Verlage in Verlegenheit

Wie sich Kleinstverlage durch die Rezession schlagen. von tanja dückers

Auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse waren noch weniger Kleinstverlage vertreten als im letzten Jahr. 6 000 davon soll es insgesamt in Deutschland geben. Aber Standmiete, Fahrtkosten und Spesen können nur ein paar Hundert bezahlen. Die beiden jährlichen Messen sind jedoch nicht das Hauptproblem der Nischenunternehmen: Es ist das Überleben in den übrigen 50 Wochen des Jahres.

Immerhin haben die Frankfurter Buchmesse und der Arbeitskreis kleinerer und unabhängiger Verlage (AKV) des Börsenvereins sich auf ein neues Preismodell geeinigt, nachdem zahlreiche Verlage Unmut über beabsichtigte Teuerungen geäußert hatten. Auf Vorschlag von Buchmesse-Direktor Volker Neumann wurde eine Regelung vereinbart, nach der die Verlage künftig die Option haben, ihren Stand selbst zu möblieren, statt wie bisher die Einrichtung mieten zu müssen. Außerdem ist der Elektroanschluss in der Miete enthalten. Damit ist der kleinste Stand auf der Frankfurter Buchmesse künftig ab 855 Euro erhältlich, statt der ursprünglich vorgesehenen 1 000 Euro.

Der Sprecher des AKV, Thomas Bleicher, zeigte sich erfreut über den Kompromiss: »Die Frankfurter Buchmesse hat unsere Bedenken akzeptiert und unterstützt weiterhin die kleineren Verlage, indem sie einen erheblichen Teil der Kosten für eine Messeteilnahme übernimmt.«

Doch was tun kleine Verlage, um in Zeiten der Fusion von Riesenverlagen ihre Literatur auf dem Nachttisch, in der Reisetasche oder im Bücherregal von Mr. und Mrs. Lesemuffel zu platzieren?

Eine erfolgreiche Strategie scheint zu sein, Titel innerhalb einer Reihe zu präsentieren. Wie es zum Beispiel der Tübinger Konkursbuch Verlag mit seiner Reihe »Mein heimliches Auge. Das Jahrbuch der Erotik« praktiziert. Die bibliophilen Bände haben passenderweise eine hohe haptische Qualität und gehören zu den meistverkauften Büchern des Hauses. Der Name Konkurs führt in die Irre, Claudia Gehrke, Chefin des mittlerweile seit 25 Jahren existierenden Einfrau-Betriebs, versteht etwas von Geschäften und hat gleich noch die Reihe »Mein lesbisches Auge« aus der Taufe gehoben – so steckt man ein Terrain ab und lässt Nestwärme bei der Leserinnenschaft entstehen.

Der Berliner Aviva-Verlag setzt ebenfalls auf das Prinzip der Reihe. Die »Aviva Künstlerinnen-Reihe« widmet sich Werken, Lebensläufen und -situationen von Frauen, die sich in der männlich dominierten Kunstwelt durchsetzten, und die ebenfalls sehr erfolgreiche Reihe »Wiederentdeckte Künstlerinnen« betreibt Schatzsuche. Nischen besetzen: Große Verlage sind nolens volens Gemischtwarenläden. Echte Programmverlage werden unter den Großen immer seltener. Eine Ausnahme stellt der Berliner Aufbau Verlag dar, der mit seinen Themen »jüdisches Leben«, »ostdeutsche Soziologie und Geschichte« sowie »osteuropäische Literaturen« tatsächlich noch Programmschwerpunkte hat – und nicht einfach alles veröffentlicht, was zwischen »Mein Kräutergarten« und Dieter Bohlen wächst, gedeiht und sich verkauft.

Viele Kleinstverlage, die seit Jahren oder Jahrzehnten erfolgreich sind, wie z.B. der vor 27 Jahren gegründetete feministische Orlanda Verlag oder der jüngere Quer-Verlag mit seinem Programmschwerpunkt schwule oder lesbische Literatur, suchen sich ihre Nischen. Der linke Berliner Verbrecher Verlag hat in diesem Frühjahr nach dem erfolgreichen »Kreuzbergbuch« erneut einem Bezirk der Hauptstadt eine Anthologie gewidmet und das »Mittebuch« mit Kurzgeschichten aus der Vergangenheit und Gegenwart dieses Stadtteils veröffentlicht. Kleinstverlage wie der Verbrecher Verlag profitieren von der Nähe zum Zielpublikum, dessen Milieu und dessen (Sub-)Kultur und können so Themen und Autoren entdecken, bevor die von großen Verlagshäusern ausgesetzten Trendscouts sie aufgespürt haben. Die guten sozialen Netzwerke dieser Projekte sind gegenüber den überall in der Welt herumjettenden Großverlegern, die die heimische Literaturszene nur noch aus dem Feuilleton kennen, ein nicht zu unterschätzender Vorteil.

Erfolgreiche Kleinstverlage binden ein Publikum an sich, indem sie ihm mehr als nur ein Buch und eine ISBN-Nummer verkaufen. Sie veranstalten Jahresfeiern, Themenabende, Lesungen, Theateraufführungen etc. Der Orlanda Verlag nutzt das Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin-Mitte als Veranstaltungsort, und der Verbrecher Verlag lädt einmal monatlich im selben Bezirk ins Kaffee Burger zur Verbrecherversammlung mit Lesung und Plattenauflegen ein.

Insgesamt kennt der Kleinstverleger seine Zielgruppe wesentlich besser als sein Kollege im großen Unternehmen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass kleine Verlage von neuen Entwicklungen, Trends, Interessantem und Ungewöhnlichem eher und schneller Notiz nehmen als große Verlage. Ein frappierendes Beispiel bietet der Kölner Tropen Verlag: Die beiden Chefs, Michael Zöllner und Christian Ruzicska, reisen viel und haben nun schon zum zweiten Mal die Rechte für einen Erfolgstitel aus dem Ausland erworben, bevor der Autor in Deutschland überhaupt zur Kenntnis genommen wurde. Die Rechte an »Inzest« der französischen Autorin Christine Angot erwarb der Tropen Verlag für 1 500 Euro; nachdem das Buch ein internationaler Erfolg wurde, verkaufte er die Taschenbuchrechte für 60 000 Euro. Ähnliches gelang ihnen mit »Motherless Brooklyn« von Jonathan Lethem. Der junge Street-New Yorker gilt als nahezu unübersetzbar, aber Zöllner und Ruzicska sahen darin eine Herausforderung. Für 5 000 Mark gekauft und – die Übersetzung überzeugte – für 50 000 Euro als Taschenbuch verkauft.

Trotz solcher Coups residiert der kleine Verlag in einem verwunschenen, vom Einsturz bedrohten Haus als letzte zähe Mietpartei. Vielleicht haben diese romantischen Attribute den Kultur-Spiegel animiert, ein großes Porträt über diesen kleinen Verlag zu schreiben. Die Kleinen haben einfach den Gestus, den Lebensstil, den Lifestyle, den die Großen sich nicht mehr zutrauen. Dieser Habitus ist nicht übertragbar, nur kopierbar, aber das erkennt jeder als Plagiat.

Profitieren können Kleinstverlage in Zukunft auch von der kollektiven Bewunderung dafür, dass sie sich nicht haben aufkaufen lassen. Schließlich wurden etliche renommierte Verlage ihrer Eigenständigkeit beraubt, so dass eine wachsende Schar von Lesern die eigenwilligen Programme von Kleinverlagen zu schätzen weiß. Charme und Aura allein reichen natürlich nicht aus, um wirtschaftlich zu arbeiten. Auch deshalb gibt es ganz pragmatische Zusammenschlüsse. »Die meisten kleinen Verlage bleiben klein, weil sie sich keine Vertreter leisten können«, sagt Christian Ruzicska vom Tropen Verlag. Leidgeprüfte Kleinstverleger können bestätigen, dass die Vertreter üblicherweise fragen: »Wie, ihr habt keinen Auslieferer?«, und die Auslieferer fragen wiederum: »Wie bitte, ihr habt keine Vertreter?« Die Gemeinsame Verlagsauslieferung Göttingen (GVA) stellt für kleine Verlage beides, unabhängige Vertreter und eine professionelle Auslieferung. Weil auch der Göttinger Steidl Verlag (der Günter Grass verlegt) mitmacht, wollen alle Buchhändler mit der GVA zu tun haben, und davon profitieren die kleinen Verlage natürlich ungemein.

Die Kölner parasitenpresse, gegründet im Jahr 2000 von Adrian Kasnitz und Wassiliki Knithaki, stellt ihre 14-seitigen Bücher in Handarbeit aus wiederverwertbaren Briefumschlägen oder Packpapier her. Stolz verweist der Verlag darauf, dass sich einige Titel schon »über 100 Mal« verkauft haben. Man beachte: Der Verlag druckt Lyrik. Ein anderes erfolgreiches Low-Budget-Konzept wendet das Projekt »Die Außenseite des Elements« an. Bei der von Jan Wagner herausgegebenen Lyriksammlung, die er als »Non Profit Art Movement« bezeichnet, handelt es sich um eine »Literaturschachtel«, einen Din-A4-Karton mit einem wohl geordneten Stapel von Gedichten und Kurzgeschichten – oft von ausländischen Autoren, die die Verleger entdeckten und übersetzten. Auf der Rückseite ihrer Wunderschachtel formulieren die Herausgeber dezent, warum der Vertrieb zum Selbstkostenpreis stattfindet: Man versteht die Schachtel als »pappenes Bollwerk gegen den die Künste abnagenden Einfluss der Wirtschaft, hinter dem verschanzt man Kunst und Kultursponsoring für unvereinbare Dinge hält«.