Montag, 08.06.2020 / 16:15 Uhr

Warum Trauern schwer ist

Von
Murat Yörük

 

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Die gelöste Heiterkeit, und zwar sich an den Trauerkundgebungen anlässlich des grausamen Todes von George Floyd abzuarbeiten, offenbart in mehrfacher Hinsicht die Unfähigkeit so mancher zu trauern: Entweder wird stark rationalisierend auf Coronamaßnahmen verwiesen, die Kundgebung als solche angegriffen und ausgeblendet, dass Trauer, Verlust und Angst zusammengehören, mit und ohne Corona; sodann wird Hautfarbenrassismus verharmlost, zur lediglichen statistischen Größe minimiert, relativiert, beschönigt oder sogar verleugnet; oder es findet ersatzweise - ebenso rationalisierend eine grundsätzliche Kritik an BLM statt, als ob es keine anderen Anlässe gäbe, sich an dieser fragwürdigen Bewegung abzuarbeiten.

Die Brutalität und die Grausamkeit des bestialischen Todes von Floyd wiederholt sich sodann im reaktiven Charakter, der zu Mitgefühl und Trauer offensichtlich nicht in der Lage ist. Während einige Weiße aus bewußter Schuld - weshalb auch immer - auf die Knie gehen, und um Absolution bitten, reagieren andere Weiße im Verharren auf ihrer unbewußten Schuld mit dreister Schuldabwehr, obwohl es keinen Grund dazu gäbe, sich ausgerechnet als ein doch schuldfreier Weißer für die Tat eines Einzelnen schuldig zu fühlen.

Beide Charakterformen sind jedoch Formen menschlicher Destruktivität, denn zum Verständnis solcher Phänomene wie Grausamkeit und Verlust - insbesondere durch Polizeigewalt - wird der reaktive Charakter nicht führen. Deshalb kulminiert das Abarbeiten am kritikwürdigen Antirassismus in diesen Tagen zur Präventivparanoia: Man könnte vom Antirassisten oder BLM-Aktivisten als Rassist entlarvt oder bezichtigt werden. So wird aus Angst vor einem Rassismusvorwurf auf das Nachdenken über Erfahrungen von Rassismus, die Schwarze machen verzichtet; stattdessen wird dreist zur angriffslustigen Ironie und Polemik übergegangen. Antirassismus ist gaga, BLM ist gaga, ich darf ja wohl noch Neger sagen...

Der Schatten eines toten Schwarzen fällt jedoch auf das Ich des Weißen, der panikartig entweder in die Knie geht oder erregt sich verteidigend in Stellung bringt. Damit wird aber Trauer und Mitgefühl verunmöglicht, denn das Changieren zwischen der Identifizierung mit einem toten Schwarzen und die Ent-Identifzierung mit ihm sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Schließlich haftet dem Verlustgefühl, der Trauer über das verlorene Objekt ein "Vorgeschmack des Todes an, denn es ist die libidinöse Reaktion auf die Sogwirkung des Todes", wie Adrian Stokes einmal schrieb. Deshalb ist Trauern wohl auch so schwer, so schmerzhaft.