https://jungle.world/artikel/2004/49/disziplin-und-tnt
Im Prozess um den geplanten Anschlag auf das jüdische Zentrum in München schweigt der Hauptangeklagte Wiese. Ein Mitangeklagter gibt sich naiv und unschuldig. von magnus bosch
Martin Wiese grinst, als er in Handschellen in den Saal A 101/I des Münchner Strafjustizzentrums in der Nymphenburger Straße geführt wird. Das mag an der Strategie seiner Verteidigerin Anja Seul liegen, die ihn in dem Prozess, der in der vorigen Woche eröffnet wurde, als Opfer des V-Mannes Didier Magnien darstellen will, der Wieses »Inspiration und zweites Gehirn zugleich« gewesen sei. Wenn dem so sein sollte, könnte nach dem Flop im NPD-Verbotsverfahren auch die Verurteilung der vier Mitglieder der militanten Neonazi-Truppe Kameradschaft Süd gefährdet sein.
Den vier Angeklagten wird zur Last gelegt, einen Sprengstoffanschlag auf die feierliche Grundsteinlegung des neuen jüdischen Zentrums am Münchner Jakobsplatz im Jahr 2003 geplant zu haben. Die Bundesanwaltschaft wirft dem Quartett die Bildung einer terroristischen Vereinigung vor. (Jungle World, 39/03)
Der 28jährige Wiese soll der Anführer der Kameradschaft gewesen sein. Er schweigt zu den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft. Sein Stellvertreter, der 28jährige Alexander Maetzing, ist hingegen umso gesprächiger. Der aus dem brandenburgischen Luckenwalde stammende Zimmerer gibt an, sich im »unpolitischen Skinhead-Milieu« bewegt zu haben, bevor er im Herbst 2002 zur Gruppe um Wiese gestoßen sei. Disziplin und Ruhe hätten dort geherrscht, »kein Rumgegröle«. Über die soziale Ungerechtigkeit, die Wohnungsnot und andere politische Themen habe man diskutiert; das Ziel des Stammtischs sei es gewesen, »gewaltfrei politisch zu arbeiten«. Als er gefragt wird, wofür sich die Gruppe im Frühjahr 2003 Sprengstoff und Waffen besorgt habe, sagt Maetzing: »Das wussten wir noch gar nicht.«
Über Pläne für den 9. November 2003 sei zwar in der so genannten Schutzgruppe, dem inneren Zirkel der Kameradschaft, hie und da geredet worden, er habe dies alles aber nicht sehr ernst genommen, erklärt Maetzing. »Es wurden Sachen dahingesponnen.« Es sei auch darüber geredet worden, Schweineblut zu verspritzen oder einen Anschlag auf das Münchner Rathaus zu verüben.
Mit Antisemitismus hätten die Pläne für den 9. November gar nichts zu tun gehabt, beteuert Maetzing, als der Vorsitzende Richter Bernd von Heintschel-Heinegg sich nach seiner politischen Einstellung erkundigt. »Keiner von uns kann als Antisemit bezeichnet werden.« Niemand habe wegen des Datums an die »Reichskristallnacht« gedacht, sondern vielmehr an die 16 Toten des Hitler-Putsches vom 9. November 1923 sowie an den Tag des Mauerfalls 1989.
Den Sprengstoff und die Waffen hatten die Neonazis in den neuen Bundesländern aufgetan. Zunächst wurden sechs Pistolen samt Munition besorgt. Hier soll Didier Magnien, ein französischer Rechtsextremist und V-Mann des Verfassungsschutzes, der Anklageschrift zufolge mit von der Partie gewesen sein. (Jungle World, 32/04) Die zweite Reise führte die Männer nach Polen, wo sie im Wald nach Minen Ausschau hielten. An echten Sprengstoff gelangten Wiese und seine Gefolgsleute, als sie sich den Kopf einer Panzerfaustgranate beschafften. Der Inhalt: 1,2 Kilo TNT.
Damit habe man keine konkreten Pläne verfolgt, sagt Maetzing vor Gericht. Gegenüber der Polizei machte er im September 2003 noch völlig andere Angaben und erklärte, man habe die zweite Reise nach Brandenburg unternommen, um die Gruppe mit Sprengmitteln zu versorgen und sich das nötige Know-how anzueignen.
Maetzing, der nach eigener Aussage »kein eiserner Verfechter des Dritten Reichs« ist, sagt, er habe in der Diskussion über einen möglichen Anschlag auf das jüdische Zentrum eher zu mäßigen versucht und von einem zu hohen Risiko gesprochen. Er beharrt darauf, dass die Anschlagspläne nur leeres Gerede gewesen seien. Wiese jedoch, mit dem er »eng und freundschaftlich« verbunden gewesen sei, habe einmal geäußert: »So ein Ding am Jakobsplatz wäre schon ein Riesenzeichen.«
Für Maetzing sei von dem Sprengstoff eine faszinierende Wirkung ausgegangen. »Allein das Zeug zu haben«, sei spannend gewesen. Die Zündversuche hätten bei ihm ein Gefühl ausgelöst, »so wie wenn man als Junge ein Spielzeugboot versenkt«, erklärte er im vorigen Jahr im Verhör der Polizei.
Der innere Zirkel der Kameradschaft Süd heckte jedoch nicht nur Anschlagspläne aus, sondern hielt auch paramilitärische Übungen im Münchner Umland ab. Wiese soll beim Wehrsport mit so genannten Soft-Air-Pistolen zur Vorsicht gemahnt haben: »Wenn wir mal scharfe Waffen haben, muss man auch sorgsam damit umgehen.« Maetzing sah die Übungen mit den Kunststoffkugeln angeblich als Spiel: »Für mich war es reine Gaudi.«
Wie es sich für umtriebige Neonazis gehört, wurde auch kräftig Anti-Antifa-Arbeit geleistet. Nach der Anklageschrift absolvierte ein weibliches Mitglied der Schutzgruppe eine Lehre bei der Postbank und hatte dort angeblich Zugang zu Daten von politischen Gegnern. Außerdem soll Franz Maget, der Fraktionsvorsitzende der SPD im bayerischen Landtag, ausgespäht worden sein.
Maetzing wurde im Juli 2003, zwei Monate vor Wiese, im Zusammenhang mit anderen Ermittlungen festgenommen. Im Spätsommer 2003 folgte ein Großteil der Führungstruppe der Kameradschaft. Wiese war in den Jahren zuvor ein wichtiger Akteur in der Münchner Neonazi-Szene. Nach seiner Geburtstagsparty in einer Gaststätte wurde ein Grieche fast totgeschlagen. Norman Bordin, der Gründer der Kameradschaft, war an der Schlägerei beteiligt. Er wurde zu 15 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Bordin, der inzwischen die Kameradschaft München anführt und neuerdings NPD-Mitglied ist, befand sich zum Prozessauftakt unter den Zuhörern. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird zurzeit noch gegen fünf weitere Mitglieder der Kameradschaft Süd verhandelt.
Seinen grotesken Höhepunkt erreichte der erste Verhandlungstag, als Maetzing nach Wieses politischer Einstellung gefragt wurde. »Der Kommunismus ist die reinste und edelste Gesellschaftsform, die man sich vorstellen kann«, soll Wiese demnach einmal von sich gegeben haben. Auf Zitate aus dem kommunistischen Manifest darf man im weiteren Prozessverlauf gespannt sein.