»Alles wird von oben strukturiert«

Der Ökonom und Theologe Klaus Vathroder ist Direktor des Centro Gumilla für Forschung
und soziale Aktion in Caracas, das unter anderem Selbsthilfeorganisationen unterstützt.

Sind Sie nach dem Ergebnis des Referendums enttäuscht oder erleichtert?

Ich bin erleichtert. Ich sehe die bolivarische Revolution zwar kritisch, aber für die politische Stabilität der nächsten zwei Jahre dürfte das Ergebnis vorteilhaft sein. Auch für die Opposition ist das Ergebnis gut, denn sie hat sowieso kein Programm für die Zukunft. Sie machte den Fehler, sich auf das Referendum zu konzentrieren, anstatt sich auf die kommenden Kommunalwahlen vorzubereiten und eine Basis aufzubauen. Die einzige Botschaft war: Weg mit Chávez. Und das kam nicht an. Andere Inhalte wurden im Wahlkampf nicht erfolgreich thematisiert.

Die Opposition ist aber eine Gruppe von über 30 Organisationen unterschiedlicher politischer Strömungen. Nach der Niederlage dürfte die Opposition zerfallen, was ich begrüße, denn es wird eine Selbstreinigung stattfinden. Chávez und seine MVR (Bewegung der 5. Republik) haben ihre Position weiter gefestigt. Es wäre gut, wenn Chávez die Botschaft des Referendums verstehen und Teile der Opposition in sein Projekt einbeziehen würde.

Müsste die Opposition nicht erst einmal ihre Niederlage eingestehen und akzeptieren?

Die Opposition befindet sich seit Jahren in einer festgefahrenen Position. Es gibt eine Fraktion, der jedes Mittel recht ist. Es gibt aber auch demokratische Elemente, die die venezolanische Verfassung anerkennen. Ich würde die Opposition nicht als Block ansehen, obwohl sie vor allem im Ausland so wahrgenommen wird, da sie unter dem Namen Demokratische Koordination firmiert. Die Gegner von Chávez wurden jetzt bitter enttäuscht. Obwohl die Umfragen vor den Wahlen ganz klar einen Sieg von Chávez anzeigten, waren seine Gegner auf dessen Niederlage eingeschworen worden. Sie bekamen ein falsches Verständnis von Demokratie vermittelt und haben nicht damit gerechnet, das sie das Referendum verlieren können. Doch Demokratie heißt, dass man eine Wahl auch verlieren kann. Viele Politiker der Opposition genießen nun kein Vertrauen mehr, deshalb denke ich, dass es Umgruppierungen geben wird. Die Opposition besteht aus konservativen, sozialdemokratischen und linken Parteien, die nun eigene Programme vorschlagen müssen.

Die wenigen Vorschläge aus den Reihen der Demokratischen Koordination beschränken sich auf Versprechen, Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze zu schaffen. Kann die Opposition überhaupt eine politische Alternative zu Chávez formulieren?

Als Dachverband Demokratische Koordination sicherlich nicht. Der Zwang zu einer einheitlichen Position ist unheimlich stark. Da müssen liberale Parteien wie Primero Justicia und die sozialdemokratische AD versuchen zusammenzukommen. Das ist sehr schwer. Ich denke schon, dass eine inhaltliche Alternative entstehen muss. Die Auseinandersetzungen wurden auf die Person Chávez bezogen geführt, was es ihm leicht gemacht hat, denn er musste nicht über seine Politik diskutieren, sondern konnte den Konflikt stets zu einer Grundsatzdiskussion über seine Person machen. Es würde dem Land gut tun, sich inhaltlich mit der bolivarischen Revolution auseinanderzusetzen, ohne sich immer auf den Anführer Chávez zu konzentrieren.

Chávez gibt sich diskussionsbereit. Wie bewerten Sie seine Integrationsangebote an die Opposition?

Das Ergebnis des Referendums bedeutet nicht nur einen Sieg für Chávez. Es heißt auch, dass er über 40 Prozent Gegner hat. Der Weg des Dialogs ist jetzt wichtig. Chávez muss jetzt andere Sektoren der Mittelschicht und in den Barrios, wo übrigens teilweise die Mehrheit gegen ihn gestimmt hat, in sein Projekt einbeziehen. Die Opposition hat sich aber in eine schwierige Situation manövriert. Sie sagte schon vor dem Referendum, dass alles andere als eine Abwahl Chávez’ Wahlbetrug sei. Daher fällt es ihr jetzt schwer, auf die Dialogangebote der Regierung einzugehen. Bislang hat niemand das Ergebnis anerkannt, und zu dem Dialogfrühstück, zu dem Chávez kurz nach der Wahl geladen hatte, ist niemand gekommen.

Ich hoffe, dass die ganze Situation aufbricht, wenn sich die Opposition differenziert und sich der Dachverband Demokratische Koordination auflöst, und dass es danach die Möglichkeit gibt, Brücken zu bauen und einzelne Koalitionen zu schließen. Auf regionaler Ebene arbeitet die Regierungspartei mit der AD bereits zusammen. Ich bezweifle aber, dass dies auf nationaler Ebene passieren wird und dass Chávez dazu in der Lage ist. Er wird das Ergebnis sicher als Bestätigung seiner Politik begreifen und den Revolutionsprozess intensivieren.

Nicht alle Oppositionellen sind zum Dialog mit Chávez bereit. Politiker wie Carlos Andrés Pérez und Carlos Ortega favorisieren einen Putsch. Müssten solche Kräfte isoliert werden?

Auf alle Fälle. Die Opposition hat es nicht geschafft, sich von dem Staatsstreich 2002 und dem darauf folgenden Wirtschaftsboykott abzusetzen. Die Äußerungen von Andrés Pérez aus dem Exil in Miami, man müsse Chávez abknallen wie einen Hund und danach eine Diktatur errichten, um die Krise zu überwinden, wurden innerhalb der Opposition einfach geschluckt. Doch es gibt viele Leute, die sich unter anderen Bedingungen davon distanzieren würden.

Das Centro Gumilla gibt die Zeitung SIC und die kommunikationswissenschaftliche Zeitschrift Comunicación heraus, in denen Chávez’ Politik debattiert wird. Anfangs überwog die Unterstützung, heute dominiert eine kritische Haltung. Woher kommt der Wandel?

Chávez trat mit der Idee der partizipativen Demokratie an und kreierte die neue Verfassung. Doch bei den Massenmeetings warten die Leute darauf, was Chávez sagt. Chávez ist das Volk. Er glaubt, keine Institutionen zu brauchen, um mit der Bevölkerung zu kommunizieren, da er zu wissen meint, was gut für sie ist. Auf kommunaler Ebene und in den Barrios sollte den Bürgern mehr Eigenverantwortung zugestanden werden. In den viel gelobten Basisorganisationen wird zwar viel diskutiert, aber wer sich nicht in die Bewegung eingliedert, hat es schwer, staatliche Unterstützung zu bekommen. Alles ist von oben her durchstrukturiert. Unsere Hauptkritik ist, dass er die partizipative Demokratie nicht wirklich fördert.

Sind die Sozialprogramme nicht dennoch eine Hilfe für die Bevölkerung?

Die Gesundheits- und Bildungsprogramme oder die Unterstützung der Kooperativen sind zwar sinnvoll, bringen aber keine nachhaltige Entwicklung. Der Staat kann diese Projekte finanzieren, solange er Geld hat, aber in dem Moment, in dem die Einnahmen aus dem Erdölverkauf zurückgehen, müssen die Programme ebenfalls zurückgefahren werden. Im Bildungssystem werden parallele Strukturen geschaffen, notwendig wäre jedoch eine grundlegende Reform. Es ist natürlich besser, wenn der Reichtum aus dem Erdölverkauf in die Sozialprogramme fließt statt zu versickern. Auf lange Sicht ist das aber keine Lösung.

interview: simón ramírez voltaire