Endlich ohne euch

Nach Jahren des Elends wird das Grazer Filmfestival »Diagonale« dieses Jahr autonom veranstaltet. von amon brandt

Wolfgang Ainberger ist verzweifelt. Kein Wunder: Das Filmvolk der Alpenrepublik hat sich geschlossen geweigert, dem Festival, dessen Kurator er ist, seine Filme zur Verfügung zu stellen. Schlimmer noch: Es weigert sich sogar, den Namen seines Festivals in den Mund zu nehmen. Und warum das Ganze? Ainberger weiß die Antwort: »Es wurden nur Beziehungen zur Wirtschaft gesucht und die Kreativen als Spinner gesehen.« So herrscht er seinen Vorgesetzten Tillmann Fuchs an: »So etwas bekommt sogar ein Blinder mit!« Fuchs, Geschäftsführer der so genannten »Diagonale neu« schmeißt ihn daraufhin hochkant raus.

Diese Szene fand vor drei Monaten statt. Seitdem ist klar: Ainberger hat das sinkende Schiff rechtzeitig verlassen. Die »Diagonale neu« ist tot. Es lebe die »Diagonale«! Denn die findet statt: autonom und von den FilmemacherInnen organisiert.

Franz Morak, Kulturstaatssekretär der schwarz-blauen Regierung und oberster Sponsor des Grazer »Festivals des österreichischen Film«, ist schon in den letzten Jahren eine Persona non grata gewesen. Das letzte Mal versuchte er sich 2000 Zutritt zu verschaffen – kurz nach Regierungsübernahme seiner konservativen Volkspartei zusammen mit Haiders Freiheitlichen. Zwar war er dezidiert von der Festivalleitung ausgeladen worden, und im Katalog wurde seine Regierung zur unverzüglichen Aufgabe aufgefordert. Als all das auch nichts half, wurde er mit Buhrufen der Filmmeute des Festivalsaales verwiesen.

Morak hat also einige Rechnungen offen – mit einem Festival, das sich in den letzten Jahren als eines der wenigen Zentren oppositioneller Öffentlichkeit in Österreich etablieren konnte und das auch von der radikalen Linken bespielt wurde: Aktivistische »Widerstandsfilme« gegen die rechtspopulistische Regierung erhalten hier ebenso eigene Schienen wie das »No-Border«-Netzwerk.

Vielen anderen Initiativen wie den freien Radios wurde der Hahn zugedreht. Und Morak, seines Zeichens auch Medienstaatssekretär, ließ den ORF mit geschickter Gesetzgebung noch mehr auf Staatsfunk trimmen, als er es ohnehin schon war.

Doch dann sollte auch die Diagonale mundtot gemacht werden. Mit äußerst brachialen und dubiosen Winkelzügen entmachtete Morak Anfang letzten Jahres den Trägerverein des Festivals und gründete im Verband mit Managern konservativer Medienkonzerne einen neuen, der fortan seine finanzielle Unterstützung genießen durfte. Nicht nur ließ er die Filmförderung zusammenstreichen und das frei werdende Kapital in eine hoch dotierte Fernsehwirtschaftsförderung umwidmen, mit der »Diagonale neu« enteignete er sie auch symbolisch.

Die »Diagonale neu« sollte dennoch ein Filmfestival werden, das sich gegenüber den unbekannten Nachbarn im Osten öffnet. Diese Tendenz wider den Provinzalismus zeichnete sich bereits in den vergangenen Jahren ab.

Schlimm wurde es jedoch erneut, als Morak Miroljub Vuckovic einsetzte. Dessen Treue konnte er sich sicher sein, hatte dieser doch als Intendant des Belgrader Filmfestivals zehn Jahre unter Milosevic Stehvermögen bewiesen.

Vuckovic – ein Mann fürs Grobe. Und Grobes sollte er auch in Österreich durchsetzen: Ausgestattet mit einem Budget, das das kleine Festival in eines mit hegemonialer Stellung gegenüber den EU-Beitrittsländern hochstilisieren hätte sollen, sollte hauptsächlich ein »Marktplatz« für Filme geschaffen werden, auf dem politischer Diskurs fehl am Platze ist und Ästhetik allenfalls unter der Prämisse ihres Warenwerts verhandelbar wäre.

Doch Vuckovic und dessen Pläne scheiterten. Denn die Film-Community hat alle Register des Widerstands gezogen, die ihr zur Verfügung standen: innere Solidarität, internationale Solidarität, nationalistische Polemik, politische Vernetzung. Als in einer anarchistisch anmutenden Zusammenkunft während des Wiener Filmfestivals »Viennale« im Oktober letzten Jahres das Gegenfestival »originale Diagonale« beschlossen wurde, war Moraks Projekt in einer beispiellosen Kampagne bereits sturmreif geschossen. Es war derart unmöglich gemacht worden, dass sogar Volkspartei-nahe Konzerne und Wirtschaftsverbände als Sponsoren absprangen und bei der Konkurrenz buchten. Auch die Stadt Graz mit ihrer rot-grün-kommunistischen Mehrheit im Stadtrat entzog Morak die Gefolgschaft.

Alexander Dumreicher-Ivanceanu, dessen kleine Produktionsfirma »Amour Fou« in den letzten Jahren die meisten international beachteten Filme aus Österreich herausbrachte und deshalb von vielen FilmkünstlerInnen als Gegenmodell zum Morakschen Traum einer österreichischen TV-Industrie betrachtet wird, sammelte mit seinem kleinen Team unbezahlter Freiwilliger über eine halbe Million Euro für die »originale Diagonale« und grub so Morak und Vuckovic das Wasser ab. Moraks Leute haben das Weite gesucht, sein Verein ist aufgelöst, er selbst steht vor einem Schaden von 385 000 Euro.

Er muss nun außerdem ertragen, dass ab diesem Mittwoch ein Festival ohne ihn und gegen ihn stattfindet. Wenigstens dieses Mal nicht mit seinem Geld. Ansonsten ist die Zwischenbilanz dieses politischen Kampfes zwiespältig. Zwar können die erzeugte Solidarität innerhalb der Community sowie die Schaffung von Öffentlichkeit als symbolischer Erfolg verbucht werden, doch ist in der Hitze des Gefechts auch ein nicht unwesentlicher Schaden entstanden: Oft ist in österreichischer Manier unreflektiert auch von Links die nationale Karte gespielt worden, um Empörung auszulösen. Vuckovic wurde von einigen Seiten gar als »Balkanisierer« bezeichnet und seine mangelnden Deutsch-Kenntnisse wurden ins Lächerliche gezogen.

Entschädigt wird man dafür allerdings mit einer Werkschau Goran Markovics, eines oppositionellen Filmkünstlers aus Vuckovics Heimat. Ansonsten fehlen dem Programm jedoch weitgehend die Diskurse und radikalen Positionen zu sozialpolitischen Thematiken. Trotz seiner Autonomie wurde das Festival weitgehend zurückgestutzt auf das Niveau einer Leistungsschau österreichischen Kulturschaffens.

Letztlich ist noch nicht einmal ein Sieg über die Kommerzialisierung der »Diagonale« errungen. Schließlich trägt sich das Festival vor allem durch findig angeworbene Sponsoren, während das Festivalteam unentgeltlich arbeitet. Prekäre Arbeitsverhältnisse sind den FilmemacherInnen nicht fremd. Viele von ihnen müssen sich in Nebenberufen verdingen, um sich über Wasser zu halten. Exakt derartige Problematiken zu thematisieren und sich aus der kulturnationalen Falle wieder zu befreien, würde vonnöten sein, um die »Diagonale« wieder zum sozialpolitisch relevanten Seismographen zu machen und dem Provinzialismus zu entrinnen, den man willentlich in Kauf genommen hat.

»Die Originale Diagonale – Festival des österreichischen Films«, 3. – 7. März 2004, Graz.