Verhör mit Instrumenten

In Frankfurt am Main begann der Prozess gegen den früheren
stellvertretenden Polizeipräsidenten, der im Mordfall Metzler dem
Verdächtigen mit Folter gedroht haben soll. von jesko bender

Morgens um halb sieben einen Bildband vor Augen zu haben, in dem mittelalterliche Foltermethoden dargestellt werden, ist nicht angenehm. »Das hier ist Folter, Menschen einmauern oder ihnen Gülle einflößen. Was Daschner gemacht hat, war keine Folter«, sagt der Mann mit dem Buch in der Hand und versucht, eine Diskussion zu beginnen. Das Gespräch verstummt allerdings sehr schnell. Dass sich die Foltermethoden seit dem Mittelalter verändert haben könnten, überzeugt ihn nicht.

Die Frage, was nun eigentlich Folter und was der Unterschied zum »unmittelbaren Zwang« sei, wird den gesamten Prozess, der am vergangenen Donnerstag vor dem Frankfurter Landgericht begann und bis Ende Dezember dauern soll, begleiten. Der Staatsanwalt Wilhelm Möllers wirft dem ehemaligen stellvertretenden Polizeipräsidenten von Frankfurt am Main, Wolfgang Daschner, und seinem Kollegen, dem Kriminalhauptkommissar Ortwin E., vor, am Morgen des 1. Oktober 2002 dem Entführer und Mörder des elfjährigen Jakob von Metzler, Magnus Gäfgen, Gewalt angedroht zu haben, falls er nicht verrate, wo sich das entführte Kind befinde. Deshalb sind der Kriminalhauptkommissar wegen Nötigung in einem besonders schweren Fall und Daschner wegen der Verleitung zur Nötigung angeklagt.

Dem Morgen des 1. Oktober 2002 gingen vier Tage voraus, in denen vergeblich nach Jakob Metzler gesucht worden war. Am 27. September war er auf seinem Schulweg entführt und noch am gleichen Tag von Gäfgen ermordet worden. Am 30. September wurde Gäfgen festgenommen und bis spät in die Nacht vernommen. Der Vernehmungsbeamte, der vor Gericht als Zeuge aussagte, berichtete, in dieser Zeit ein Vertrauensverhältnis zu Gäfgen aufgebaut und damit gerechnet zu haben, dass er am nächsten Morgen sagen werde, wo die Leiche des Kindes versteckt sei. Der Beamte sei bereits während der Vernehmung davon ausgegangen, dass der Junge nicht mehr am Leben sei. Als der Beamte am 1. Oktober ins Polizeipräsidium kam, war der Fall jedoch auch ohne ihn bereits gelöst worden.

Daschners Version klingt anders. Er sei am 1. Oktober davon ausgegangen, dass Jakob Metzler noch lebe, sich aber in akuter Lebensgefahr befinde. Er habe sich zu einer »Rechtsgüterabwägung« zwischen der körperlichen Unversehrtheit des Verdächtigten und dem Leben des Jungen gezwungen gesehen und sich in dieser »extremen Ausnahmesituation« für den Jungen entschieden. Alles andere wäre einem »Mord an einem entführten Kind unter staatlicher Aufsicht« gleich gekommen, sagte Daschner vor Gericht.

Er behauptete außerdem, dass seine Drohung eine vom Polizeirecht gedeckte Maßnahme des »unmittelbaren Zwangs« darstelle. »Wenn ein Polizeibeamter einen gewalttätigen Randalierer ruhig stellt, wendet er unmittelbaren Zwang an und keine Folter. Wenn ein betrunkener Autofahrer gegen die Blutentnahme Widerstand leistet, wird er zur Duldung dieser Maßnahme gezwungen und nicht gefoltert«, sagte er. Obwohl sich in dieser Sicht die Gewaltdrohung gegen Gäfgen als Banalität des Polizeialltags darstellt, habe sie für Daschner zu den schwierigsten Entschlüssen in seiner bisherigen Laufbahn gehört.

Meldungen, dass er in dieser Frage Unterstützung vom hessischen Innenministerium erhalten habe, wies er energisch zurück. Zuvor hatte der Spiegel berichtet, Daschner habe der Staatsanwaltschaft gesagt, dass er sich mit dem Innenministerium in dieser Frage ausgetauscht und man ihm gesagt habe: »Machen Sie das! Instrumente zeigen!« Im Prozess gab Daschner nur noch an, die ganze Zeit über mit seinen Vorgesetzten in Kontakt gestanden zu haben. Er nenne keine Namen, damit nicht andere Menschen »einer Kampagne ausgesetzt werden, die meine Familie und ich nunmehr 21 Monate auszuhalten haben«.

Die »Kampagne«, die Daschner beklagt, initiierte er jedoch maßgeblich selbst. Als seine Drohung bekannt wurde, entbrannte eine heftige Debatte über das Thema Folter. Daschner beförderte diese Debatte mit vielen Interviews, in denen er forderte, einen rechtlichen Rahmen für sein Vorgehen zu schaffen. »Die Anwendung von Gewalt als letztes Mittel, um Menschenleben zu retten, müsste auch im Verhör erlaubt sein«, sagte er dem Magazin Focus. Er würde wieder so handeln. Und das, obwohl andere Möglichkeiten, um Gäfgen zu Aussagen über den Jungen zu drängen, nicht genutzt wurden. So befand sich die Schwester Jakob Metzlers in der besagten Nacht im Polizeipräsidium, ohne dass Gäfgen mit ihr konfrontiert wurde. Ihrer Gegenwart hätte er nicht standgehalten, »und ihr sofort erzählt, wo Jakob ist«, zitiert der Spiegel Gäfgen.

Mit seinem Vorgehen stieß Daschner sowohl in den eigenen Reihen als auch bei Politikern auf Verständnis. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) bezeichnete Daschners Verhalten als »menschlich verständlich«. Oskar Lafontaine (SPD) schwor die Leserinnen und Leser von Bild darauf ein, dass es in diesem Fall »um Gefahrenabwehr« gegangen sei, »bei der das Polizeirecht – um Leben zu retten – auch den gezielten Todesschuss erlaubt«.

Die Demonstrantinnen und Demonstranten, die in der vergangenen Woche vor dem Gerichtsgebäude ihren Protest kundtaten, sehen die Sache etwas anders. »Wenn es eine Kampagne gab, dann war es keine gegen Daschner, sondern eine für ihn«, sagte ein Vertreter der Gruppe Libertad, die zusammen mit der autonomen Antifa F und den JungdemokratInnen/Junge Linke Hessen zu den Protesten aufrief. Die Antifa F spricht sogar von einem »inszenierten Tabubruch«. Die Gruppen machten sich in ihrem Aufruf »für das in der UN-Antifolterkonvention von 1984 festgeschriebene Verbot jedweder körperlicher und physischer Misshandlung von Gefangenen« stark. Die Diskussion über die Legitimität von Folter sei »Ausdruck einer reaktionären Sicherheitspolitik«.

Dawid Danilo Bartelt, der Pressesprecher von amnesty international, hält die Debatte für »sehr bedauerlich«. Dass der Unterschied zwischen »unmittelbarem Zwang« und Folter eingeebnet werden könnte, findet er sehr gefährlich. »Wehrlosen Menschen auf der Wache Schmerzen zuzufügen oder anzudrohen, ist in jedem Fall Folter«, sagte er der Jungle World. Er sei enttäuscht, dass Daschner nur wegen Nötigung und nicht wegen Aussageerpressung angeklagt sei.

Indes wurden die Details der Gewaltandrohung in der Öffentlichkeit bisher kaum beachtet. Dabei geben sie interessante Einblicke in die polizeiliche Arbeit. So sollte die Ausübung der Gewalt ohne die Zufügung von sichtbaren Verletzungen durch einen Spezialisten erfolgen, der eigens aus dem Urlaub eingeflogen werden sollte. Gefoltert werden sollte unter ärztlicher Aufsicht. Es stellt sich die Frage, welche Ärztinnen und Ärzte mit der Frankfurter Polizei zusammenarbeiten und im Ernstfall der Gewalttätigkeiten gegen Verdächtige beiwohnen würden. Nach Gäfgens Aussage drohte der Angeklagte E., ihm »Schmerzen zuzufügen, wie ich sie noch nie zuvor verspürt hätte. (…) Der Beamte kam näher und drohte, dass ich mit zwei großen, fetten Negern in eine Zelle gesperrt würde, welche sich an mir sexuell vergehen würden.« Auch diese rassistischen Äußerungen fanden bisher kaum Beachtung.