Allein mit der Mafia

Die Nachfolger von Zoran Djindjic jagen die »patriotische Mafia«. Aber deren Geschäfte werden von einem anderen Clan übernommen. Und der ist regierungstreu. von alexander jovanovic, belgrad

Predrag Milovanovic steht vor dem qualmenden Trümmerhaufen in der Silerova-Straße im Belgrader Vorort Zemun und murmelt ärgerlich vor sich hin. »Dieses Superhaus hätte man auch für etwas Vernünftiges nutzen können.« Jetzt ist es zu spät. Der vierstöckige Gebäudekomplex, ein luxuriöser Neubau aus den neunziger Jahren, ist nur noch ein Berg aus Schutt und zerbrochenem Glas. Nach zwei vergeblichen Versuchen gelang es den Sprengmeistern der Belgrader Polizei in der vergangenen Woche, die richtige Dosis Dynamit am richtigen Ort zu platzieren. Das Hauptquartier des mit Teilen des Sicherheitsapparates verbundenen mafiösen Zemun-Clans, der für die Ermordung des serbischen Premierministers Zoran Djindjic verantwortlich sein soll, fiel krachend zusammen.

Milovanovic ist ein Nachbar, der sich die Szene neugierig anschaute. Er bleibt trotz des spektakulären Abrisses skeptisch. »Die wollen jetzt Wind machen und der Welt zeigen, wie toll sie gegen die Mafia kämpfen«, kommentiert der Rentner die Explosion. »Aber im Grunde stecken sie doch alle unter einer Decke.« Eine in Serbien weit verbreitete Einschätzung.

Umso heftiger versucht Djindjics Nachfolger, Zoran Zivkovic, seit dem Mord vor drei Wochen zu beweisen, dass er es ernst meint mit dem Kampf gegen die »patriotische Mafia«, jenes eigentümliche Amalgan aus kriminellen Organisationen, Sicherheitskräften und Vertretern des Staatsapparates. In ihren Reihen finden sich Drogenbarone ebenso wie mutmaßliche Kriegsverbrecher und Spezialpolizisten mit politischen Ambitionen.

Bisher wurden über 3 500 angebliche Kriminelle vorübergehend festgenommen und verhört. Rund tausend von ihnen bleiben vorerst in Haft. Zwei Hauptverdächtige wurden von den Fahndern erschossen. Die Säuberung ist nicht kosmetisch, wie zunächst viele vermutet hatten, sondern zielt tatsächlich auf den Kern des kriminell-institutionellen Komplexes in Serbien.

Der in der vergangenen Woche verhaftete mutmaßliche Mörder, der Scharfschütze Zvezdan Jovanovic, ist Vizekommandeur der Polizeispezialtruppe Rote Barette. Sie ist eng mit dem Zemun-Clan verbunden. Auch sein Helfer gehört der Einheit an, die zum größten Teil aus ehemaligen Paramilitärs besteht. Sie kämpften in den Kriegen in Kroatien, Bosnien und Kosovo an vorderster Front und galten lange als Slobodan Milosevics Elitegarde.

Um sie aufzulösen, setzte der neue Ministerpräsident Zivkovic Soldaten und loyale Polizeieinheiten in Marsch. Auch Staatsanwälte, Richter und Geheimdienstleute werden plötzlich verhaftet. Nur der frühere Anführer der Roten Barette und heutige Chef des Zemun-Clans, Milorad Lukovic alias Legija, ist noch flüchtig.

Die Fahndung fördert so ganz nebenbei manche Überraschung zu Tage. So wurde auch der Mord an Ivan Stambolic aufgeklärt. Der ehemalige starke Mann der serbischen Kommunisten und Präsident Serbiens wurde 1987 von seinem langjährigen Protegé, dem aufstrebenden Slobodan Milosevic, nach einem Machtkampf ins Abseits gestellt. Im Sommer 2000 wollte Stambolic, der Milosevics nationalpopulistische Politik stets ablehnte, wieder politisch aktiv werden und zum Sturz seines Widersachers beitragen. Dann wurde er entführt und, wie jetzt bekannt wurde, ermordet. Stambolic wurde im selben Lieferwagen verschleppt, mit dem einige Monate später auch Milosevic von seiner Villa ins Gefängnis gefahren wurde. Hinter dem Steuer saßen beide Male Angehörige der Roten Barette. Sie hatten inzwischen die Seiten gewechselt. Nachdem bekannt wurde, dass die Ehefrau von Milosevic, Mirjana Markovic, zum Stambolic-Mord vernommen werden sollte, tauchte sie unter, vermutlich in Russland.

»Wir setzen jetzt den 5. Oktober fort«, freut sich ein führendes Mitglied der Jugendorganisation Otpor, die vor zweieinhalb Jahren am Sturz Milosevics beteiligt war und jetzt den proklamierten Ausnahmezustand begrüßt. »Wir haben das Parlament gestürmt, aber den Staatsapparat, die Polizei, das Militär und die Justiz nicht angetastet«, erklärt er. Das werde jetzt nachgeholt.

Groß ist auch das Lob von Sonja Biserko vom Helsinki-Komitee für Menschenrechte. In ihrem Büro freut sich die Kritikerin des Milosevic-Regimes über die jüngsten Verhaftungen und fordert das Verbot der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei und der Partei der Serbischen Einheit.

»Wir haben jetzt die einmalige Gelegenheit, gegen Kriegsverbrecher und die Mafia vorzugehen.« Die genannten Parteien seien deren ideologische Helfer. Auch das Verbot der patriotischen Tageszeitung Nacional und der Wochenschrift Identitet erfreut sie. »Das ist ohnehin kein Journalismus, sondern einfach Dreck«, sagt Biserko und wirft ein Exemplar der Identitet auf einen Stapel Altpapier.

Diese bedingungslose Freude über den Ausnahmezustand und die Selbstgerechtigkeit der Mafiajäger lassen Menschen wie den Rentner Milovanovic skeptisch werden. Schließlich ist mittlerweile unbestritten, dass erst das Bündnis der von Djindjic angeführten Opposition mit der Mafia den Sturz Milosevics im Oktober 2000 überhaupt ermöglicht hat. Im Gegenzug versprach Djindjic der »patriotischen Mafia«, sie unbehelligt ihren Geschäften nachgehen zu lassen. Nicht zuletzt deshalb blieben Morde wie der an Stambolic ohne Aufklärung.

Je länger der Ausnahmezustand währt, desto mehr vermuten viele, dass es der Regierung nicht nur um Verbrechensbekämpfung geht, sondern um die Sicherung von bedrohten Machtpositionen. Insbesondere die Forderung nach Parteiverboten scheint diese Befürchtung zu bestätigen. Schließlich haben die prowestlichen Kräfte um Djindjic in den vergangenen Monaten an Popularität verloren, während die wachsende Arbeitslosigkeit und die steigenden Preise zu vielen sozialen Protesten führten.

Während die Behörden energisch gegen den Zemun-Clan vorgehen, ist in der serbischen Öffentlichkeit die Ernsthaftigkeit der gesamten Mafiabekämpfung weiter umstritten. Mit dem Zemun-Clan hat die Polizei den Kern der Drogenmafia getroffen, das zeigt schon der Blick auf den Drogenmarkt. Seit dem Beginn der Verhaftungswelle ist Heroin in Belgrad rar geworden. Viele der 30 000 Junkies in der Stadt suchen verzweifelt in Krankenhäusern nach Hilfe. Auch die Preise für Drogen schnellten in die Höhe.

Allerdings könnte eine neue, regierungstreue Mafia die Marktlücke schnell füllen. »Es fällt auf, dass der Surcin-Clan des Ljubisa Buha alias Cume, eines früheren Intimus von Legija, bisher weitgehend ungeschoren davongekommen ist«, sagt ein serbischer Journalist, der in diesem Zusammenhang nicht namentlich zitiert werden möchte. Kritische Kommentare zum Ausnahmezustand sind offiziell verboten.

Cume und Legija lieferten sich in den vergangenen Monaten einen blutigen Machtkampf. Nachdem der unterlegene Cume seinen Konkurrenten öffentlich beschuldigt hatte, für den Mord an Stambolic und andere Morde der Ära Milosevic verantwortlich zu sein, gewährte ihm Innenminister Dusan Mihajlovic den Status eines »geschützen Zeugen«. Der Surcin-Clan kontrollierte bisher den profitablen Straßenbau.

Die eigentliche Frage ist daher, ob die neue Regierung den Mut hat, jetzt auch gegen die seit Jahren vom Tribunal in Den Haag gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher wie den bosnischen General Ratko Mladic vorzugehen. Deren bisheriger Schutzwall scheint mit der Säuberung zu zerbröseln. Das meint nicht nur Sonja Biserko.