Freundliche Panther

Ein neues Buch beschreibt die Geschichte der US-amerikanischen
Bürgerrechtsbewegung. von jens kastner

Die Geschichte der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA ist geprägt von gewaltfreien Aktionen und zivilem Ungehorsam. Sit-In und Teach-In sind in diesem Kontext erfunden worden, und die ein oder andere Busfahrt in den Südstaaten machte mehr Furore als so mancher Riot ein paar Jahre später. Dennoch ist die Geschichte der Organisationen, die diesen Widerstand gegen die rassistische Unterdrückung gebündelt und getragen haben, im deutschsprachigen Raum bisher kaum erzählt worden. Vor allem die Faszination für die militanten Gruppen wie die Black Panther Party hat hier das Publikationswesen bestimmt, obwohl – und das glaubt man dem Autor Clayborne Carson gerne – die gewaltfreien AktivistInnen mindestens ebenso schlagfertig und dazu noch besser organisiert, antiautoritär strukturiert und massenkompatibler waren.

Carsons Studie beschreibt die Geschichte des afroamerikanischen Aufbruchs in den sechziger Jahren anhand des »Student Nonviolent Coordinating Committee« (SNCC). Er schildert den Beginn einer Bewegung, deren Aktivismus sich vor allem auf Gandhis Gewaltfreiheit berief. Anfangs nur die studentischen Proteste in den Südstaaten koordinierend, wuchs das SNCC im Laufe der frühen sechziger Jahre zu einer Massenorganisation an. Vor allem mit den Methoden des organisierten zivilen Ungehorsams wurde das System der Segregation herausgefordert. Die Regierung Kennedy galt dabei zunächst noch als legitime Instanz, an die Forderungen gerichtet wurden und von der Hilfe erwartet wurde. Doch bereits ab 1962 wurden auch die Demokraten in Washington als Komplizen der rassistischen Unterdrückung in den Südstaaten denunziert, ohne allerdings als Bündnispartner vollkommen diskreditiert zu sein.

Die Radikalisierung wurde aus der Sicht Carsons nicht durch die Autorität und das Charisma radikaler Einzelner ausgelöst, die eine aktive Masse hinter sich zu scharen wussten, sondern die Bewegung selbst war es, die die Einzelnen inklusive ihrer späteren Anführer radikalisiert hat. Die Ursache für diese Radikalisierung war ein Konglomerat aus sozialer Ausgrenzung und kultureller Bewusstwerdung. Nicht zuletzt die starke christliche Motivation vieler AktivistInnen der Anfangszeit sorgte dafür, dass auch die später formulierten sozialrevolutionären Ziele immer an die moralische Integrität Einzelner gebunden blieben. Die Entwicklung von der Anti-Segregation über die Bürgerrechtsforderung zu Black Power und dem schwarzen Nationalismus erscheint in Carsons Perspektive nicht wie eine logische Radikalisierung, sondern als ein widersprüchlicher, umkämpfter Prozess. Und als ein Weg, auf dem sich die direkte gewaltfreie Aktion im Gegensatz zu später hegemonialen Aktionsformen – bzw. den Ideen dazu – nicht nur als die basisdemokratischere, sondern auch als die wirkungsvollere erwiesen hat. Allerdings wurde die spätere gesetzliche Durchsetzung von Bürgerrechtsforderungen, wie Carson erstaunt feststellt, von der Bewegung selbst kaum als Erfolg wahrgenommen.

Als das SNCC sich ab Mitte der sechziger Jahre gegen den Vietnamkrieg stark machte, geschah dies nicht mehr nur »vor dem Hintergrund eines Bekenntnisses zur Gewaltfreiheit«, sondern war durchaus antiimperialistisch motiviert. Dennoch war das Bündnis mit linksradikalen Weißen ein sehr labiles. Denn die kulturellen Grundlagen des Rassismus wurden von diesen nur selten thematisiert. Die ersten separatistischen Stimmen innerhalb des SNCC stellten ihn vor eine Zerreißprobe: Ging es den einen um die Erweiterung des aktionsbezogenen Kampfes, plädierten die anderen mehr und mehr für die Entwicklung nationalistischer Werte.

Diesen Konflikt schildert Carson sehr ausführlich am Beispiel der Auseinandersetzungen um den scheinbar so griffig einfachen Slogan »Black Power«. Verhinderte dieser eine klassenbasierte Bündnispolitik mit weißen Liberalen, so war er auch nicht dazu geeignet, die schwarze Community zu einen. Zum einen als Aufruf zur bewaffneten Rebellion gegen das System interpretiert, konnten sich doch auch »schwarze Kapitalisten« damit identifizieren. Ein Gegensatz, dem die Black Panthers später perspektivisch mit einem ethnisch gleich-gültigen Sozialismus begegneten, der im SNCC aber umstritten blieb und sich in verschiedenen Flügel- und Fraktionskämpfen äußerte.

Deutlich wird, dass sich die Widersprüche hier nicht in erster Linie zwischen gewaltfreien und militanten Aktionsformen entwickelten, sondern eher Schwarze aus dem ländlichen Süden den StädterInnen aus dem Norden oder PanafrikanistInnen den VertreterInnen lokaler Klassenbündnisse gegenüberstanden. Mit der Durchsetzung der an den antikolonialen Kämpfen in Afrika orientierten Mitglieder schien die Identitätspolitik im SNCC ab 1966 endgültig gesiegt zu haben. Gleichzeitig und nicht ohne inhaltlichen Zusammenhang nahm die Repression der weißen Staatsmacht gegen die Organisation zu.

Der Weg von den massenhaften gewaltfreien Aktionen, die in den Südstaaten der frühen sechziger Jahre ihren Höhepunkt erreichten, hin zum Streit zwischen kulturellen NationalistInnen und BefürworterInnen des bewaffneten Kampfes erscheint so eher als ein langsamer Niedergang denn als selbstbewusster Aufstieg, als der er ansonsten meist rezipiert wird. Während der über Klassengrenzen hinaus vorhandene Wunsch, der Unzufriedenheit in Massenaktionen Ausdruck zu verleihen, die Basis für das Engagement und die Erfahrung der AktivistInnen des SNCC war, habe er, sagt Carson, von den spontanen und militanten Aufständen der späten Sechziger nicht befriedigt werden können. Die Balance zwischen individueller Rebellion und organisierter, kollektiver Aktion habe aber zu diesem Zeitpunkt auch das SNCC nicht mehr zu Stande gebracht.

Carson, der auch der Herausgeber der Schriften Martin Luther Kings ist, beschreibt die Geschichte des SNCC quasi als Urgeschichte neuer sozialer Bewegungen. Denn seine Studie offenbart schon Dilemmata, mit denen bis hin zur globalisierungskritischen noch alle relevanten sozialen Bewegungen zu kämpfen hatten. Die Fragen sind immer noch dieselben: Sollte man eher auf medienwirksame Führer oder auf konsequente Basisdemokratie setzen, auf die Konfrontation mit den Verhältnissen oder den Aufbau eigener Alternativstrukturen?

Etwas unklar bleibt bei Carson, welche Rolle die Frauen in der Bürgerrechtsbewegung spielten. Obwohl es auch Frauen unter den GründerInnen und in einflussreicheren Positionen gab, tauchen sie, mit Ausnahme Ella Bakers, in der Studie kaum auf. Ob das SNCC also als Anstoß oder Alternative zum martialischen Gebaren der Black Panthers gelesen werden kann, ist leider nicht zu erfahren. Was Carson jedoch prinzipiell anmahnt, gilt aber ganz allgemein auch heute noch, nämlich die Geschichte des SNCC »als einen Fundus der Inspiration und der Erfahrung für die Neue Linke zu betrachten«.

Clayborne Carson: Zeiten des Kampfes. Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) und das Erwachen des afroamerikanischen Widerstands in den sechziger Jahren. Verlag Graswurzelrevolution, Nettersheim 2004, 638 S., 28,80 Euro