Standortdebatten

In Leipzig wird zum dritten Mal die Independent-Musikmesse Pop Up stattfinden.
Sind hier die Guten wirklich unter sich? von ove sutter

Es gab mal eine Zeit im Popgeschäft, da bekam man wenigstens einmal jährlich die Chance, Gut und Böse auseinander zu halten. Immer dann, wenn die Popkomm nach Köln rief, erlagen die Kopfgeldjäger der Musikindustrie der Versuchung aus Koks und Kaviar und begaben sich auf den Weg in die rheinische Metropole. Die Guten des echten Undergrounds feierten derweil in ihren Keller-Clubs topgeheime »Anti-Popkomm-Partys«, auf denen man das seltene Vergnügen genoss, mal wieder gut sortiert unter sich sein zu dürfen.

Doch nach mittlerweile zwölf Jahren hat die Anziehungskraft der größten europäischen Fachmesse für Popmusik und Entertainment trotz Standortwechsel nach Berlin und der damit erhofften Medienwirksamkeit durch den Hauptstadt-Hype deutlich nachgelassen. Stattdessen etabliert sich mit der Pop Up in Leipzig eine Independent-Musikmesse, die angesichts ihres immer erlauchteren Teilnehmerkreises inzwischen als echte Alternative zur Popkomm gehandelt wird.

Vom 6. bis zum 9. Mai werden sich tagsüber an circa 120 Ständen neben etablierten Independent-Labels wie Buback, Kitty Yo und Ladomat auch weniger bekannte Plattenproduzenten einfinden, da es den Veranstaltern nach Worten ihres Pressesprechers Jörg Augsburg vor allem wichtig ist, »den ganz kleinen Labels eine Plattform zu geben«. Nach Sonnenuntergang sollen die Live-Bühnen dementsprechend auch von Acts gefüllt werden, die ansonsten noch gelegentlich das Flair autonomer Jugendzentren zu spüren bekommen und deren Plattenreviews vor allem in schwarzweiß kopierten Fanzines zu lesen sind.

Die Messe hat dabei nicht das Ziel, »Profit zu machen, sondern Netzwerke zu schaffen und die Leute zueinander zu bringen« sowie zu zeigen, »dass man mit viel Enthusiasmus und Selbstausbeutung etwas auf die Beine stellt«, so Dennis Schmidt, einer der Veranstalter der Pop Up. Damit es aber nicht bei diesem halbironischen Bekenntnis zu unbezahlter Arbeit bleibt, will man sich im Rahmen so genannter Foren diversen Themen des Independent-Musikgeschäfts widmen. Im Einleitungstext der Pop-Up-Programmzeitung fragt man sich denn auch, ob 50 Jahre Popmusik überhaupt irgendetwas bewirkt haben, und kommt zu dem Ergebnis: »Man kann inzwischen sein eigenes Leben leben, ohne sich dem System komplett zu beugen. Man wird nicht reich, man verkauft ein paar Platten und mit viel Glück reicht es zum Leben.«

Um solchen offenbar erstrebenswerten Lebensentwürfen nachzuspüren, will man sich auf der Messe unter der Überschrift »D.I.Y. Die Alternative zur Alternative?!« dem Do-It-Yourself-Gedanken, wie er in den achtziger Jahren aus der politisierten Hardcore- und Punk-Bewegung hervorging, ausführlicher widmen. DIY wird von den Veranstaltern als »wirklich unabhängiger Umgang mit Musik« verstanden, in dem Platten mehr als lediglich Produkte sind. Jedoch drängt sich an dieser Stelle nicht nur die Frage auf, was denn eigentlich »wirklich unabhängig« bedeuten soll, sondern vor allem auch, wo genau dieser Ort jenseits kapitalistischer Sphären liegt, an dem die Produzenten der DIY-Szene ihr selbst bestimmtes Engagement zu entfalten glauben.

Wer schon mal persönliche Bekanntschaften mit DIY-Existenzen pflegte, denen ausnahmsweise keine finanzkräftigen Eltern im Nacken saßen, dem wird angesichts des aufgezwungenen Purismus dieser Szeneaktivisten alles andere als der Gedanke zur Nachahmung gekommen sein. Den meisten Punkscheiben sieht man nicht an, dass ihre Macher tagsüber die Schulden beim Plattenpresswerk durch Jobs bei McDonald’s abtragen und am Abend auf Konzerten noch Überstunden hinter der eigenen Plattenkiste schieben. Hier wird die eigene Ware dann zu Dumpingpreisen verscherbelt, bei denen selbst der »Media-Markt« die Segel streichen müsste.

Man sollte der zu erwartenden Gesprächsrunde zu bedenken geben, dass vermeintliche Gegenkultur als symbolische Dissidenz immer schon Gefahr lief, eine Schlüsselrolle im Prozess kapitalistischer Reorganisation zu spielen. Nur allzu oft blieb die Ökonomie ihr blinder Fleck, so gut gemeint und sympathisch die Intentionen auch sein mochten.

Die Gemeinsamkeiten zwischen solchen DIY-Mythen, wie sie von den Machern der Pop Up aufgegriffen werden, und der ausbeuterischen Lohnarbeitswelt wurden selten deutlicher als im derzeit angesagten Unternehmensmodell der Ich-AG. Hier wird selbst der erniedrigendste Job noch zu etwas, das einen aufgrund der täglichen 24 Stunden Einsatzbereitschaft zur Selbstverwirklichung zwingt. Dafür wenigstens ein gut gefülltes Konto auf der Bank zu besitzen, verspricht einem allerdings niemand mehr. Stattdessen soll das Gefühl schon Lohn genug sein, ganz allein und selbstständig dafür Sorge tragen zu können, noch ein Dach über dem Kopf und ausreichend Aldi-Wurst im Kühlschrank zu haben.

Doch ist DIY-Kultur nicht das einzige Thema von Gesprächsrunden auf der Pop Up für politisch interessierte Musikaktivisten. Unter dem Titel »Neue Alte Heimat. Eine Selbstbestimmung zwischen Kiez-Verbundenheit und ›Neuer Deutscher Identität‹« soll ein weiteres Mal die »Mia-Debatte« angefeuert werden. »Wenn sich plötzlich eine Band wie Mia hinstellt und Leute anspricht, die sich für cool und hip halten, muss man schon mal fragen, was die eigentlich wirklich wollen«, so Augsburg. Liest man die Ankündigung im Begleitheft, fällt einem vor allem auf, wie sehr sich die Veranstalter im Vorfeld der Diskussion um Neutralität bemühen: »Bis zum heutigen Tag äußerten sich Pro- wie Kontra-Protagonisten vor allem zurückgezogen innerhalb ihrer eingeschriebenen Territorien. Eine Debatte zwischen Streit und Annäherung wurde bislang in der geplanten Ausführlichkeit noch nicht geführt.«

Jedoch ist einem, nach den Worten von Augsburg, »die Neutralität nicht leicht gefallen«, da man selber noch über ausreichend Geschichtsbewusstsein verfügt, um Nationalismus und Popmusik für eine ablehnenswerte Verbindung zu halten. So fragt man sich als Leser der Vorankündigung, was denn bei einer solchen angestrebten »Annäherung« der jeweiligen Lager herauskommen soll. Warum ein weiteres Mal der »gemäßigteren« Verbindung von coolem Outfit und stumpfer Deutschtümelei ein Forum bieten, anstatt sich von Anfang an eindeutig zu positionieren? Bleibt zu hoffen, dass einige der auf der Pop Up gastierenden Musiker dieser Diskussionsrunde einen Besuch abstatten werden, um zu demonstrieren, dass die Offenheit der Independent-Branche für schwarz-rot-goldene Modeartikel sich in engen Grenzen hält. Kandidaten wären da zum Beispiel die auf der Messe anwesenden Stella, die während des Jugoslawienkrieges mit ihrer eindeutigen Opposition gegen den erneuten Einmarsch deutscher Truppen positiv in Erscheinung traten. Vielleicht werden sie ja der lockeren Gesprächsrunde beiwohnen und ihr Versprechen einlösen, den »Finger on the Trigger« notfalls auch zu betätigen, wenn es denn den Richtigen trifft.