Unterm Fallbeil

Am vorigen Wochenende luden die Bahamas zur Konferenz in die Kreuzberger
Jerusalem-Gemeinde. Dort wurden eifrig Urteile gefällt. von joachim rohloff

Wer sich traut, von einem Kongress zu berichten, den die Redaktion der Zeitschrift Bahamas veranstaltet hat, schwebt in großer Gefahr. Wenn er nicht jedem Wort, das auf dem Podium gesprochen wurde, mehrfach und glaubhaft zustimmt, wird das Richtbeil hernieder sausen, und erst wenn sein Kopf in den Sand rollt, wird die Nachwelt erfahren, ob es sich bei ihm um einen rasenden Antisemiten handelte oder bloß um einen gewöhnlichen deutschen Dunkelmann, ob er zum Mob gehörte oder zur Meute. Aber sei’s drum. Am jakobinischen Stahl, der im Namen der Wahrheit und der Aufklärung und im Bündnis mit der Schwerkraft seine Arbeit verrichtet, stirbt es sich auch nicht schwerer als an einer versehentlichen Missachtung der StVO.

Kaum fünf Minuten dauerte das Eröffnungsgespräch der etwa 200 Besucher zählenden »antideutschen kommunistischen Konferenz«, die am vergangenen Wochenende im Schatten des Berliner Axel-Springer-Hauses stattfand, da war das erste Urteil schon verkündet und vollstreckt. In der Wochenzeitung Jungle World, einem der zahlreichen Organe des Antiamerikanismus, hatte jemand sich erdreistet, den Anspruch der maßgeblichen antideutschen Denker zu bezweifeln, sie seien jederzeit im Besitz der ganzen Wahrheit, und hatte deshalb an der Wahrheit selbst, am menschlichen Streben nach ihr, an der Zivilisation und an der Aufklärung sich vergangen und als Obskurant und unheilbarer Deutscher irgendeiner Nationalität sich zu erkennen gegeben. Mit solchen Leuten, die entweder eingetragene Mitglieder der »antisemitischen Internationale« sind oder vor ihr kapitulieren, gab es nun selbstverständlich keine Verwandtschaft mehr.

Auf der Suche nach »tragenderen Gemeinsamkeiten als die Bezeichnung ›links‹« hatten die Veranstalter sich daran erinnert, dass die Journalisten des Springer-Verlags seit kurzem zur Unterstützung der Nato und seit langem zur Unterstützung Israels verpflichtet sind. Deshalb dankte René Pollak, der Vorsitzende des Zionistischen Verbands Deutschlands, der Bild-Zeitung, die das Selbstmordattentat eines palästinensischen Terroristen »feige« genannt hatte, deshalb saß neben ihm Hannes Stein, ein Redakteur der Welt.

Diese beiden sowie Eldad Beck, den hiesigen Korrespondenten der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth, und Justus Wertmüller, einen Redakteur der Bahamas, verbanden die Einsicht in die fortbestehende Notwendigkeit, den Staat Israel auch mit militärischen Mitteln zu verteidigen, die Zustimmung zum Krieg der USA gegen das Regime Saddam Husseins und ihr Befremden angesichts der deutschen Friedensbewegung, welche vom Bundeskanzler angeführt wird.

Die Linke ist in einem erbärmlichen Zustand, und selten war das Bedürfnis, sich ein für alle Mal von ihr zu verabschieden, so verständlich wie heute. Die Bahamas-Fraktion zieht es allerdings vor, sich ausgerechnet um des Kommunismus und der Aufklärung willen mit der Zentrale der Verblödung zu verbünden, nämlich mit dem Springer-Verlag. Wer der seltsamen Meinung ist, Georg Gafron, der Chefredakteur der B.Z., habe über Schröders Friedensbewegung alles gesagt, was über sie gesagt werden muss, könnte folglich für eine Weile schweigen.

Doch Justus Wertmüller ist diese Fähigkeit offenbar nicht gegeben, und so machte er sich daran, außer den notorischen Antiimperialisten, die im Geiste mit Saddam Hussein gegen die USA kämpften, ein paar neue Feinde zu beschuldigen und zu erledigen. Insbesondere die Jungle World und konkret hätten es an Bekundungen ihrer Freude über den »antifaschistischen Befreiungskrieg« fehlen lassen.

Hermann L. Gremliza, der 1991 dem ersten Krieg der USA gegen den Irak mit der Begründung zugestimmt hatte, es werde »ausnahmsweise aus den falschen Gründen das Richtige getan«, Israel werde vor einem irakischen Angriff geschützt, fand sich nun in der deutschen Meute wieder, weil er im März 2003 geschrieben hatte: »Wäre gewährleistet, dass Saddam Husseins Regime beseitigt und durch ein menschenfreundliches ersetzt werden könnte, ohne fünfzig-, hunderttausend oder mehr Iraker kollateral umzubringen und zugleich an anderen Orten andere Monster zu entfesseln, hätte ich keinen Einwand.«

In der Tat darf man sich darüber freuen, dass der Sturz Saddams sehr viel weniger als fünfzigtausend Opfer nötig machte. Trotzdem ginge es heute fast allen Beteiligten besser, wenn man sich schon 1991 hätte freuen dürfen, als der amerikanischen Regierung die »Stabilität« im Nahen Osten, also ein urdeutsches Anliegen, wichtiger erschien als die Freiheit der Iraker. Dann wäre womöglich auch Eldad Beck, der kürzlich in den Irak reiste, der Anblick jenes Massengrabs erspart geblieben, von dem er zu Recht sagte, es sei ein ebenso guter Kriegsgrund wie die Massenvernichtungswaffen, die nun wahrscheinlich nicht mehr gefunden werden.

Wertmüller nannte die Einschränkung, mit der Gremliza seine Zustimmung zu diesem Krieg versehen hatte, »verrückt« und eine »Wahnidee«. Schließlich habe man doch gewusst, dass die US-Armee immer in der Lage sei, präzise »chirurgische« Militäroperationen mit einer geringen Zahl menschlicher Opfer auszuführen.

Wenn man es also vor diesem Krieg für möglich hielt, dass er genauso viele Iraker das Leben kosten werde wie der letzte Krieg der USA gegen den Irak, nämlich hunderttausend, dann war man schon dem »Vernichtungswahn« verfallen und gehörte zur »Meute« derjenigen, »die die Leichen dann aber auch sehen wollen« und enttäuscht sind, wenn ihre haltlosen Prophezeiungen nicht eintreffen. Es reichte nicht, dem Krieg zuzustimmen, man musste ihm bedingungslos zustimmen, ohne Rücksicht auf Verluste.

Das Publikum freute sich nicht nur über den Sieg der Zivilisation im Irak, auch als der Tod Jürgen Möllemanns erwähnt wurde, brach Jubel aus. Unangenehm berührte die antideutschen Kommunisten allerdings die Aufforderung Hannes Steins, sie sollten sich doch ebenso über die Befreiung Osteuropas im Jahr 1989 freuen und den Amerikanern auch dafür dankbar sein. Denn in diesem Zusammenhang dachten sie natürlich zuerst an die deutsche Wiedervereinigung.

Daran, dass die Beseitigung der Sowjetunion den Aufschwung des internationalen deutschen Islamismus in diesem Teil der Welt erst ermöglichte und für einige hundert Millionen Menschen nicht weniger bedeutete als den Sturz von einem vergleichsweise hohen Zivilisationsniveau in die prämoderne Barbarei, dachte offenbar niemand.

Nun muss man sich wohl Sorgen machen um Ariel Sharon. Neuerdings will er den Palästinensern ihren einen eigenen Staat geben. Also wird er demnächst von Justus Wertmüller, der kein Maß kennt, der es nicht merkt, wenn er an Grenzen stößt, die zu überschreiten einfach geschmacklos ist, und der nicht weiß, wann er aufhören muss, des Antisemitismus bezichtigt werden.