Ein kleiner Triumph

Auf eine überschaubare Größe zusammengeschrumpft, existiert der
ehemalige Demokratische Frauenbund der DDR weiter und feiert Jubiläum.
von wibke bergemann

Das Hausprojekt Undine fällt nicht auf, wenn man daran vorbeigeht. Das frisch sanierte Gebäude unterscheidet sich kaum von den benachbarten mehrstöckigen Altbauten im Berliner Stadtteil Lichtenberg.

Wenn da nicht der große Garten mit den alten Bäumen wäre. Die Sonne scheint, Biertische sind aufgestellt. Das Sozialwerk des Demokratischen Frauenbundes, der Trägerverein des Wohnprojekts, feiert sein zehnjähriges Bestehen. Es gibt Kaffee, Kuchen und musikalische Unterhaltung mit Showeinlagen. Auf der Bühne tanzt sich ein Paar durch die Epochen. Die Nachbarn sind gekommen, Leute aus dem Kiez, viele Senioren, geladene Gäste wie etwa die Bezirksbürgermeisterin und natürlich die HausbewohnerInnen.

Undine ist etwas Besonderes: Im Gegensatz zu den anderen Einrichtungen für Obdachlose in Berlin hat hier jeder Bewohner seine eigene kleine Wohnung. 44 gibt es davon. Jede ist mit einer Miniküche ausgestattet, doch die meisten Bewohner zieht es mittags in die Gemeinschaftsküche. Wie eine große Familie sei das Haus, schwärmt Karola Claes. Auch die Mittvierzigerin gehörte fast zwei Jahre lang dazu. Hier kam nach den Jahren auf der Straße und in Notunterkünften wieder Ordnung in ihr Leben: »Endlich hatte ich mein eigenes Reich. Dann fängt man langsam an, sein eigener Herr zu werden.« In dem Wohnprojekt schaffte Claes es auch, vom Alkohol wegzukommen. Einmal die Woche traf sie sich in der Selbsthilfegruppe mit anderen »trockenen Alkoholikern« im Haus: »Hier biste weg von den Leuten, die schon morgens um fünf anfangen zu saufen.«

Die Obdachlosen oder von Obdachlosigkeit Bedrohten werden vom Sozialamt an das Wohnprojekt vermittelt. Wer aufgenommen wird, kann ein bis drei Jahre bleiben und soll lernen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Die BetreuerInnen bei Undine helfen in rechtlichen Fragen und vermitteln Selbstbewusstsein für den Umgang mit Ämtern und Behörden. Am Ende sollen alle wieder eine eigene Wohnung und eine Arbeit haben.

Das gelingt nicht immer, aber es ist eine Chance. Wer hierher kommt, hat häufig hohe Schulden und braucht Hilfe bei der Neuordnung seiner finanziellen Situation. Viele der BewohnerInnen haben außerdem gesundheitliche Probleme. Es dauerte eine Weile, bis sich Karola Claes dazu durchringen konnte, zum Zahnarzt zu gehen. Doch jetzt ist sie froh, wieder Zähne zu haben.

Für die Frauen vom Sozialwerk ist der 10. Geburtstag auch ein kleiner Triumph: Ja, es gibt uns noch. 1993 entstand das Sozialwerk als Tochterverein des Demokratischen Frauenbundes (dfb). Der Frauenbund wiederum war 1990, mit leicht verändertem Namen, aus dem Demokratischen Frauenbund Deutschland (DFD), der staatlichen Frauenorganisation der DDR, hervorgegangen. Als einer der wenigen Verbände aus der DDR hat der Frauenbund die Wende überlebt. Zwar ist aus der ehemaligen Massenorganisation mit rund 1,5 Millionen Mitgliedern ein überschaubarer Verein mit rund 5 000 Mitgliedern geworden. Doch die Landesverbände sind weiterhin in allen fünf östlichen Bundesländern aktiv.

Dabei wurde der Frauenbund schon zu DDR-Zeiten als Strick- und Häkelverein verspottet. »Schluss mit dem DFD – Dienstbar, Folgsam, Dumpf« hieß es gar auf einem Transparent bei der großen Demonstration am 4. November 1989 in Berlin. Kritikerinnen sahen im Frauenbund vor allem einen »Transmissionsriemen der SED«.

Zweifellos war der Verband ein staatstragendes Organ der DDR. »Ein entsprechendes Selbstverständnis geht spätestens ab den achtziger Jahren aus allen Reden und Kongressbeschlüssen des DFD hervor«, sagt Rita Pawlowski vom Archiv Grauzone, das sich auf die Frauenbewegung in der DDR spezialisiert hat. »Der DFD war ein Vermittler, um die Frauen zu überzeugen und zu mobilisieren. Das war seine Aufgabe, alles andere war Beiwerk.« So ging es in den fünfziger Jahren darum, die Frauen in die Produktion zu bringen. In den sechziger Jahren assistierte der DFD bei der Schulung und Fortbildung der Frauen.

Nicht zuletzt wegen der demographischen Erfordernisse des sozialistischen Staates richtete sich die Frauenpolitik des DFD vor allem auf das Ziel, Mutterschaft und Berufstätigkeit vereinbaren zu können. »Die materielle Unabhängigkeit, die die Frauen mit der praktischen Vollbeschäftigung erlangten, wurde gleichgesetzt mit Emanzipation. Das Problem, dass Frauen in ihrer Karriere oft an eine Grenze stoßen, wurde nicht gelöst«, sagt Pawlowski, die selbst früher im DFD aktiv war.

Die heutige Vorsitzende des dfb, Brigitte Triems, sieht das weniger dramatisch. »Die emanzipatorische Frage wurde nicht gestellt, weil das als gegeben galt: Gleiche Löhne, gleiche Versicherungstarife, Babyjahr für Männer – das war für uns einfach normal. Wir fühlten uns nicht diskriminiert.« Triems, die sich in der DDR in der internationalen Frauenarbeit engagierte, berichtet, dass es für Frauen selbstverständlich war, Mitglied im Frauenbund zu sein.

»Der DFD nahm für sich in Anspruch, für alle acht Millionen Frauen der DDR zu sprechen«, erzählt Pawlowski. »Alles Zweifeln und Nachdenken über Alternativen wurde damit verhindert.« Die Frauen hätten verinnerlicht, die Frauenfrage nicht als die wichtigste zu betrachten. Als beispielsweise die Lesbenbewegung in den achtziger Jahren versuchte, im DFD Fuß zu fassen, wurde das erfolgreich verhindert. »Das Traurige dabei ist, dass der DFD eigentlich bedeutungslos war. Von allen Massenorganisationen erhielt er am wenigsten Geld«, sagt Pawlowski. »Zwar hatte der DFD eine eigene Fraktion in der Volkskammer. Doch mir ist kein einziger Gesetzesentwurf bekannt, den der DFD durchbringen konnte.«

Mit der Wende änderte sich einiges: Der Alleinvertretungsanspruch wurde fallengelassen, die Überparteilichkeit im 1990 neu gegründeten Verein betont. Die hauptamtliche Vorstand verschwand »ziemlich schnell«, wie Triems es ausdrückt, eine neue Generation übernahm die Leitung.

Den politischen Wechsel überstand der Frauenbund vor allem durch die alten, funktionierenden Strukturen an der Basis. Viele der kleinen Ortsgruppen, besonders auf dem Land, arbeiteten weiter wie bisher. »Wir vertreten weiterhin die Interessen der Ostfrauen«, erklärt Triems. »Denn was für die Ostfrauen verloren geht, geht für alle Frauen verloren.«

Durch ihre Basisarbeit kannten die Frauen, die 1993 das Sozialwerk gründeten, die Probleme im Ostteil Berlins. In dem Haus in Lichtenberg richteten sie neben dem Wohnprojekt Undine auch ein kulturelles Zentrum ein: Mit Ausflügen, Bingo-Nachmittagen oder Vorträgen wie »Wege aus der Arbeitslosigkeit« werden arbeitslose Frauen, Alleinerziehende, SeniorInnen mit kleiner Rente, AussiedlerInnen und andere Menschen aus dem Kiez angesprochen. Auch in anderen Teilen Lichtenbergs hat das Sozialwerk mittlerweile nachbarschaftliche Treffpunkte eingerichtet.

»Man muss nicht nach hinten, sondern immer nach vorne schauen«, sagt die ehemaligen Wohnungslose Karola Claes. Sie hat die Vergangenheit hinter sich gelassen und wohnt jetzt wieder in ihren eigenen vier Wänden. Eine Beschäftigung hat sie auch gefunden: Montags bis freitags arbeitet sie für zwei Stunden ehrenamtlich bei Undine in der hauseigenen Wäscherei. Das tut sie gern.