»Micky Maus war auch mal rabiat«

Jutta Harms

Das Internationale Comicfestival 2003 in der Berliner Backfabrik, das vom 27. bis zum 31. August stattfindet, deckt ein enorm umfangreiches Spektrum rund um das Thema Comic ab. Es wird genauso um Micky Maus wie um die neuesten Kunstcomics gehen, es wird an Carl Barks erinnert und Art Spiegelman als Gast eingeflogen. Mit Jutta Harms, die bis vor kurzem Teilhaberin des unabhängigen Comicverlags Reprodukt war, heute einen kleinen Mailorder-Vertrieb für ausgesuchte Comics leitet und außerdem für die Messe auf dem Comicfestival verantwortlich ist, sprach Andreas Hartmann.

Das Berliner Comicfestival ist, was das Programm angeht, im Vergleich zum letzten Mal schon arg gewachsen, oder?

Ja, es ist ziemlich groß geworden.

Begrüßen Sie diese Entwicklung?

Selbstverständlich. Es gibt wahrscheinlich Kritik daran, dass wir eine Disney-Ausstellung machen oder dass auf der Messe auch Mangas vertreten sind.

Wie lautet die Kritik?

Es gibt eben immer noch diese unterschiedlichen Fraktionen in der Comicwelt. Einmal die Indie-Leute und dann diejenigen, die finden, dass deren Vorlieben zu abseitig sind. Zwischen diesen beiden Gruppierungen versuchen wir im Grunde einen Balanceakt. Wir haben natürlich ein gewisses Interesse an der Indie-Szene, aber wir wollen nicht den so genannten Mainstream ausschließen, zumal auch so etwas wie unsere Disney-Ausstellung superinteressant ist. Man kann sich gar nicht vorstellen, wenn man diese kleinen Heftchen nicht regelmäßig liest, dass das eigentlich so ein interessanter Kosmos ist. Die Ausstellung beleuchtet die Entwicklung der Disney-Figuren von Anfang an und man sieht dann beispielsweise, dass Micky Maus mal ein ganz rabiater Typ war.

Wäre es nicht auch absurd zu sagen: Es gibt da eine elitäre Comicmesse, die ist nur für elitäre Comicliebhaber? Und dann gibt es noch irgendwelche Comicmessen für Micky-Maus-Junkies oder so etwas. Eigentlich ist die Idee ja genau die, all dies zusammenzuführen.

Letztlich ist es auch so, dass der Markt eben bestimmt wird von so etwas wie Manga. Und Manga ernährt die großen Verlage, und die ernähren wiederum Leute wie auch mich. Ich arbeite als Freiberuflerin für einen der großen Mangaverlage und ich brauche das Geld auch. Außerdem ist das viel interessanter, als die meisten Leute denken. Es lohnt sich auf jeden Fall, sich mal damit zu befassen und nicht immer gleich zu denken: »Iiiih, das ist ja eklig!«

Kommerzialität ist unter beinharten Indie-Comic-Freaks ein rotes Tuch, die haben dann auch ein Problem mit dem Festival?

Dazu kann man sagen, dass das Festival nicht kommerziell ausgerichtet ist. Der Etat kommt zum Teil aus dem Hauptstadtkulturfonds, zum Teil von Sponsoren oder Kooperationspartnern. Dieses Budget muss eingehalten werden, und es wird nichts verdient mit dem Festival. Der Vorwurf der Kommerzialität ist also absolut albern.

Mit dem Festival sollen auch Leute angesprochen werden, die normalerweise nichts mit Comics zu tun haben. Kommen diese Leute erfahrungsgemäß oder bleiben sie trotz aller Promotion eher fern?

Ich denke, Berlin ist ein guter Ort, um auch Leute zu locken, die sich bisher nicht so sehr für Comics interessiert haben. Das hängt natürlich auch mit der relativ guten Ankündigung in den Medien zusammen. Dann kommen auch Familien, weil die denken, ein Comicfestival ist etwas für Kinder, und bestenfalls stellen dann die Erwachsenen fest, dass es auch etwas für sie ist. Oder Menschen, die sich generell für das Programm der Neuen Gesellschaft für Literatur, dem Hauptorganisator des Festivals, interessieren und deren Programm vertrauen, selbst wenn »Comic« über der Veranstaltung steht.

Glauben Sie, dass durch die ganzen Comic-Verfilmungen in der letzten Zeit die Akzeptanz des Mediums Comic zugenommen hat, dass Comics wieder stärker ein Thema sind als noch vor ein paar Jahren?

Das denke ich auf jeden Fall. Bei den Verfilmungen bin ich jedoch eher skeptisch. Die von Daniel Clowes »Ghostworld« beispielsweise hat nicht dazu geführt, dass wir bei Reprodukt mehr von diesem Comic verkauften. Aber dass Comics vielfältig sind und nicht nur aus Superhelden oder lustigen Inhalten bestehen, das spricht sich immer stärker herum.

Da hat bestimmt auch der Comic von Art Spiegelman zum 11. September in der Zeit etwas beigetragen. Einem Bildungsbürgertum wurde gezeigt, dass man mit Comics sogar ein so heikles Thema wie den 11. September bearbeiten kann.

Auf jeden Fall. Gerade Spiegelman ist ein gutes Beispiel. Es ist ja so, dass der Name mittlerweile recht vielen Menschen etwas sagt. Seit seinem Comic »Maus« sowieso.

Dennoch sagen Comic-Theoretiker wie Scott McCloud, dass der große künstlerische Aufbruch im Comic derzeit nicht stattfindet.

McCloud verlangt vor allem, dass Comics mehr ins Digitale gehen müssen. Das ist auf jeden Fall richtig. Ansonsten weiß ich aber nicht, welche Erwartungshaltung es gibt. Anfang der Neunziger gab es diesen großen Aufbruch, Leute haben neue Formen entwickelt und neue Themen für den Comic erschlossen. Das passiert eben nicht so oft. Nun aber gibt es eine Entwicklung in die Breite. An den Hochschulen in Berlin gibt es wahnsinnig viele Leute, die sich mit Comic zumindest mal phasenweise auseinandersetzen. Sie sind dann vielleicht nicht so innovativ, aber sie machen den Comic im Alltag bekannt. So jemand wie Anke Feuchtenberger oder Martin tom Dieck, die immer so gerne herhalten müssen für diesen Aufbruch, die kommen halt nicht jedes Jahr und machen alles neu, so läuft das nicht. Die sind jetzt aber in den Hochschulen alle sehr wichtig, und sie sind diejenigen, die das, was sie entwickelt haben, weitergeben.

Die größten Skandale in Sachen fehlender political correctness finden immer noch bei Comics statt. Wenn Leser der Jungle World so richtig empörte Briefe schreiben, dann deswegen, weil sie Sexismus in unseren Comics entdeckt haben wollen.

Das liegt aber auch an der Jungle World. Eure Leserinnen und Leser nehmen das, glaube ich, alles sehr ernst. Letztlich ist es ja so, dass in den Texten sehr streng darauf geachtet wird, dass eine bestimmte Form gewahrt wird, was ich auch absolut richtig finde. Aber Comics sind ja nicht umsonst eine Spaßzugabe. Doch wenn dann dort plötzlich was Schräges rein läuft, dann kommen die Leute damit nicht klar. Das ist nicht comictypisch, sondern das ist Jungle-World-typisch.

Sie würden also nicht sagen, dass wir die falschen Comics haben, sondern die falschen Leser?

Nicht die falschen, das ist ja okay, dass die so kritisch sind, aber ich würde mir wünschen, dass das alles ein bisschen entspannter wäre.

Es gab vor einigen Jahren ziemlich scharfe Attacken gegen Comics, unter anderem von einem verrückten Verein namens »Mensch Umwelt Tier«. Der hat immer wieder den Staatsanwalt losgeschickt, um Comics zu beschlagnahmen. Einen Verlag haben sie damit in den Ruin getrieben.

Was ich damals allerdings bedauerlich fand, war, dass sich grundsätzlich nur an diesen Vollidioten abgearbeitet wurde. »Mensch Umwelt Tier« ist ein ganz reaktionärer Laden. Eigentlich braucht man sich mit denen nicht groß zu zoffen. Dennoch wäre es angebracht, intern eine Diskussion zu führen, wie mit Zensur umzugehen ist, weil es zum Teil auch ganz arg fiese Sachen im Bereich Comics gibt. Damals jedoch wurde nur die Front nach außen geschlossen, intern aber nicht diskutiert. Das war eine verpasste Chance.