Abschied vom Übervater

Nach 24 Jahren tritt der katalanische Präsident Pujol zurück. Erstmals seit dem Ende des Frankismus scheint ein Regierungswechsel möglich. von inge wenzl, barcelona

Nicht die Wähler werden es sein, die bei den katalanischen Parlamentswahlen am kommenden 16. November das Mandat ihres konservativen Landesvaters nach einem Vierteljahrhundert beenden. Der katalanische Präsident Jordi Pujol nimmt vielmehr selbst den Hut. Und zwar nicht etwa aufgrund eines Skandals, sondern um mit 73 Jahren in den längst verdienten Altersruhesstand zu gehen.

Mit sechs Legislaturperioden übertrifft das eng verschwisterte Parteienbündnis Convergència i Unió unter Präsident Pujol sogar noch den deutsche Ex-Kanzler Helmut Kohl, der es auf 16 Jahre Regierungszeit brachte. Bei den ersten freien Wahlen nach dem Tod des spanischen Diktators Francisco Franco im Jahre 1980 schien es zunächst noch, als würden die Sozialisten gemeinsam mit den Kommunisten das Rennen machen. Doch keine Partei erreichte die absolute Mehrheit. So stellte die Convergència i Unió eine Minderheitsregierung und Pujol landete auf dem Präsidentensessel. In den Wahlen von 1984, 1988 und 1992 erreichte er sogar die absolute Mehrheit. Erst dann begann sein Stern langsam zu sinken.

Als Mann von großer Tatkraft, Pragmatismus und einem ausgeprägten Selbstvertrauen gestaltete Pujol das autonome Gebäude Katalonien in der Form, wie es heute existiert. Die spanische Tageszeitung El País charakterisierte ihn Mitte Oktober in einer Sonntagsausgabe als »rigorosen Vater, der Liebe und Angst hervorruft, aber den man respektiert«.

Sein auserkorener Nachfolger, Artur Mas, wird es nicht leicht haben. Mas muss nicht nur aus dem Schatten der emblematischen Figur Pujols hervortreten. Mit dem ehemaligen Bürgermeister Barcelonas Pasqual Maragall steht ihm zudem ein ernst zu nehmenden Gegner gegenüber. Nachdem der Sozialist bei den letzten Parlamentswahlen den Sprung in die Generalitat, die katalanische Regierung, knapp verfehlte, zeichnet sich für die kommenden Wahlen ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Dieser Eindruck intensiviert sich noch durch den stark personalisierten Wahlkampf. Maragall verkauft sich als die Alternative zu Mas. Keine der beiden großen Parteien scheint es jedoch allein zu schaffen. Zünglein an der Waage könnte die links-nationale Partei Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) sein, die sich noch auf kein Bündnis festgelegt hat.

Als Regierungsszenarien zeichnen sich vor allem zwei Möglichkeiten ab: entweder ein Pakt zwischen der konservativen Convergència i Unió (CiU) und der ERC oder ein Bündnis aus Maragalls Sozialisten mit der ERC und anderen linken Kleinstparteien.

Mit den Sozialisten teilt die links-nationale ERC vor allem ihre linken und sozialen Inhalte. Die Affinität zwischen CiU und ERC dagegen beruht insbesondere auf der nationalen Ausrichtung der beiden Parteien.

Die kleine ERC, die bei den letzten Wahlen knapp 9 Prozent erhielt, geht in ihren Forderungen nach nationaler Selbstbestimmung noch über die Bestrebungen der CiU hinaus. Während die Regierungsparteien nur die autonomen Kompetenzen erweitern wollen, fordert die ERC die Unabhängigkeit Kataloniens. Mittelfristig wendet sie sich von dem zentralistischen Modell Madrids ab und will die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Katalonien und der EU festigen. Solche Bestrebungen dürften allerdings an der Regierung in Madrid scheitern, in der die zentralistische Volkspartei PP die absolute Mehrheit hat.

In Katalonien ist die PP dagegen vergleichsweise bedeutungslos. Eine Fortsetzung der Koalition der konservativen CiU mit der kleinen PP wäre daher zwar denkbar, jedoch unwahrscheinlich. In der auslaufenden Legislaturperiode sind die Differenzen zwischen den beiden Parteien insbesondere in puncto Autonomie nur allzu deutlich geworden, die PP zeichnet sich auch in Katalonien durch ihren klaren Zentralismus aus.

Die Bedeutung des Katalanismus in den Wahlen ist nicht zu unterschätzen. Er hat eine lange Geschichte und lässt sich nicht in das Rechts-Links-Raster pressen. Ähnlich wie die baskische Kultur und Sprache wurde auch die katalanische Identität während der Herrschaft Francos brutal verfolgt und unterdrückt. Pujol selbst wurde 1960 als angeblicher Rädelsführer einer Protestkundgebung gegen den Diktator zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er zweieinhalb absaß. Das trug später zweifellos zu seiner Popularität als Präsident bei. Somit ziehen sich durch die katalanischen Parteienlandschaft zwei Linien: die Horizontale von links nach rechts und die Vertikale von nationalistisch über föderalistisch bis hin zu den Anhängern des Zentralismus.

Neben der zentralen Frage nach mehr Autonomie stehen im Wahlkampf vor allem Bildung, soziale Belange und der reaktionäre Diskurs um mehr innere Sicherheit im Vordergrund. Die Sozialisten nennen die Förderung der Bildung sogar ihr vorrangiges Wahlziel. Dabei machen sie sich im Gegensatz zur CiU vor allem für die Förderung der öffentlichen Schulen stark. In Fragen der Sicherheit der Bürgern propagiert die CiU das New Yorker Modell der »Zero Tolerance« für »schwere Vergehen« wie etwa Vandalismus. Beide großen Parteien wollen außerdem mehr Polizisten einstellen.

Jüngste Umfrageergebnisse zeigen einen Stimmenverlust für die großen Parteien, während die drei kleineren dazugewinnen. Profitieren könnte davon vor allem die Iniciativa Catalunya-Els Verds, die als einzige Partei umfassend für eine nachhaltige Entwicklung eintritt. In ihrem Wahlprogramm finden sich auch feministische Ziele, die über die reinen Gleichstellungsversprechungen der großen Parteien hinausgehen.

Unabhängig davon, wer die Wahlen gewinnt, befindet sich Katalonien in einem zentralen historischen Augenblick. Auch im Fall eines Wahlsieges von Mas steht in der CiU ein Generationswechsel an. Sollten die Linken dagegen die Wahl gewinnen, bedeutet das nicht nur eine neue Regierungspolitik, sondern auch, dass die CiU ihre Politik neu überdenken müsste. Weder Mas noch Maragall können mit einem so tiefen Vertrauen der Wähler rechnen, wie es Pujol jahrzehntelang genossen hat. Deshalb könnte das Ende der Pujol-Ära auch eine Zunahme von politischem Pluralismus und eine Stärkung der Zivilgesellschaft bedeuten.