Mehrheiten gesucht

Regierungskrise in Tschechien

Die Tschechen durchleben derzeit turbulente Tage. Dabei dürfte allerdings das überraschende Ausscheiden ihres Teams im Halbfinale der Fußball-EM gegen die Griechen mehr geschmerzt haben als der Rücktritt des seit langem unbeliebten Premierministers Vladimir Spidla. Seine sozialdemokratische Partei CSSD wurde bei der Europawahl von den Wählern nur mit dramatisch schlechten acht Prozent der Stimmen bedacht. Weit vor der CSSD landeten die rechtskonservative ODS und die Kommunistische Partei KSCM. Somit haben in Tschechien bei dieser Wahl die Europaskeptiker das Rennen gemacht.

Die Niederlage der Sozialdemokraten wird in erster Linie Ex-Premier Spidla angekreidet. Insbesondere die Gruppe um seinen Vorgänger Milos Zeman übt scharfe Kritik an dem »asozialen Verrat« Spidlas am Programm der Sozialdemokratie.

In der Tat peitschte die Regierungskoalition aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und der liberalen Freiheitsunion ein so genanntes Reformprogramm durch. Dazu gehört beispielsweise auch die massive Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. Mai dieses Jahres, welche die Lebenshaltungskosten in die Höhe getrieben hat. Viele Tschechen haben bei der Europawahl auch ODS oder die Kommunisten gewählt, weil diese im Wahlkampf nationalistisch argumentierten und insbesondere Ängste vor dem Verlust nationaler Souveränität an die EU schürten.

Die nunmehr anstehende Regierungsbildung wird sich überaus kompliziert gestalten. Am Freitag betraute Präsident Vaclav Klaus den neuen Vorsitzenden der CSSD und Innenminister, Stanislav Gross, mit der Kabinettsbildung. Gross ist erst 34 Jahre alt und hat eine steile Karriere gemacht. Ob die Kabinettsbildung erfolgreich sein wird, steht in den Sternen, denn die Lage im Parlament ist unübersichtlich. Bereits Spidla konnte sich nur auf eine hauchdünne Mehrheit von 101 zu 99 Stimmen stützen. Eine eindeutige Mehrheit hätte Gross nur, wenn er eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten vereinbaren würde.

Der KSCM-Chef Miroslav Grebenicek hat bereits seine Unterstützung zugesichert und generös auf Ministersessel verzichtet. Diese Variante gilt allerdings als unwahrscheinlich, da eine Rückkehr der Kommunisten an die Macht die tschechische Gesellschaft tief spalten würde. Als möglich erscheint Beobachtern in Prag, dass Gross eine so genannte Expertenregierung anbietet. Präsident Klaus scheint allerdings eine umfassende Kabinettsumbildung zu bevorzugen. Seine Partei, die ODS, drängt ihn allerdings dazu, Neuwahlen noch in diesem Jahr anzustreben. Offiziell lehnt er das ab, da das eine weitere Destabilisierung der politischen Situation in Tschechien nach sich ziehen würde.

Ernennt Klaus ihn zum Premier, muss Gross anschließend im Parlament eine Mehrheit für das Regierungsprogramm finden. Möglich ist eine Minderheitsregierung aus CSSD und der christdemokratischen Volkspartei. Egal, wie das Rennen ausgeht, bleibt eine Regierung Gross eine Übergangslösung, die in ihrer Handlungsfähigkeit im hohen Maße beschränkt ist.

matthias gärtner