur an die brennenden Öltanker und den Raketenangriff auf die größte Ölförderanlage Saudi-Arabiens im vergangenen Jahr, die selbstverständlich eine „Eskalation“ zur Folge hätten haben können. Viel spricht dafür, dass nun nichts passieren wird, was sonst nicht auch passiert wäre.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch