Sonntag, 16.02.2020 / 10:36 Uhr

Erfrieren in Syrien

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Laut UN haben russische, iranische und syrische Truppen in den vergangenen Monaten über 800.000 Menschen in der Provinz Idlib in Nordwestsyrien gezielt in neue Flüchtlinge verwandelt. Dies sei die schlimmste Katastrophe dieses Krieges, heißt es sogar.

In Idlib herrschen zur Zeit winterliches Temperaturen, es liegt Schnee und ein Unterkommen gibt es für die neu Vertriebenen in der Regel nicht. Glücklich kann sich schätzen, wer irgendwo noch ein Platz in einem Zelt findet.

Und so kommt, was kommen muss: Die ersten Kältetoten sind zu beklagen, vor allem Kinder.

Wer mag und die Nerven dafür hat, sollte sich diese Reportage der BBC aus einem der provisorischen Flüchtlingslager anschauen.

Der syrische Oppositionelle Ghazwan Assaf, der inzwischen in Deutschland lebt, versucht, das Elend, das sich gerade in Idlib abspielt, auf seine Art zu verarbeiten.

Er hat vorgestern dieses Bild gemalt, nachdem er von einer der vielen Tragödien hörte.

„Heute Morgen trug ein syrischer Vater seine eiskalte Tochter aus ihrem Zelt und ging zwei Stunden lang, um ein Krankenhaus zu finden. Er ging seit 5 Uhr morgens bei eiskalten Temperaturen, um zu versuchen, ihre Hilfe zu bekommen. Als sie ankamen, sagten ihm die Ärzte, sie sei vor einer Stunde gestorben. . .“

Bild könnte enthalten: eine oder mehrere Personen

Entsetzt fragen dieser Tage viele: Was kann man tun?

Nun, es ist nicht viel. Vielleicht ein paar weitere Euro spenden für diejenigen, die versuchen in der Katastrophe noch irgendetwas zu tun.

Vielleicht irgendeine Petition unterzeichnen, die so folgenlos bleiben wird, wie die Dutzend anderen Petitionen zuvor.

Oder sich daran erinnern, dass was jetzt passiert, nie hätte passieren dürfen und es ein Einfaches gewesen wäre, es zu verhindern. Vor zwei Jahren schrieb ich an dieser Stelle:

„Als der Massenprotest in Syrien sich 2012 langsam in einen Bürgerkrieg verwandelte und syrische Truppen regelmäßig und wahllos in friedliche Demonstrationen schossen und begannen, Tausende zu töten; als absehbar war, dass Assad bereit war, alle Gebiete außerhalb seiner Kontrolle in Ruinenlandschaften zu verwandeln, baten die syrische Opposition und die Free Syrian Army die USA und Europa um Einrichtung einer „No Fly Zone“ über Nord- und Südsyrien, vor allem um die dortige Zivilbevölkerung vor Faßbomben zu schützen. Man forderte die Errichtung von Schutzzonen für die Zivilbevölkerung, für Binnenflüchtlinge und die Opposition:

„‚Was wir jetzt sofort brauchen, ist eine Flugverbotszone. Wir müssen die Angriffe der Drohnen und Hubschrauber unterbinden’, so Sakka. ‚Ohne Unterstützung aus der Luft und schwere Artillerie kann das Regime sich nicht behaupten. Die Situation hat sich in mehrfacher Hinsicht verändert. Die Kampfflieger sind nicht in der Lage, ausschließlich die Freie Syrische Armee anzugreifen. Sie treffen lediglich das nächstbeste Ziel. Dadurch kommt es zu vielen Toten und Verletzten, die mit dem Kampf nichts zu tun haben, darunter zahlreiche Kinder, Frauen und Alte.’“

Damals, im August 2012, standen noch die meisten Städte in Syrien, lebten noch die meisten jener, die später auf vielfältige Art und Weise zu Tode kamen, gab es noch keine Flüchtlingskrise und spielten Jihadisten noch so gut wie keine Rolle. Bekanntermaßen weigerten sich Obama und die Europäer, diesen Schritt zu gehen. Die Folgen sind hinlänglich bekannt. Eines der Argumente, dass man damals zu hören bekam, lautete: eine „No Fly Zone“ über Syrien sei militärisch problematisch, da das Land über eine hochmoderne und effiziente Flugabwehr verfüge. Sechs Jahre später hat die Israeli Defense Force gezeigt, was von diesem Argument zu halten war. Wie so viele andere, die lediglich angeführt wurden, um weiter untätig zu bleiben und Assad an der Macht zu lassen, war es ganz offenbar vorgeschoben.“

Das schlimme ist nicht nur, dass vor aller Augen jetzt Kinder erfrieren, sondern dass sie nicht erfrieren, weil sie Opfer einer Naturkatastrophe geworden sind, sondern neun lange Jahre nichts unternommen wurde, nichts, damit sie heute nicht erfrieren müssen.

Es wird in den nächsten Tagen und Wochen genau so weitergehen und es wir genau so weiter nichts geschehen wie bisher.