Nicht mehr nur Tochter

Aufgewachsen ist die frühere Exilantin Safia Taleb al-Souhail in
einer konservativen Familie. Im neuen Irak will sich die Politikerin
für Frauenrechte einsetzen. von thomas schmidinger

Der Wandel hat begonnen, davon ist Safia Taleb al-Souhail überzeugt. »Vor 20 Jahren durften Frauen niemanden heiraten, der nicht ihr Cousin war«, doch diese Haltung schwinde langsam. Die konservativ-patriarchale Tradition und die frauenfeindliche Gesetzgebung des ba’athistischen Regimes prägen aber noch immer das gesellschaftliche Klima. Und auch für die neuen Machthaber haben Frauenrechte nicht immer die höchste Priorität. Die von ihr befürwortete Einrichtung eines Frauenministeriums ist vorerst gescheitert. »Sie haben nicht genug Geld auftreiben können«, bedauert sie.

Sie selbst hatte die Tradition respektiert und für ihre Heirat die Zustimmung der Stammesältesten eingeholt. Safia Taleb al-Souhail ist die Tochter des schiitischen monarchistischen Sheikhs Taleb, der als Oberhaupt der rund eine Million Menschen zählenden Stammesföderation der Beni Tamim galt. Ihr Vater wurde 1994 vom langen Arm des irakischen Geheimdienstes im libanesischen Exil ermordet.

Al-Souhail verehrt ihren weltoffenen Vater und ist vor allem stolz auf seine oppositionellen Aktivitäten gegen die Terrorherrschaft Saddam Husseins. Sie trat schließlich selbst im Kampf gegen das Ba’ath-Regime in seine Fußstapfen. Seit den späten neunziger Jahren arbeitete sie als Menschenrechtsaktivistin und versuchte, wie viele irakische Exiloppositionelle, die Weltöffentlichkeit auf das Leiden der irakischen Bevölkerung unter der Diktatur des Ba’athismus aufmerksam zu machen. Doch sie ist keine konservative Monarchistin, sondern eher die Vertreterin eines weltoffenen Liberalismus. Auf der Konferenz der irakischen Opposition in London im Dezember 2002 war sie die einzige Frau, die ihre Vorstellungen vor den versammelten Männern präsentierte.

Wie viele Exilirakis kehrte Safia Taleb al-Souhail nach dem Sturz Saddam Husseins in den Irak zurück. Heute versucht sie, sich als parteiunabhängige Politikerin für einen säkularen, demokratischen Irak und die Rechte der Frauen einzusetzen. Im Juni gab es in Bagdad eine große und erfolgreiche Frauenkonferenz, eine kleinere folgte, so al-Souhail, im »sehr konservativen« Süden, wo gefordert wurde, dass 35 Prozent der Sitze im Parlament und in der verassungsgebenden Versammlung für Frauen reserviert werden sollen. Sie hat sich um die Nachfolge der ermordeten ehemaligen Ba’athistin Aqila al-Hashimi im irakischen Regierungsrat beworben und will, sollte sie diese Möglichkeit bekommen, dort eine liberale feministische Position vertreten.

Safia Taleb al-Souhail hat sich eine eigenständige Position jenseits der »großen Familien« erarbeitet. Wie sie, zunächst durch Botengänge für ihren Vater, in die Widerstandsbewegung aufgenommen wurde und in einer von Männern dominierten Opposition mehr und mehr Verantwortung übernahm, schildert sie in der von der österreichischen Journalistin Johanna Awad-Geissler geschriebenen Biographie »Safia« (Droemer Knaur Verlag). Die Perspektive des Buches ist nicht die einer vermeintlichen Objektivität, es ist ganz bewusst aus einer biographischen Subjektivität heraus geschrieben. Dementsprechend ausführlich sind die Schilderungen ihrer Jugend und Kindheit geraten, die teilweise auch einen etwas nostalgischen Blick auf den Irak vor Saddam Hussein eröffnen.

»Safia« ermöglicht nicht nur einen Blick auf die jüngste Vergangenheit des Irak, sondern auch auf das Leben wohlhabender irakischer Oppositioneller. Ihr Leben darf dabei nicht als typisch für alle Exilirakerinnen gesehen werden. Geldsorgen hatte die Familie nie, die prominenten Regimegegner waren jedoch ständig durch den irakischen Geheimdienst gefährdet, der auch in Jordanien, im Libanon und in anderen arabischen Staaten präsent war. Als Herausgerberin der Zeitschrift al-Manar al-Arabi erhielt Safia Taleb al-Souhail noch im vergangenen Jahr mehrere Morddrohungen.

Die Biographie berichtet auch Insidergeschichten von gescheiterten Putschversuchen und von den Auseinandersetzungen innerhalb der irakischen Opposition. Auf Ahmed Chalabi etwa, der sich lange Zeit als Oppositionsführer präsentierte, ist sie nicht gut zu sprechen. Sein 1999 gebildetes Exilparlament trat nur ein einziges Mal zusammen, und weder die schiitischen Parteien Sciri und Da’wa noch die Kommunistische Partei beteiligten sich, da sie nicht unter dem Schutz der USA für einen befreiten Irak arbeiten wollten.

»Wir waren nicht davon begeistert, dass uns ausgerechnet die USA von Saddam Hussein befreit haben. Hätten uns die arabischen Staaten befreit, hätten wir nicht mit den USA zusammenarbeiten müssen«, erklärte Safia Taleb al-Souhail auf ihrer Pressekonferenz in Wien. Vor allem aber ist sie enttäuscht von Europa und den »arabischen Brüdern«, die »sich nie für unser Leiden interessiert haben«. Nun hätten jene Araber, die selbst jede Unterstützung im Kampf gegen Saddam verweigerten und damit erst die Zusammenarbeit der irakischen Opposition mit den USA notwendig machten, sogar noch den Zynismus, den irakischen PolitikerInnen vorzuwerfen, mit der Bush-Administration zu »kollaborieren«.

Enttäuscht ist al-Souhail auch von den europäischen Staaten, die mit dem ba’athistischen Terroregime zusammenarbeiteten. Ein ganzes Kapitel ihrer Biographie ist der Krebsbehandlung des früheren irakischen Innenministers Essat Ibrahim al-Douri, des Vaters des irakischen Biowaffenprogramms und zuletzt stellvertretendem Vorsitzenden des Revolutionären Kommandorates, im August 1999 in Österreich gewidmet. Bemühungen einiger Menschenrechtsorganisationen und des grünen Abgeordneten Peter Pilz, diesen Mitverantwortlichen für die Massenmorde an KurdInnen festnehmen zu lassen, blieben erfolglos. »Die österreichischen Behörden stellten sich auf den Standpunkt, al-Douri sei als Mitglied der irakischen Staatsführung gegen Verhaftung immun, und setzten ihn ins nächste Flugzeug nach Jordanien.«

Heute, so al-Souhail, sollten die EuropäerInnen ihren Konflikt mit den USA nicht auf dem Rücken der Irakis austragen und endlich den Wiederaufbau des Landes unterstützen, anstatt sich klammheimlich über die Anschläge der Ba’athisten und der al-Qaida zu freuen. Auch die Berichterstattung europäischer Medien über den Irak sieht sie in diesem Kontext: »Die europäischen Medien berichten nur über die Anschläge, aber nicht über die Fortschritte, die wir im Irak machen. Es scheint, als gönnten die Europäer den Irakern den Aufbau eines demokratischen Staates nicht, weil sie gegenüber den USA Recht behalten wollen.«