Lieber faul als prekär

Den sich vermehrenden Formen prekärer Arbeit muss mit einer Kritik
an der Arbeit an sich begegnet werden. von karl-heinz lewed

So haben sich die Ideologen der modernen Dienstleistungsgesellschaft die Zukunft nicht vorgestellt: Arbeitshetze ohne Absicherung, Ausbeutung in Klitschenbetrieben, Leiharbeit bei obskuren Vermittlungsagenturen, Niedriglöhne für Servicekräfte, Ich-AGs und Eigenvorsorge als Zwangsinstrument der Arbeitsverwaltung. Spätestens nach dem Absturz der New Economy ist offenkundig, dass Flexibilisierung, Individualisierung und Outsourcing keine Versprechen, sondern immer Drohungen waren und für die Mehrheit nichts anderes bedeuten als Armut und prekäre Arbeitsverhältnisse.

Doch nicht nur Beschäftigte im Dienstleistungsbereich sind von der Senkung sozialer Standards betroffen. Bekanntlich erstreckt sich diese Tendenz auf große Teile der Gesellschaft in den westlichen Metropolen. Von der Peripherie spricht ohnehin keiner mehr. Allerdings gibt es Beschäftigungssegmente, in denen ein besonders hohes Maß an Deregulierung, Niedriglöhnen und Prekarisierung herrscht, wie im Reinigungs- und Gaststättengewerbe, bei Hausangestellten oder in der Altenbetreuung. Dabei ist es kein Zufall, dass in diesen Bereichen oft Migranten unter miserablen Bedingungen beschäftigt sind, ohne jede rechtliche oder tarifvertragliche Absicherung.

Gegen diese unzumutbaren Arbeits- und Lebensbedingungen regt sich Protest. Der Kongress vom vergangenen Wochenende in Dortmund unter dem Motto »Die Kosten rebellieren« ist ein Beispiel dafür. Veranstalter waren Labournet Germany, einzelne Gewerkschafter, vor allem von Verdi, und antirassistische Gruppen wie »Kein Mensch ist illegal«.

Wegen der Notwendigkeit unmittelbar praktischer Gegenwehr ist es aber nötig, das theoretische wie praktische Bezugsfeld des Protests und den »Gegner« näher zu bestimmen. Der Denkhorizont des linken Klassenbewusstseins, für den die Prekarisierung wieder einmal als Resultat des »Kampfverhältnisses zwischen den Klassen« erscheint, wie man bei Labournet meint, kann das Problem der prekären Beschäftigungsverhältnisse mit dem unreflektierten und positiven Bezug auf die Arbeit nicht angemessen erfassen. Vielmehr verweist die Prekarisierung auf eine grundsätzliche sozialökonomische Entwicklung, in der nicht nur bestimmte Arbeitsverhältnisse prekär werden, sondern die Arbeit an sich. Der grundsätzliche Krisenprozess, der die Grundlage der kapitalistischen Verwertung untergräbt, geht dabei mit einer Verschärfung des Ausschlusses und der sozialen Desintegration einher.

Ein Ausdruck dieser Krise ist, dass als Folge der ungeheuren Produktivkraftentwicklung seit den siebziger Jahren die Nachfrage nach verwertbarer Arbeitskraft in den industriellen Kernsektoren kontinuierlich abnimmt. Zugleich zeigt sich immer deutlicher, dass der Dienstleistungssektor keinesfalls die ersehnte Perspektive bieten kann. Im Gegenteil, die Elendswelt der modernen Dienstleistungen ist ein nachgeordneter Bereich, der von der abnehmenden Masse produktiv verwerteter Arbeitskraft abhängig bleibt.

Dieser Sektor stellt demnach nicht den Übergang zu einem neuen Modell kapitalistischer Akkumulation dar, sondern hat u.a. die Funktion, den Herausgefallenen auf prekärem materiellen Niveau eine Scheinperspektive zu bieten. Im Sinne der kapitalistischen Unverantwortlichkeit für das nicht verwertbare Arbeits- und Menschenmaterial sollen die Überflüssigen unter Maßgabe der »Eigenvorsorge« dort ihr Auskommen suchen, indem sie etwa den in den zentralen Sektoren verbliebenen »Leistungsstarken« gewisse Tätigkeiten wie Kinderbetreuung, Haushaltsführung oder auch einfach das Schuheputzen abnehmen. Staatliche Unterstützung gibt es allenfalls auf Armutsniveau, verbunden natürlich mit dem Zwang zu stetiger Arbeitsbereitschaft.

Neben der Herausbildung des prekären Dienstleistungsbereichs in den Metropolen verweist der Aspekt der Migration auf eine andere Ebene der Desintegration des Systems der abstrakten Arbeit. Die globale Ausdehnung des Kapitalismus führte in der Peripherie nie zu einer Integration über die Vernutzung von Arbeitskraft. Meist blieb die staatlich induzierte »nachholende Modernisierung« auf einem relativ niedrigen Niveau stecken. Seit den siebziger Jahren hat sich die Situation insofern verschärft, als die Länder des Trikont in der global sich ausrichtenden Konkurrenz unter die Räder gerieten.

Ganze Subkontinente, wie Afrika südlich der Sahara, sind mittlerweile von der globalen Wertschöpfung so gut wie ausgeschlossen. Diese Exklusion eines Großteils der Weltbevölkerung stellt gegenwärtig den wichtigsten Grund für Migrationsbewegungen dar. Allerdings treffen die Migranten auf eine entscheidende Veränderung in den Metropolen. Nach dem Ende der fordistischen Expansion in den fünfziger und sechziger Jahren mit ihrem enormen Bedarf an Arbeitskraft und dem Anwachsen internationaler Arbeitsmigration in die Metropolenregionen ging man dort konsequent zu einer Politik des Ausschlusses über. Allenfalls einer kleinen, gut ausgebildeten Schicht von High-Tech-Arbeitern wird noch zugestanden, mögliche Lücken in den hochproduktiven Sektoren der Wertproduktion zu schließen.

Nicht nur in Europa, auch in den USA wurden seit den siebziger und insbesondere seit den neunziger Jahren immer restriktivere Einwanderungsbestimmungen durchgesetzt, und so wurde die Migration illegalisiert. Falls den Migranten der Grenzübertritt gelingt, finden sie meist nur in jenen Bereichen eine Beschäftigung, die erst im Zuge des Krisenprozesses entstanden sind: in den prekären Klitschen der Dienstleistungsgesellschaft. Man könnte deswegen auch von verschiedenen Stufen einer Exklusionsskala sprechen. Die Migranten wechseln aus den herausgefallenen Regionen der Weltökonomie in die Prekarität der deregulierten Arbeitsverhältnisse der Metropolen.

Nur konsequent verbinden sich diese abgestuften Mechanismen des Ausschlusses mit den Grundprinzipien der Ausschlusslogik im Kapitalismus: der Geschlechterhierarchie und dem Rassismus. Wurden im Kapitalismus schon immer bestimmte Tätigkeiten gering geschätzt, etwa die Hausarbeit, und Frauen oder Nichtweißen zugeordnet, so verschärft der Prozess der Prekarisierung diese Logik. Der Ausschluss stellt sich so als doppelter dar. Das ökonomische Herausfallen aus der produktiven Verwertung der Arbeit folgt strukturell geschlechtshierarchischen und rassistischen Mustern.

Gerade weil dieser Prozess unmittelbar Folge der Veränderungen der Grundlage kapitalistischer Verwertung ist, bleibt der Versuch einer Gegenwehr mit der Perspektive der Reintegration in das System von Arbeit und Recht als Ausrichtung linker Politik so aussichtslos. Eine Kritik an den kapitalistischen Zumutungen muss deshalb jenseits der Warenform erfolgen. Dabei muss die grundsätzliche Erkenntnis ins Zentrum rücken, dass der Kapitalismus zwar das Potenzial zur Reichtumserzeugung hochgradig steigert, immer mehr Menschen aber von der Teilhabe daran ausschließt.

Die Tendenz, die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zur Erzeugung von Waren zu reduzieren, bedeutet im System der Arbeit schlicht, beständig die Zahl derjenigen zu vermindern, die Zugang zu diesen Gütern haben. Für einen emanzipativen Ansatz heißt dies aber, dass es eine Partizipation am gesellschaftlichen Reichtum nur jenseits von Arbeit und Geld geben kann. Es gilt, sich die stofflichen Ressourcen direkt anzueignen und die Reichtumsproduktion vom Diktat der Form zu befreien. Das Gegenteil prekärer und irregulärer Arbeitsverhältnisse sind deswegen nicht reguläre, sondern gar keine.