Hey, der Sommer war kurz

Gerhard Seyfrieds Roman aus den Tagen des 2. Juni. von klaus dreyer

Warum macht er das? Reicht ihm sein Ruhm als meistkopierter Comic-Zeichner der Siebziger und Achtziger nicht mehr? Braucht er Geld, und zahlt Eichborn wirklich so gut (muss aber deswegen gleichzeitig brutal am Lektorat sparen)? Will er sich kurz vor dem 60. noch ein Denkmal setzen – huch, ich kann nicht nur zeichnen und einen historischen Roman über den Herero-Aufstand schreiben, sondern war auch mal sehr…, ja was eigentlich?

In »Der schwarze Stern der Tupamaros« erzählt Gerhard Seyfried die, wie er im Nachwort schreibt, »frei erfundene, aber vor dem Hintergrund wahrer Ereignisse spielende« Geschichte von Fred, der 1948 geboren wurde, 1968 als Schulabbrecher erlebt und 1974 schon so etwas wie ein Veteran ist. Einer, der immer in der Bewegung drinsteckt (und zwar in der undogmatischen, die es mehr mit Kiffen, Spaß und Gegen-die-Schweine hatte als mit Seitenscheitel und K-Gruppe), aber eher selten was sagt. Er lebt in München mit Ramon und Sandra zusammen und lernt Jenny kennen, die etliche Jahre jünger ist. Boy meets girl, was aber 1974 wohl doch nicht so einfach war, wie es uns heute suggeriert wird. Eher schwieriger. Derweil, stattdessen, trotzdem … machen die beiden immer wieder kleinere »Aktionen«, sprayen Parolen auf Hauswände, auch den titelgebenden Tupamaro-Stern, schießen Löcher in die Fensterscheiben von Banken. Zu viert fackeln sie dann das Auto eines CSU-Provinz-Politikers ab.

Danach soll es ernst werden; sie wollen eine Münchner Außenstelle der Bewegung 2. Juni gründen und zur Finanzierung erstmal »eine Bank machen«. Während Fred noch hin und her überlegt und einfach nicht zugeben kann, dass er eigentlich Angst hat und auch kein Bankräuber sein will, platzt die Nachricht von der Lorenz-Entführung und die Verhaftung von Jenny wegen Unterstützung der Aktion.

Ab diesem Moment – wir befinden uns etwa in der Mitte des Romans – wird Fred vor allem zum Unterstützer von Jenny; am Rande kommt auch immer mal wieder Sandra vor, deren Freund Ramon abgetaucht ist. Jenny kann kurz nach ihrer Festsetzung wieder ausbrechen, bleibt in der Illegalität und ist dort wohl auch aktiv, aber Genaueres wird nicht erzählt. Immer mal wieder treffen sich die beiden Liebenden, und Freds Alltag besteht darin, auf ein Lebenszeichen von ihr zu warten, sich – vor allem nach seinem Umzug nach Westberlin – aus der »Scene« fernzuhalten, Beschatter der verschiedenen Dienste abzuschütteln und aufs Stichwort hin auf konspirativen Wegen meist in den Ostblock zu reisen und Botendienste zu erledigen. Als vom 2. Juni nicht mehr viel übrig ist bzw. er sich mehr oder weniger in die RAF hinein entwickelt, beschließt Jenny auszusteigen. Fred besorgt ihr einen Pass, aber da ist es schon zu spät …

Es handele sich um »den ersten Roman aus dem Umfeld der Bewegung 2. Juni« – so wirbt Eichborn und lässt im Klappentext und in Pressemitteilung kein Klischee aus: »Vom kurzen Sommer der Anarchie in den deutschen Herbst«, als »ausgelassene Lebensfreude und tödlicher Ernst näher nebeneinander standen als je in der deutschen Nachkriegsgeschichte«, »zeichnet der Roman« »weitgehend autobiografisch« »das Bild einer Epoche, die nicht nur die deutsche Linke, sondern auch die BRD nachhaltig prägte«.

Zeichnet er? Nein, aber das müsste ein Roman ja auch gar nicht unbedingt. Insgesamt wäre es auch besser gewesen, Seyfried hätte die Handlung noch etwas ausgebaut, anstatt den Erzähler platte Sätze einschieben zu lassen – wie »Damals teilte sich die Außerparlamentarische Opposition oder Apo, grob gesagt, in zwei Hauptströmungen, nämlich in dogmatische und undogmatische Gruppen.« Einem klügeren Menschen als ausgerechnet dem 9/11-Verschwörungstheoretiker Matthias Bröckers, dem Seyfried (neben anderen) für »Ermutigung und Lektorat« dankt, wäre dann auch aufgefallen, welche, gelinde gesagt, Frechheit in der Anmerkung steckt, dass »noch immer vier ehemalige RAF-Mitglieder in Haft sind, zwei von ihnen seit mehr als 20 Jahren. Kein Beteiligter an Nazi-Verbrechen hat jemals eine so lange Haftstraße absitzen müssen.« Und auch sprachlich hätte ein gründliches Lektorat dem Buch sicher gut getan.

Es hätte uns eine Geschichte interessiert von Menschen und ihrem Leben, ihrer Politik, ihrer Kultur, ihrem Versuch, »anders« zu leben, und vielleicht auch von ihrem Scheitern – aber die hat der Autor nicht zu erzählen. Denn dass sich Fred in Jenny verliebt und ihr fortan hinterherdackelt, dass kann’s ja nicht sein. Da heute die Erinnerung an die Jahre zwischen 1970 und 1979 von Leuten wie Stefan Aust oder Joschka Fischer geprägt wird, wäre es doch mal spannend gewesen zu erzählen, wie Leute gelebt haben, die ständig über Militanz geredet haben, die sie in manchen Spielarten massenhaft praktiziert haben und in anderen Formen dann lieber doch nicht. Wovon haben sie gelebt, was haben sie für Musik gehört, wie haben sie diskutiert?

Stattdessen findet name dropping statt – von Uriah Heep über die Scherben bis hin zu Enzensberger (immer wieder: »Kurzer Sommer …«), und auch das Info-Bug und das Münchner Blatt kommen vor. Hätte der Autor ein bisschen mehr zu erzählen, wäre vielleicht auch klar geworden, warum immer wieder der Münchner Stadtplan abgefahren wird und warum die Geschichte spielt, wo sie spielt … Und auch die Berichte davon, wie einer der Observierung entkommt, um sich dann mit einer illegal Lebenden zu treffen, schrammen hart am Voyeurismus vorbei: Was erklärt das? Was baut das für eine literarische Spannung auf, die ja doch etwas anderes ist als ein alternativer »Tatort«?

Bleibt zweierlei: Erstens zu hoffen, dass es doch die eine oder andere LeserIn gibt, die das Buch nicht mit dem »So war das also«-Gefühl weglegt, sondern sich auf die Suche macht nach Spuren einer Militanz, an die heute nicht mehr erinnert werden darf. Und zweitens am Ende doch noch zu loben: Der Text hinterlässt nämlich immer dann einen starken Eindruck, wenn er ganz unprätentiös Nachrichten montiert und ganz nebenbei zeigt, wie allzu oft in diesem Land Oppositionelle oder die, die dafür gehalten wurden, bei Polizeiaktionen umgebracht wurden. Vielleicht auch ein Grund dafür, warum Joschka Fischer heute so ist, wie er ist.

Der schwarze Stern der Tupamaros. Eichborn, Berlin 2004, 334 S., 19,90 Euro