144 Prozent Muslime

In der Schweiz scheiterte eine Abstimmung zur erleichterten Einbürgerung von Ausländern.
Die rechte SVP konnte das rassistische Ressentiment mobilisieren. von thomas schwendener, zürich

Der Weg zum Schweizer Bürgerrecht wird für die Nachkommen von Zuwanderern weiterhin lang bleiben. Am Sonntag vor einer Woche scheiterte in der Schweiz die Abstimmung über die erleichterte Einbürgerung von Ausländern der zweiten und dritten Generation. Ziel der ersten Vorlage war eine Vereinfachung der langwierigen Einbürgerungsprozedur für Menschen, die in der Schweiz aufgewachsen sind – wie sie in einigen Kantonen bereits gültig ist – sowie die gesamtschweizerische Vereinheitlichung der betreffenden Gesetze. Außerdem hätten nach einer zweiten Vorlage Personen, von welchen mindestens ein Elternteil in der Schweiz aufgewachsen ist, bei ihrer Geburt automatisch eingebürgert werden sollen. Beide Vorlagen wurden von den Schweizer Stimmbürgern verworfen.

In einem Kommuniqué zur Abstimmung bedauert der – nicht gerade für sein antirassistisches Engagement bekannte – Schweizerische Arbeitgeberverband, »dass der emotionalen Kampagne der Gegner der Vorlage, die dem Volk mit dem Gespenst einer ›Masseneinbürgerung‹ Angst machen wollte und Ausländerfeindlichkeit säte, Erfolg beschieden war«. Trotz des Euphemismus »emotionale Kampagne«, scheint selbst der Arbeitgeberverband verstanden zu haben, was an den Urnen entschieden hat: das rassistische Ressentiment.

Stützten sich die Schweizer Volkspartei (SVP) und ihre Sekundanten bisher meist noch auf Standortargumente oder die mögliche Erhöhung der Immigration, fehlte bei der Abstimmung selbst dieses pseudorationale Fundament; damit traten die rassistischen Absichten der Vorlagengegner offen zu Tage. Die größeren Parteien und die Wirtschaftsverbände waren sich einig in ihrer Zustimmung zur Vorlage. Einzige Ausnahme: die SVP.

Diese hat es jedoch wie üblich verstanden, das vorhandene Ressentiment zu mobilisieren. Die konkreten Objekte der SVP-Propaganda scheinen relativ austauschbar.

Während in den letzen Abstimmungen meist »drogendealende Schwarzafrikaner« Ziel der Kampagnen waren, wurde diesmal insbesondere vor einer »Islamisierung« der Schweiz gewarnt. Dazu griff die Partei die Zahlen der Immigration von Muslimen während der Jugoslawien-Kriege auf und rechnete sie bis 2040 hoch. Nach der hausgemachten Hochrechnung, welche in unzähligen Zeitungen abgedruckt wurde, hätte der Prozentsatz von Muslimen in der Schweiz 2050 bereits 144 Prozent erreicht, was selbst dem gemeinen SVP-Wähler reichlich absurd erscheinen dürfte.

Bekanntlich lässt sich aber das Ressentiment nicht von Nebensächlichkeiten wie Logik stören. So muss es auch nicht verwundern, dass die SVP mit dem Konterfei von Osama bin Laden die Vorlagen zu Fall bringen wollte, die lediglich das bestehende Einbürgerungsverfahren vereinfachen und ausbauen sollten.

Der Sieg, den die SVP mit dem Diskurs der »Überfremdung« und des »Ausverkaufs der Heimat« im Alleingang errungen hat, muss als richtungsweisend verstanden werden. Während die letzte Asylinitiative der SVP Ende 2002 noch mit 50,1 Prozent abgelehnt wurde, geht die Partei nunmehr klar gestärkt aus dieser Abstimmung hervor.

Unterdessen sammelt sie bereits Unterschriften für ein »Volksbegehren«, nach welchem die Einbürgerung von Ausländern ganz den gesetzlichen Instanzen entrissen und in die Hände des Volkes gelegt werden soll. Schon heute bestimmen in vielen Gemeinden die Wahlberechtigten per offener Abstimmung über Einbürgerungen; in anderen entscheidet der Gemeinderat darüber. Das kraft der Propaganda aufs richtige Objekt gelenkte Ressentiment soll, geht es nach der SVP, direkt an der Urne bestimmen, wer den roten Pass erhält und wer weiterhin in den SVP-Statistiken als Ausländer auftaucht.