Alles umsonst im Maritim

Zum Arbeitgebertag in Berlin kamen auch Roland Koch und Michael
Sommer, es gab Proteste, Pfefferspray und die Aussicht auf eine
weitere Deregulierung der Arbeitswelt. von stefan wirner

Draußen gibt’s »Berlin umsonst«. Die Kampagne mit diesem Namen hat zu Protesten gegen den Arbeitgebertag, der am vorigen Donnerstag im Berliner Hotel Maritim stattfand, aufgerufen. »Zeigen wir den Kürzern, wo der Frosch die Locken hat. Schluss mit Schluss! Wir haben Hunger und wir bekommen nur, was wir uns nehmen«, hieß es in dem Aufruf.

Die Meute hat Musikinstrumente mitgebracht: Trompeten, Trillerpfeifen und Kochtöpfe. »Wir haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Durst!« wird besonders gerne intoniert. Aber auch: »Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Bildung klaut!« Einer spielt die Internationale falsch auf seiner Trompete, das amüsiert selbst die Chauffeure in den »BMW Shuttles«, die auf Chefs warten. Hartnäckig versuchen die Protestler, in das Hotel zu gelangen. Die Polizei setzt Pfefferspray und Fäuste ein, um das zu verhindern.

Die Passanten zeigen da schon mehr Verständnis für die 300 Demonstranten, die sie wohl ausnahmslos für Studenten halten. Ein älterer Mann sagt: »Mein Sohn hat den Abschluss gemacht. Notendurchschnitt 1,3. Aber er findet keine Arbeit. So kann es nicht weitergehen. Wenn die Studenten richtig loslegen, werden die da drin sich umsehen.«

Die da drin aber bekommen von den Protesten wenig mit. Harald Krantz, ein Teilnehmer, sagt: »Erst als die Eier an die Scheibe flogen, habe ich es bemerkt. Alle sind betroffen, nicht nur die Studenten. Wenn der Staat marode ist, wo fangen sie da an? Bildung ist nicht der einzige Standortfaktor.« Aber demonstrieren sei das gute Recht der jungen Menschen. Das klingt sehr liberal.

Umsonst gibt es im Hotel Maritim Werbung, Suppe, Cola, Wein, Bier, Salat von McDonald’s, Espresso superieur und alles, was das Herz begehrt. Wahrscheinlich hätte es auch für die Aufständischen gereicht. Aber die will man nicht hören, sondern Roland Koch (CDU), den hessischen Ministerpräsidenten. Er betritt das Podium nach der Begrüßungsrede des Vorsitzenden der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt.

Koch begeistert die versammelten Unternehmer. Er trifft die rechten Worte. Angela Merkels Triumph auf dem Parteitag der CDU in Leipzig wenige Tage zuvor hat nichts zu sagen. Merkel ist noch lange nicht Kanzlerin, nicht mal Kandidatin ist sie.

Kochs Rede wird von Bravo-Rufen und tosendem Beifall unterbrochen, obwohl er für eine Blockade der rot-grünen Reformen im Bundesrat wirbt. Koch will schließlich noch einige Verschärfungen durchsetzen. »Wir müssen vier Mal so viel Freiheit haben wie im Moment«, schwört er die Wirtschaftselite auf sein Programm ein, von dem allein die Zukunft Deutschlands abzuhängen scheint. Doch Kochs Freiheitsbegriff ist recht eng. »Wo sind die schlimmsten Regulierungen? Im Arbeitsmarkt«, schimpft er und fasst das Elend des deutschen Unternehmers in einem Satz zusammen: »Die Ausstiegskosten aus einem Beschäftigungsverhältnis sind größer als der Gewinn, den der Unternehmer damit machen kann.« Der Saal jubelt.

Gegen Gewerkschaften hat Koch im Prinzip nichts einzuwenden, er sieht sie als »Berater, Dienstleister, Kraftzentrum«. Aber es sei »inhuman«, längere Arbeitszeiten zu verhindern. »Die Schicksalsgemeinschaft, die Wachstum haben will, muss legal sein in Deutschland und nicht illegal.«

Am Ende hebt er ab. »Wir brauchen wieder Projekte, die Leuchttürme sind«, sagt er und entwirft ein Szenario, das seines Erachtens eingetreten wäre, wenn Deutschland den Transrapid von Bonn nach Berlin gebaut hätte oder gleich von Paris bis Warschau. Die Chinesen hätten nur so gestaunt, das wäre ein Aufbruch gewesen. Wie damals die Teflon-Pfanne, das Abfallprodukt der Weltraumforschung. Allein, es kam nicht so, aber der deutsche Unternehmer hat wieder eine Hoffnung, sie heißt Roland Koch und will Kanzler werden. Ein bisschen Stuss reicht heutzutage.

Etwas schwerer hat es da schon der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer. Schließlich sind am Tag zuvor die Gespräche über die so genannten tariflichen Öffnungsklauseln zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmerverbänden gescheitert. Die Aufhebung der Tarifautonomie soll es den einzelnen Unternehmern ermöglichen, ohne lange Verhandlungen mit den Gewerkschaftsführern in den einzelnen Betrieben Lohnkürzungen durchzusetzen. Die Gewerkschaften haben diese Herzenssache der Unternehmerverbände wieder einmal eiskalt abgelehnt.

An Sommer kann das aber nicht gelegen haben. Das Handelsblatt schreibt, die Unternehmer machten den Vorsitzenden von Verdi, Frank Bsirske, für das Scheitern der Gespräche verantwortlich, Sommer und der IG Metall-Vorsitzende Jürgen Peters hätten sich kompromissbereit gezeigt.

Das glaubt man sofort, wenn man Sommers Rede auf dem Arbeitgebertag hört. Koch wollte die Herzen der Unternehmer im Sturm erobern, Sommer versucht es mit Betteln und Schmeicheln. »Ohne unser Tarifsystem, ohne den Flächentarif, wäre die Bundesrepublik nicht zu der starken Wirtschaftsmacht geworden, die sie heute immer noch ist. Und dass sie noch ein bisschen stärker werden kann, davon sind wir beide überzeugt«, sagt er, an den Präsidenten des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Martin Kannegiesser, gewandt. Was spricht nach Sommer für die Flächentarifverträge? »Sie sind ein Garant für wenige Streiktage, auch gerade im internationalen Vergleich, für motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genauso wie für erfolgreiche Betriebe.«

Jeden möglichen Vorwurf an die Gewerkschaften sucht er zu entkräften, schließlich tun die Gewerkschaften sowieso alles im Interesse Deutschlands und der deutschen Unternehmer. »Das herrschende Tarifrecht ist ein Instrument, um den Betriebsfrieden zu wahren«, macht er seine Rolle als Dienstleister schmackhaft. »Es gibt nichts Wesentliches, das man nicht im Rahmen des Flächentarifvertrages vernünftig gestalten könnte. Sie und wir, Arbeitgeber und Gewerkschaften, beweisen das mit Dutzenden von Beispielen jeden Tag.« So ist es.

Vielleicht muss ein Gewerkschaftsfunktionär auf dem Arbeitgebertag ja so sprechen. Vielleicht geht es nicht schärfer: »Ich will Sie gerne darauf hinweisen, wie viele Menschen in diesem Land knapp leben.« Sommer schnauft nervös am Mikrophon, und als er prophezeit, dass diejenigen, die die Tarifautonomie antasten wollten, sich »spätestens vor dem Verfassungsgericht eine blutige Nase« holen würden, ist klar, welcher Widerstand von den Gewerkschaften gegen die Aufhebung der Tarifautonomie zu erwarten ist.

Das Gespräch mit Kannegiesser wird ein netter Plausch, man verstehe sich »ausgezeichnet« auf der persönlichen Ebene, schleimt Sommer. Und wenn man Kannegiesser zuhört, seinen Fabeln und Metaphern, dann verlieren selbst die deutschen Unternehmer ihre Schrecken. Die Abschaffung der Tarifautonomie sei doch nur ein Bächlein, in das man sich hineintrauen könne. Sommer zögert: »Ich habe Angst vor Wildwasser.« Deutschland in der Bütt. Kannegiesser bescheinigt Sommer »Respekt dafür, dass Sie sich in die Höhle des Löwen wagten. Ich darf Sie trösten, die meisten Löwen sind nicht mehr das, was sie mal waren.« Koch ist da schon weg.

Die Demonstranten auch. Sie ziehen weiter zum Auswärtigen Amt, mal sehen, wer da ist. Na ja, der BGS. »Es geht nicht nur um Bildung, es geht darum, wie wir in dieser Gesellschaft leben wollen«, sagt eine 32jährige Psychologiestudentin mit zwei Kindern. »Von vielen Leuten höre ich immer wieder, dass sie auf die Studenten setzen.« Und wenn das auch umsonst ist?