Traumjob in Krisenzeiten

Von udo adler

in die presse

Wenn ich groß bin, werde ich Wirtschaftsjournalist. Ich bewerbe mich bei einer großen Zeitung, am besten bei der Süddeutschen. Dort muss ich zeigen, was ich kann. Ich greife mir also einen Stift, und los geht’s:

»Das Wechselbad der Gefühle nimmt kein Ende.« Nicht schlecht, murmelt der Chef, während er mir über die Schulter blickt. Aber fehlt da nicht was? Mit ist klar, dass wir in turbulenten Zeiten leben, und ich fahre fort: »Kaum haben sich die Deutschen an die Nachrichten gewöhnt, dass es mit der Wirtschaft im Jahr 2005 wieder maßvoll aufwärts gehe, da werden sie schon wieder kalt überrascht.« Sehr gut, das mit den kalt überraschten Deutschen, ruft der Boss.

»Ist das alles ein Schrecken ohne Ende?« Der Boss nickt, und ich merke: Ich liege gut im Rennen. »Selten waren die Menschen so verunsichert wie 2004.« Der Satz geht immer, sage ich abgeklärt, man muss nur darauf achten, die Jahreszahl zu aktualisieren. Professionell, lobt der Chef, aber jetzt müsste was mit Verantwortung kommen. Wird erledigt. »Hier beginnt die Verantwortung der Politik. Sie muss Zuversicht verbreiten – nicht durch Propaganda, sondern durch gute, standhafte Politik.« Ein bisschen kritischer, wir sind hier nicht beim Katholischen Wochenblatt! »Mehr Schaden als Nutzen jedoch stiften Politiker, wenn sie vor allem auf die Wirtschaft einknüppeln.« Schon besser. Hätten Sie noch eine bittere Pille?

»Natürlich werden wieder Arbeitsplätze verloren gehen. Aber zugleich ordnet sich eine Branche neu, die trotz massiven Stellenabbaus immer noch Überkapazitäten …« Reicht, reicht. Aber da sollte sich niemand einmischen, nicht wahr? »Politiker sollten sich aus diesen betriebswirtschaftlichen Prozessen heraushalten. Sie hätten eigentlich genug damit zu tun, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen: ein besseres Steuersystem, eine Gesundheitsreform, Flexibilisierung am Arbeits …« Fabelhaft! Noch ein Paukenschlag? »Dann in der Tat wird es nachhaltig aufwärts gehen.«

Sie haben den Job, gratuliere!

udo adler