Chilenische Nacht

Ausnahmezustand in Italien

Während in Italien die heftigsten Proteste seit Jahren zu beobchten sind, unterzeichnete Ministerpräsident Silvio Berlusconi am vergangenen Freitag ein Dekret, das »für die Zeit des Irakkriegs« den Zivilschutzbehörden »außerordentliche Vollmachten« verleiht. Es handle sich um eine »vorbeugende Maßnahme«, erklärte der Leiter der Behörde, Guido Bertolase, in einem Interview mit dem Corriere della Sera. Man wolle sowohl Anschlägen mit Biowaffen als auch einer Flüchtlingswelle vorbeugen.

Die Mitte-Links-Opposition kritisiert, dass durch das Dekret nur unnötig Ängste in der Bevölkerung geweckt würden. Sogar der Vatikanzeitung Osservatore Romano geht die Erklärung des Ausnahmezustandes zu weit, sie beruhige »sicher nicht die Öffentlichkeit eines ausdrücklich nicht kriegführenden Landes«.

Vielleicht kommt der Regierung in Rom das Bedrohungsszenario gelegen. Schließlich steht Berlusconi wegen seiner Kriegsunterstützung und der reaktionären Sozialpolitik unter Druck. So demonstrierten vor zwei Wochen allein in Mailand mehr als 700 000 Menschen gegen den Krieg und für eine Ausweitung des Rechtsschutzes der Lohnarbeiter. Und am vergangenen Samstag gingen wieder 90 000 Mailänder auf die Straße.

Wie die Regierung Berlusconi im Zweifelsfall mit ihren Gegnern umgeht, zeigte sie im Juni 2001 anlässlich des G 8-Gipfels in Genua. Dass sich an ihrer Brutalität nichts geändert hat, belegen die jüngsten Polizeiübergriffe von Mailand.

Dort, im traditionell linken Viertel Ticinese, griffen Mitte März drei Nazis einige bekannte Linke an, die sich gerade auf dem Heimweg befanden. Die Rechtsextremisten verletzten durch Messerstiche drei Personen schwer. Der 26jährige Davide Cesare starb noch in der Ambulanz. Er hatte regelmäßig ein nahe gelegenes Centro sociale besucht und war Mitglied der Rifondazione Communista gewesen.

Noch bevor ein Krankenwagen an den Ort des Mordes gelangte, waren bereits viele Polizisten eingetroffen. Mit ihrem aggressiven Vorgehen, das sich besonders gegen die mittlerweile ebenfalls zahlreich herbeieilenden Freunde der Verletzten richtete, behinderten sie eine schnelle medizinische Versorgung. Viele der aufgebrachten linken Jugendlichen zogen anschließend vor die Klinik, wo sie vom Tod ihres Genossen erfuhren.

Um das Krankenhaus spielten sich daraufhin martialische Szenen ab, die an die Ereignisse der »chilenischen Nacht« von Genua erinnern. Die Beamten zogen durch die Gänge des Krankenhauses und gingen grundlos gegen etwa 20 im Wartesaal der Nothilfe wartende »Autonome« vor. Auch vor dem Krankenhaus jagten die Polizisten die Freunde von Cesare durch die umliegenden Straßen, zerrten sie in die Streifenwagen und verprügelten sie.

In der Presse war hingegen zunächst von einer »unpolitischen Kneipenschlägerei« die Rede und von Auseinandersetzungen zwischen Punks und Autonomen, die angeblich den Leichnam ihres Genossen aus dem Krankenhaus entführen wollten. Die Aussagen einiger gewerkschaftlich organisierter Beschäftigten des Krankenhauses sowie die Blutflecken auf dem Boden des Wartesaals widersprechen aber diesen Darstellungen.

Zu Cesares Beerdigung in seinem Geburtsort Rozzano nahe Mailand versammelten sich in der vergangene Woche etwa 3 000 Menschen. Neben einigen Vertretern verschiedener Centri sociali sprach auch die Mutter des in Genua getöteten Carlo Giuliani der Familie Cesare ihr Beileid aus.

egon günter