Das Lager mit der Zelle 2008

In Eisenhüttenstadt steht der Abschiebeknast gleich neben der Zentralen Erstaufnahmestelle für Asylbewerber. martin kröger (text) und tim zülch (fotos) haben sich dort umgesehen

Fahndungsmäßige erste Überprüfung!« Keine Widerrede, Sie befinden sich 30 Kilometer von der Staatsgrenze entfernt. »Dass wir Ihre Personalien kontrollieren, ist ganz normal«, sagt der Beamte des Bundesgrenzschutzes unwirsch, bevor er mit den eingesammelten Ausweisen in Richtung seines Dienstfahrzeugs marschiert, um telefonisch die Dokumente in der Zentrale überprüfen zu lassen.

»Herzlich Willkommen in Eisenhüttenstadt« konnte man kurz zuvor am Ortseingangsschild zur »ersten sozialistischen Stadt«, wie die ehemalige Stalinstadt in der DDR auch genannt wurde, lesen. Doch wer willkommen ist und wer nicht, entscheidet in der Stadt an der Oder zunächst einmal der Bundesgrenzschutz, der trotz EU-Osterweiterung überall patrouilliert.

Kontrollen gibt es nicht nur wegen der nahen Grenze. Diejenigen, die nach Eisenhüttenstadt kommen, um das Gelände der Zentralen Ausländerbehörde für Asylbewerber des Landes Brandenburgs (ZABH) zu besuchen, dürfen ihre Ausweise keine 50 Meter von der Kontrolle des Bundesgrenzschutzes entfernt an der Schranke vor dieser Behörde erneut zücken.

»Ohne gültige Personalausweise kommen Sie hier nicht rein«, erklärt ein mit grauer Hose und hellblauem Hemd bekleideter älterer Wachmann. Der Bedienstete, der sich in einem Container mit der Aufschrift »Rezeption« verschanzt hat, gehört zur Firma B.O.S.S. Das private Sicherheitsunternehmen betreibt im Auftrag des Landes Brandenburg seit vier Jahren die Zentrale Erstaufnahmestelle für Asylbewerber (Zast) und das Abschiebegefängnis des Landes Brandenburg. Dass diese beiden Institutionen auf ein und demselben Gelände liegen, ist einzigartig in der Bundesrepublik.

Während im Innern des Containers fleißig die Personalien notiert werden, fährt nebenan der Wagen eines örtlichen Unternehmens zur Schädlingsbekämpfung vor. Der Eingang ist nicht nur durch einen Schlagbaum, sondern auch durch Zäune und Kameras gesichert. »Sie brauchen diesen roten Passierschein, um zum Abschiebegewahrsam zu kommen«, erläutert der Sicherheitsmann, nachdem er sich telefonisch rückversichert hat, dass die Besuche im Abschiebegefängnis in Ordnung gehen. Nach einer knappen Wegbeschreibung lässt er passieren.

»Es ist total wichtig, die Leute im Gefängnis zu besuchen«, sagt Robert Claus, der bei der Alliance of Struggle mitmacht. Die Alliance, ein Zusammenschluss von Flüchtlingsgruppen und antirassistischen Initiativen, besucht regelmäßig die Insassen der Abschiebehaftanstalt. »Die Idee zur Gründung der Alliance kam, nachdem wir voriges Jahr ein antirassistisches Pfingstcamp hier in Eisenhüttenstadt gemacht haben«, erzählt Claus auf dem Weg über das ehemalige Kasernengelände. »In den letzten Jahren gab es hier nur sehr wenige Menschen, die die Häftlinge kontinuierlich besucht haben«, berichtet er.

Der Abschiebeknast, ein zweistöckiges Flachdachgebäude, befindet sich in der hinteren Ecke des Areals. Hinter den stabilen, mehrere Meter hohen Stahlzäunen, die mit Rollen von Nato-Draht bestückt sind, spielen gerade die männlichen Gefangenen mit freien Oberkörpern Fußball. Die Abschiebehäftlinge hier haben täglich eine Stunde Freigang, erzählt Lena Holzapfel*, die gekommen ist, weil sie Nina Alexandrowa* besuchen möchte. Wie Claus ist Holzapfel bei der Alliance of Struggle aktiv. Bevor sie allerdings ihre Mitbringsel, Zigaretten, Zeitschriften und in der Hitze geschmolzene Schokolade, an Nina Alexandrowa überreichen kann, gilt es, einige Hürden zu nehmen: den zweiten Ausweischeck, die Passierscheinkontrolle und eine abschließende Leibesvisitation im so genannten Durchsuchungszimmer. Hier fällt besonders der große Karton mit den Plastikhandschuhen auf.

Erst nach dieser Prozedur kann die Besucherin, immer in Begleitung einer Wärterin, zu Alexandrowa in den kahlen, schmucklosen Besucherraum gelangen. Die junge Russin, etwa Mitte 20, lächelt, als sie den Besuch erblickt. »Seit vier Monaten bin ich hier«, erzählt sie. Dreimal hätte sich ihre Abschiebung nach Russland bereits verzögert. »Im Gegensatz zu anderen will ich unbedingt nach Hause, um meine Familie wieder zu sehen«, sagt sie. Da sie aber ihren Pass verloren hat, schieben die deutschen Behörden sie nicht ab, obwohl inzwischen die russische Miliz aktuelle Dokumente gefaxt hat, wie sie sagt. Von ihr vor Gericht eingereichte Beschwerden blieben genauso erfolglos wie Anrufe in der russischen Botschaft. Inzwischen hat sie jede Hoffnung aufgegeben. »Hier werde ich verrückt, ich kann nicht mehr«, sagt sie. Als besonders belastend empfindet sie, neben der Verweigerung der Ausreise, die Monotonie des Alltags. »Außer essen und schlafen mache ich nicht viel.«

Die einzige Abwechslung ist der tägliche Flirt mit den getrennt einsitzenden männlichen Insassen, mit denen sie sich beim Freigang durch die vergitterten Fenster unterhalten kann. Direkte Kontakte zwischen den Geschlechtern sind jedoch untersagt. Dabei wünscht sich Alexandrowa nichts sehnlicher »als Bier und einen Mann«.

Unterstützung erfährt sie immerhin von ihren Mitgefangenen. Als sie beispielsweise nach den ersten Wochen im Abschiebeknast unregelmäßige Blutungen bekam und ins Krankenhaus musste, waren ihr die anderen weiblichen Insassen eine große Hilfe. Bevor sie dort eingeliefert wurde, hatte die einzige Krankenschwester sie eine Woche lang mit täglich dreimal verabreichten Pillen zu heilen versucht. »Sie haben mich mit Tabletten gefüttert«, sagt sie. Welche Wirkstoffe das Medikament enthielt, sei ihr bis heute nicht bekannt. In Fällen psychischer Destabilität gebe es Psychopharmaka. »Die machen dich ruhig und ein wenig glücklich«, beschreibt Alexandrowa.

Wer aggressiv wird oder sich wehrt, kommt in eine der beiden so genannten Beruhigungszellen. In den auch Zelle 2007 und Zelle 2008 genannten Räumen liegt nach Angaben mehrerer Zeugen jeweils eine Art Matratze auf den Boden, mehrere Fesseln dienen dazu, die Häftlinge dort zu fixieren. Die Räume werden mit Kameras überwacht.

Auf eine kleine Anfrage der PDS-Landtagsfraktion vom März dieses Jahres gestanden die Landesregierung und das Innenministerium unter Minister Jörg Schönbohm (CDU) die Existenz solcher »Ruhigstellungsräume« ein. Als Gründe für die Unterbringung von Personen dort nannte die Landesregierung »Angriffe auf in der Abschiebehafteinrichtung tätige Personen oder andere Insassen, Sachbeschädigungen, Selbstverletzungshandlungen, Suizidversuche, vorsätzliche Verschmutzung der Zellen mit Unrat und Exkrementen«. Wer wie lange in den »Ruhigstellungsräumen« festgeschnallt wird, entscheidet nach Angaben der Landesregierung der Schichtleiter, einer der wenigen staatlichen Bediensteten im Abschiebegefängnis. Bei der Inbetriebnahme der Abschiebehaftanstalt im August 1999 wurden drei Mitarbeiter, die seitdem ihr Wissen in »innerdienstlichen Fortbildungsmaßnahmen« weitergegeben haben, in der Benutzung der Gurtsysteme ausgebildet.

»Die maximale Zeit einer Fixierung – allerdings nur mit Fußfesseln – betrug in einem ganz außergewöhnlichen gelagerten Einzelfall im Jahre 2001 29 Stunden und 25 Minuten.« Diese Maßnahme sei nötig gewesen, weil »das Verhalten der untergebrachten Person von ungewöhnlich hoher Aggressivität geprägt war und bei Aufhebung der Fesselung Selbstverletzungen vorgenommen wurden (Schlagen des Kopfes gegen die Wand.)«, schrieb das Innenministerium in der Antwort auf die kleine Anfrage.

Bereits im Jahr 2000 war das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) auf einer seiner Inspektionsreisen in Eisenhüttenstadt auf die Zelle mit der Nummer 2008 gestoßen. In ihrem Bericht schrieben die unabhängigen Mitglieder des CPT damals: »Die Bedingungen in einer der beiden Beruhigungszellen in Eisenhüttenstadt (Zelle 2008) sind total unakzeptabel. Die Zelle ist mit vier Metallringen, die im Boden verankert waren, ausgestattet, um eine Person an Händen und Füßen zu fesseln. Hand- und Fußschellen sind im Raum verfügbar.« Das Komitee forderte seinerzeit die sofortige Entfernung der in den Boden eingelassenen Metallringe.

Während das Brandenburger Innenministerium damit die größten Mängel in der Abschiebehaftanstalt behoben sieht, beanstanden Organisationen wie der Flüchtlingsrat Brandenburg weiterhin »die unhaltbaren Zustände« in Eisenhüttenstadt, da sich auch vier Jahre nach dem Besuch des CPT »nicht viel geändert hat«.

Denn nicht nur die Ausstattung der Zellen wurde von den Inspekteuren des CPT kritisiert. Die 13köpfige Delegation aus Ärzten, Juristen, Gefängnis- und Menschenrechtsexperten des Europarates bemängelte zudem die Qualifikationen des auf dem Gelände der ZABH eingesetzten Personals, zum Beispiel die fehlenden Fremdsprachenkenntnisse. »Ich habe noch nie einen Deutschen getroffen, der Englisch oder Französisch spricht«, erzählt Jeanne Ndumbe*, die erst seit einigen Wochen in Deutschland ist. Gemeinsam mit vielen anderen ist sie in der 650 Plätze bietenden Erstaufnahmeeinrichtung für AsylbewerberInnen (Zast) des Landes Brandenburg untergebracht. Seit der deutschen Wiedervereinigung werden dort Asylsuchende registriert und vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu ihren Asylverfahren angehört. Danach werden sie auf die verschiedenen Heime im Land Brandenburg verteilt.

Auf dem ehemaligen Exerzierplatz, der zwischen den mehrstöckigen Wohnblöcken liegt, haben es sich einige Flüchtlinge auf Holzbänken in der Abendsonne gemütlich gemacht. In der Runde geht es immer wieder um die Probleme der Verständigung mit den Behörden. Eine junge Frau aus Kamerun, die mit Ndumbe befreundet ist, hat Angst um ihren eine Woche alten Säugling, weil sie glaubt, dass das Kind abgeschoben werden soll. »Duldung bedeutet doch Abschiebung, oder nicht?«, fragt sie in die Runde, während sie das winzige Mädchen durch die Luft wirbelt, damit es aufhört zu schreien. Von Deutschland hält sie nicht viel. »Im Krankenhaus haben sie mir nach der Geburt eine kleine Decke für den Säugling gegeben«, sagt sie. Danach sei sie sofort in die Zast zurückgeschickt worden.

Nebenan sitzende Pakistanis bieten an, ihre Unterkünfte zu zeigen. Zu acht sind sie in einem spartanisch möblierten Raum untergekommen. Die Matratzen und die Decken zeigen deutliche Verschleißspuren. Aus einem alten Kassettenrecorder dröhnt Musik. »Das Essen aus der Kantine ist zwar nicht schlecht«, erzählt einer, »trotzdem bevorzugen wir selbst gekochte Sachen.« »Zehn Euro Taschengeld pro Woche bekommen wir für Lebensmittel«, sagt ein anderer. Behelfsmäßige Küchen sind vorhanden.

Die Insassen im Abschiebeknast kriegen noch weniger Geld. Von vier Euro, 75 Cent sprach Nina Alexandrowa, die junge Russin, bevor die einstündige Besuchszeit vorbei war. Und dass von dem Betrag auch Dinge wie Haarshampoo oder Cremes gekauft werden müssten.

Während Alexandrowa das, was sie braucht, nur im knasteigenen Shop erwerben kann, dürfen die Asylsuchenden aus der Zast im nur drei Minuten entfernten Marktkaufcenter, einer der typischen überdimensionierten Malls, einkaufen gehen. Aber das ist keine ungefährliche Sache. Zwar ist es nicht mehr wie im Jahr 1992, als vor der mit 2000 Menschen völlig überfüllten Zast jedes Wochenende ein Mob von Neonazis randalierte, aber rechtsextreme Übergriffe auf Flüchtlinge gibt es immer noch. So bedrohten im Februar 2001 zwei rechte Jugendliche einen 30jährigen Türken in dem Einkaufszentrum, nachdem sie zuvor einen Vietnamesen in den Küchenbereich des nahe gelegenen McDonald’s gejagt hatten. Den dabei verwendeten Baseballschläger hatten sich die Jugendlichen in der Sportabteilung des Shoppingcenters besorgt. Das ist heute nicht mehr möglich. »Baseballschläger haben wir nicht mehr im Sortiment«, sagt ein grinsender Mitarbeiter von Marktkauf, »weil damit zu viel Unfug getrieben wird.«

»Unfug« heißt für die NachbarInnen des Geländes der ZABH nicht rechte Gewalt, sondern vielmehr die Verschmutzung des Weges vom Gelände zu Marktkauf, die den AsylbewerberInnen zur Last gelegt wurde, wie die Integrationsbeauftragte der Stadt, Katrin Heyer, weiß. Erst seit AsylbewerberInnen in Arbeitstrupps für einen Euro pro Stunde den Weg reinigen, sei der »Gewöhnungseffekt« bei den BürgerInnen eingetreten, sagt die seit 1991 in dieser Funktion tätige Heyer. Dass es so wenige Kontakte zwischen den EisenhüttenstädterInnen und den AsylbewerberInnen gibt, liege ihrer Ansicht nach vor allem daran, dass die Flüchtlinge immer nur für wenige Wochen in der Stadt sind. »Aufgrund des kurzen Aufenthalts können die Bürger keine regelmäßigen und freundschaftlichen Beziehungen pflegen.« Allerdings muss sie eingestehen, dass solche Kontakte auch nicht angestrebt werden. Von den BewohnerInnen des hinter dem Abschiebeknast gelegenen Wohn- und Schrebergartengebietes sei niemand der Einladung zum Sommerfest im Juli in die ZABH gefolgt, räumt Heyer ein.

Das Fest wurde unter anderem von der Action Courage getragen, in der neben Heyer und weiteren Stadtangestellten zivilgesellschaftliche Gruppen, Kirchen und Parteien, darunter sogar die CDU, vertreten sind. Das seit dem Sommer 2000 existierende Bündnis, das finanziell maßgeblich vom größten Arbeitgeber der Stadt, der EKO-Stahl GmbH, getragen wird, beschäftigte sich jedoch mehr mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus und der Organisation von Gegenkundgebungen bei Naziaufmärschen als mit den Problemen auf dem Gelände der ZABH, bemängelt Paul Rothe, der die alternativen Jugendgruppen bei Courage vertritt. »Der gesellschaftliche Rassismus und die Zustände in der ZABH sind in dem Bündnis kein Thema«, sagt Rothe. Die Leute hätten Angst, gegen Mauern zu laufen, meint er. Es sei nicht mal möglich gewesen, eine Informationstafel auf dem Gelände der ZABH anzubringen, auf der in mehreren Sprachen die ersten Schritte beim Asylverfahren erläutert werden sollten. »Die Tafel wird seit Jahren beim Innenministerium totgeprüft«, sagt er, genau wie das Vorhaben der Alliance of Struggle, eine unabhängige Rechtsberatung für Flüchtlinge anzubieten.

Die einzigen Organisationen, die außerhalb des Lagerareals Räume zur Verfügung stellen und Beratungen anbieten, sind derzeit die Caritas und die Diakonie im evangelischen Gemeindezentrum, wo zudem einmal monatlich der internationale Treffpunkt Café Arche stattfindet.

Eine antirassistische Infrastruktur und linke Jugendclubs sucht man in Eisenhüttenstadt vergeblich. Der letzte linke Treffpunkt, das Cafe Olé, ist derzeit wegen »Umbauarbeiten« vom Jugendamt geschlossen. Etwas Leben in die Trostlosigkeit wollen Anfang September die AktivistInnen der Anti-Lager-Tour bringen. »An diesem Ort finden sich verschiedene Komplexe desselben Systems: Grenze, Abschiebeknast und Zentrale Erstaufnahmestelle«, begründet eine Organisatorin der Tour die Wahl Eisenhüttenstadts als Campgelände und Aktionsgebiet.

* Namen von der Redaktion geändert.