Zum Feiern kein Grund

Ronald Schill wurde gefeuert, doch der rechte
Hamburger Senat bleibt im Amt und der Regierungsterror
geht weiter. von andrej reisin

Manche konnten ihr Glück nicht fassen. Rund 2 000 TeilnehmerInnen versammelten sich am Dienstag vergangener Woche im Hamburger Schanzenviertel zu einer Jubeldemo und feierten ausgelassen mit den Polizisten die Entlassung des Innensenators Ronald Schill. Mit dessen politischem Ende, so lautete wohl die Hoffnung der Feiernden, werde auch das Ende des rechtspopulistisch-konservativen Senats, der Hamburg seit knapp zwei Jahren regiert, eingeleitet. Die Party ging so lange, bis die Ordnungshüter traditionsgemäß schlechte Laune bekamen und vierzig Demonstranten in Gewahrsam nahmen.

Am Anfang des Niedergangs Ronald Schills steht die Affäre des Staatsrats der Innenbehörde, Walter Wellinghausen. Der ehemalige Sozialdemokrat war Vorstand der Münchner Isar Klinik II AG und hatte vermutlich noch lange nach seiner Ernennung zum Staatsrat unerlaubte Nebeneinkünfte aus seiner Münchner Tätigkeit. Da er dumm genug war, dies auch noch in zahlreichen Protokollen von Aufsichtsratssitzungen schriftlich festhalten zu lassen, war seine Entlassung eine Frage der Zeit.

Schills Problem bestand nun darin, dass Wellinghausen de facto dessen Job machte, wenn man den Klagen von MitarbeiterInnen der Innenbehörde Glauben schenken darf. Schon als Amtsrichter stand Schill nicht eben in dem Ruf, ein großer Freund der Aktenpflege zu sein, als Innensenator nahm er endgültig davon Abstand und lieber repräsentative Aufgaben wahr. Ohne Wellinghausen wäre vermutlich schnell klar geworden, dass der Hamburger Innenbehörde ein Mann vorsteht, der für den Job völlig ungeeignet ist und zudem von den aktuellen Amtsgeschäften keine Ahnung hat.

In seiner Panik verfiel Schill offensichtlich auf die absurde Idee, seinen Vorgesetzen, Bürgermeister Ole von Beust (CDU), der Wellinghausen entlassen wollte, mit dem Vorwurf der Homosexualität zu erpressen. »Überleg es dir gut heut, heute abend, Prime Time, bundesweit«, soll Schill laut von Beust gesagt haben. Dass der 2. Bürgermeister versuchte, den 1. Bürgermeister zu erpressen, ist aber durchaus vorstellbar. Dabei wäre es nichts Neues gewesen, dass von Beust schwul ist, auch wenn er sich nicht wie der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), öffentlich dazu bekannte.

In der Pressekonferenz nach seiner Entlassung behauptete Schill dann, von Beust habe ein Liebesverhältnis mit Justizsenator Roger Kusch (CDU). Der wohnt in einer von Beust gehörenden Wohnung, beide kennen sich seit ihrer gemeinsamen Studienzeit. AnwohnerInnen der Wohnung am Hansaplatz hätten Schill angerufen, um ihm mitzuteilen, dass es »im Bereich der Wohnung zu Dingen komme, die auf Liebesakte schließen lassen«.

Der Hansaplatz liegt im Hamburger Stadtteil St. Georg, der seit Jahren die Gay Area der Stadt ist. Dass hier jemand zum Telefon greifen und Schill anrufen könnte, um ihm zu verraten, dass der Bürgermeister schwulen Sex habe, ist schwer vorstellbar. Die Vorstellung spiegelt vielmehr Schills eigene Homophobie sowie das Vertrauen auf ähnliche Ressentiments der stockkonservativen Wählerschaft des Senats wider. Trotzdem griff lediglich einer der anwesenden Journalisten Schill in der Pressekonferenz offen an und bemerkte: »Das ist zutiefst unanständig, was Sie hier machen.«

Noch offensichtlicher wurde Schills Paranoia, als er am Nachmittag des gleichen Tages Sandra Maischberger beim Sender n-tv ein Interview gab. Nun war die Wohnung am Hansaplatz bereits zu einer »Liebeshöhle« geworden. Trotzdem habe er von Beust nicht erpressen wollen, es sei ihm nur um die unzulässige Vequickung von Privatem und einem öffentlichen Amt gegangen. Im Übrigen verkündete Schill, es bleibe sein Verdienst, dass in Hamburg Kriminalität wieder bekämpft werde, nachdem »die SPD die Stadt 50 Jahre lang schutzlos dem Verbrechen ausgeliefert« habe.

Doch Schill reüssierte nicht mit seiner homophoben Kampagne. Von Beust kam ihm zuvor, am Ende distanzierte sich sogar die Schill-Partei selbst von Schill. »Schock und Scham überkam uns«, sagte etwa Peter Paul Müller aus der Schill-Fraktion. Schills Wunsch, wenigstens Fraktionsvorsitzender seiner Partei in der Bürgerschaft zu werden, wurde von der eigenen Partei zurückgewiesen. Schill bleibt wohl nur einfacher Abgeordneter.

Begonnen hatte er seinen Aufstieg als »Richter Gnadenlos«, der sich bei seiner zukünftigen Wählerschaft dadurch beliebt machte, dass er besonders hart durchgriff und als Strafrichter schon mal bei minder schweren Delikten drakonische Haftstrafen verhängte. Dass sämtliche seiner Urteile von der nächsten Instanz zurückgenommen wurden, interessierte seine Fans wenig. Später wurde er sogar wegen Rechtsbeugung verurteilt, der Bundesgerichtshof revidierte diese Entscheidung allerdings.

Der Machtwechsel in Hamburg im Oktober 2001 war nur möglich, weil Ole von Beust, der als Spitzenkandidat der CDU zuvor ähnlich erfolgreich war wie die SPD in Bayern, seine letzte Chance, den Sessel des Bürgermeisters zu besetzen, gekommen sah. Mit den 26 Prozent der Wählerstimmen, die er für die CDU erreichte, hätte er in jedem anderen Bundesland zurücktreten müssen, aber dank der 19 Prozent der Schill-Partei und der wieder in der Bürgerschaft vertretenen FDP reichte es für eine Mehrheit von vier Stimmen, und das interpretierte von Beust flugs als Regierungsauftrag. Dass er damit erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik einen extremen Rechtspopulisten auf die Regierungsbank brachte, kümmerte ihn wenig.

Seit dem Oktober 2001 ließ die Regierung dann nichts unversucht, ihrer kleinbürgerlichen Wählerschaft und ihren großbürgerlichen Freunden zu gefallen (siehe auch Seite 9.) Sozialabbau, Verschärfung polizeilicher Maßnahmen gegen Obdachlose und Drogenverkäufer, die Räumung von Bauwagenplätzen: Die Liste ist lang und schmutzig, der Widerstand dagegen war mal mehr, mal weniger laut. Am Sturz des Innensenators hatte die Linke nun allerdings nicht den geringsten Anteil.

Ronald Schill war in den 20 Monaten seiner Amtszeit das Aushängeschild des Senats. Vor genau einem Jahr sorgte er für einen Eklat im Bundestag, als er als Vertreter des Hamburger Senats die Debatte über das Hochwasser in Ostdeutschland dafür benutzte, gegen MigrantInnen zu hetzen. Nur weil es »eine massive Zuwanderung« in die Sozialkassen gebe, müsse der Bund die Kosten der Flutkatastrophe durch Steuererhöhungen finanzieren.

Als er seine Redezeit überschritt, drehte ihm die stellvertretende Präsidentin des Bundestags, Anke Fuchs (SPD), das Mikrofon ab. Dies interpretierte Schill als »Verfassungsbruch« und drohte mit einer Klage. Von Beust musste sich anschließend öffentlich für seinen Innensenator entschuldigen und versicherte, so etwas werde nie wieder vorkommen. Ein anderes Mal forderte Schill die Anschaffung jenes Betäubungsgases, das bei der Stürmung eines besetzten Moskauer Musiktheaters 129 der Geiseln das Leben gekostet hatte.

Mit Dirk Nockemann, dem designierten Nachfolger Schills, übernimmt nun ein Mann die Innenbehörde, dessen politische Vorstellungen von denen Schills kaum abweichen. Er pflege »einen anderen Stil«, ließ Nockemann die Hamburger Presse wissen, aber mit den Ansichten des Parteigründers hatte er nie auch nur die geringsten Probleme. Seine angebliche Fachkompetenz erwarb er sich als Leiter des Landesamtes für Asylbewerber und Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern, wo er eine rigide Abschiebepolitik betrieb.

Auch dass nach wie vor rund 20 Prozent der WählerInnen in Hamburg bereit sind, für eine mehr oder weniger rechtsextreme Partei zu stimmen, ist äußerst bedenklich. Zum Feiern gibt es auf St. Pauli noch lange keinen Grund.