Grünhelm im Anmarsch

Cap Anamur gibt sich ein bisschen weniger regierungstreu als früher.Das wurmt den ehemaligen Geschäftsführer. von thomas uwer

Wer in seinem Leben schon mehr als zwei Horrorfilme gesehen hat, der weiß, wie sie ausgehen: Gerade wenn man glaubt, der Alptraum sei durchstanden, schlägt das Böse auch schon wieder die Augen auf. Elias Bierdel, Geschäftsführer von Cap Anamur, hat anscheinend vorher stets weggeschaltet. »Völlig überraschend« traf ihn die öffentliche Kritik seines Vorgängers genau zu einem Zeitpunkt, als er sich und seiner Organisation mit der spektakulären Rettung von schiffbrüchigen Flüchtlingen aus dem Mittelmeer ein eigenes Profil verschafft zu haben glaubte.

Doch was hier partout nicht Ruhe geben will, ist nicht das Böse, sondern das schlechthin Gute: Rupert Neudeck, erster Inhaber des Marion-Gräfin-Dönhoff-Preises, ein »Sisyphos« (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt) und »radikaler Helfer aus Leidenschaft« (Die Welt), der für »Zivilcourage, Humanität und Hartnäckigkeit« steht (Süddeutsche Zeitung). Und für die Fähigkeit, die humanitäre Begleitung der deutschen Außenpolitik als christlichen Nonkonformismus zu verkaufen.

»Handwerkliche Fehler« warf er nunmehr seinem Nachfolger Bierdel bei der Rettung der Flüchtlinge vor. »Die Bundesregierung wurde zuvor nicht informiert. Deshalb fehlte der Crew die Unterstützung aus Berlin.« Die aber hätte sie ohnehin nicht bekommen. Denn erstmals hat die Cap Anamur in europäischen Gewässern gefischt und damit nicht nur »handwerkliche Fehler« begangen. Mit der Folge, dass Geschäftsführer Bierdel öffentlich entmachtet und seine Kritik an der »Inhumanität Europas« von Neudecks Vorschlägen zur Lösung einer »zentralen europäischen Menschenrechtsfrage« zurechtgerückt wurde. »Die EU sollte eine Quote einführen für Menschen, die wir aus dem Wasser retten und in Europa aufnehmen«, gab Neudeck der Welt am Sonntag zu Protokoll. Und damit keiner denkt, der Rest solle ertrinken, setzte er sich eine Woche später für die Einrichtung von Auffanglagern ein. »Er halte Lager wegen des belasteten Wortes zwar für falsch«, berichtet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, »er könne sich aber ›Aufnahmeplätze‹ an der Küste Nordafrikas« vorstellen. Und damit war der von Bierdel erzeugte Skandal auch schon beendet.

Dabei war Rupert Neudeck erst vor zwei Jahren von der Geschäftsführertätigkeit bei Cap Anamur zurückgetreten und die Organisation in ein Büro außerhalb des Neudeckschen Wohnzimmers gezogen. Aus »Altersgründen«, wie es hieß. Und wohl auch, um die lange Kette von Peinlichkeiten zu beenden, mit der sich die Organisation Ende der neunziger Jahre profiliert hatte. Zuletzt geriet Cap Anamur vor vier Jahren in die Kritik, als ehemalige Mitarbeiter der Organisation vorwarfen, »in höchstem Maße unprofessionell« zu arbeiten. Im August 2000 berichtete Report aus Mainz, ein großer Anteil der über 57 Millionen Mark Spenden, die Cap Anamur für die Unterstützung von Flüchtlingen aus dem Kosovo erhalten habe, sei auf Festgeldkonten anstatt bei den Flüchtlingen gelandet. Der Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Daniel Endress, kritisierte: »Die Flüchtlinge im Lager von Cap Anamur waren sicherlich diejenigen, denen es am schlechtesten ging in den Camps in Nordalbanien.« Neudecks Organisation habe die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen systematisch verweigert und damit den Flüchtlingen geschadet. »Was wahr ist«, konterte Neudeck, »in unserem Lager wurden die Flüchtlinge vor den Vertretern des UNHCR geschützt: Wenn diese in die Lager kamen und den Menschen Angst machten, sie sollten sich wegevakuieren lassen, dann kamen wir und haben diese Truppe aus dem Lager geworfen.«

Dies zumindest passt zu der politischen Mission, der sich Neudeck im Falle des Kosovo verschrieben hatte. Während das UNHCR eine Evakuierung aus dem unmittelbaren Grenzgebiet forderte und später wegen möglicher Landminen vor einer übereilten Rückkehr in das Kosovo warnte, drängte Cap Anamur auf eine schnelle Rückkehr in die Heimat. Eine eigene Zeitung, die Neudeck im Lager verteilen ließ, trug den Namen »Willkommen im Kosovo«.

So korrespondierte die Neudecksche Art der Nothilfe lange Zeit aufs Engste mit der Politik und forderte mutig deren Eingreifen stets dann, wenn es längst beschlossen war. In Deutschland hat Cap Anamur damit einen Stil von Nichtregierungshilfe geprägt, der das große Vorbild der Regierungsintervention imitiert, mit eigener See- und Luftlandeflotte und sich selbst ausklappenden Feldlazaretten. »Parachuters« werden Organisationen wie Cap Anamur oder das französische Pendant »Médecins sans Frontières« auch genannt: mobile Einsatztruppen der Humanität, die als nichtstaatliche Organisationen intervenieren, wo es das internationale Recht den Staaten noch verbietet.

Der Fall des Kosovo, wo Neudeck das Eingreifen der Nato und die militärische Schaffung eines »humanitären Korridors« forderte, stellte den Höhepunkt und zugleich das vorläufige Ende dieser Art Nothilfe dar. Die Bundeswehr erwies sich nämlich im humanitären Einsatz, als sie schließlich da war, als wesentlich effizienter, was den Aufbau von Zelten, Notlazaretten und Latrinen betraf.

Seitdem suchte auch Cap Anamur verzweifelt nach einer neuen Gelegenheit, »Zivilcourage« zu zeigen. Im Jahr 2001 produzierte Neudeck aus dem Nichts »einen politischen Skandal ungeheuren Ausmaßes«: »Es ist die Stunde der Wahrheit für unsere Gesellschaft und unsere Politik.« 400 000 Rinder, die wegen BSE geschlachtet werden sollten, wollte er nach Nordkorea schaffen. Als die Stunde der Wahrheit dann kam, blieben 3 000 Tonnen übrig, und Kritiker spöttelten, das Fleisch komme ohnehin nur der Armee zugute. Ähnlich unglücklich verlief eine weitere Kampagne. Neudeck hatte dem Cap Anamur-Programm im Sudan Aufmerksamkeit besorgt, indem er Unicef vorwarf, für den Tod von 11 000 Kindern verantwortlich zu sein. Das UN-Kinderhilfswerk habe Cap Anamur die Unterstützung für den Transport von Impfstoffen gegen eine Masernepidemie in den Nuba-Bergen verweigert. Die Angelegenheit kam bis vor den Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Vertreter der UN und anderer Organisationen erklärten jedoch, dass es weder eine Masernepidemie gegeben habe noch Tausende Kinder daran gestorben seien.

Im Jahr 2002 gab Neudeck die Leitung von Cap Anamur ab und gründete eine neue Organisation, die »Green Helmets« (Grünhelme). Gemeinsam mit anderen Grünhelmen wie Norbert Blüm, Freimut Duve, Klaus Töpfer oder Reis-ul-Ulema, dem Großmufti von Bosnien-Herzegowina, betreibt er nun Nothilfe mit christlich-muslimischer Verständigung. Die Idee muss ihm in Afghanistan gekommen sein. Noch als Chef von Cap Anamur erklärte er Franz Alt, wie er dort die Taliban mit Verständigung bekämpfen wolle. »Ich hoffe auf eine Renaissance des Islam und der Islam-Schulen, nicht auf deren Fundamentalisierung. (…) Jetzt müssen bedeutende Theologen wie Annemarie Schimmel nach Kabul oder Hans Küng … « Eine große Idee, auch wenn Schimmel, die einst die gegen Salman Rushdie verhängte Fatwa iranischer Mullahs verteidigte, wegen zwischenzeitlichen Versterbens nicht mehr teilnehmen kann.