Deutsche Sprache, teure Sprache

Die neuen Integrationskurse stellen Teilnehmende und Träger vor
kaum zu bewältigende Schwierigkeiten. von doro wiese

Ich trage«, steht an der Tafel, darunter zum Beispiel: »einen blauen Mantel« oder »rote Schuhe«. Die Teilnehmerin des Deutschkurses, die aufgefordert wird, die Kleidung ihres Tischnachbarn zu beschreiben, blickt automatisch nach vorn auf die Vorgaben. Den richtigen Artikel zu wählen, das beschreibende Adjektiv und das Akkusativobjekt mit den entsprechenden Endungen zu bilden, erfordert große Konzentration.

Seit knapp drei Monaten besuchen die Anwesenden den Kurs. »Deutsch ist schwer«, sagen sie, und schauen abermals an die Tafel, als ob dort die Bestätigung zu finden wäre. Tatsächlich schreibt die Kursleiterin gerade: »Der blaue Mantel ist teuer.« Sie unterstreicht die Endungen von »blau« im Nominativ und im Akkusativ. In manchen Gesichtern spiegelt sich Ratlosigkeit. Bis zum »Niveau B1«, das die Bewältigung von Alltagssituationen sowie den schriftlichen Ausdruck von Gefühlen und Wünschen beinhaltet, werden die meisten noch einige Zeit brauchen.

Möglicherweise benötigen sie weitaus mehr Zeit, als es die zum Jahresbeginn in Kraft getretene Integrationskursverordnung der Bundesregierung vorsieht. Die 600 Stunden Sprachkurs, die neu zugewanderten AusländerInnen und SpätaussiedlerInnen rechtlich zustehen, scheinen nur auf den ersten Blick großzügig bemessen.

»Ob jemand in diesem Zeitraum das Niveau B1 erreicht, hat größtenteils mit seinem Bildungsstand zu tun«, erklärt Annemarie Bruns-Schieck, die an einer Hamburger Volkshochschule Kurse in »Deutsch als Fremdsprache« organisiert. »Ein ehemaliger Traktorist, der zehn Jahre lang keine Schule mehr besucht und keine Fremdsprache erlernt hat, wird sich äußerst schwer tun. Eine afghanische Frau, welcher der Schulbesuch verboten war, wird ebenfalls ihre Probleme haben. Für sie kommt erschwerend hinzu, dass ihre Erstsprache keine indoeuropäische ist.« Das bestätigt Elisabeth Schmidt, die lange Zeit bei einem anderen Bildungsträger tätig war: »Wenn jemandem die Struktur des Sprachenlernens vertraut ist, dann hat er eine gute Chance, sich in einem halben Jahr allein in Alltagssituationen zurechtzufinden. Ansonsten ist das Erreichen des Ziels B1 unrealistisch.«

Das wäre an sich kein Problem, hinge das Aufenthaltsrecht der Zugewanderten nicht wesentlich davon ab, ob sie die Prüfung zum »Zertifikat Deutsch« auf dem Sprachniveau B1 bestehen. So kann AusländerInnen nach Paragraf 8 des ebenfalls am 1. Januar in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis versagt werden, wenn sie ihre Verpflichtung »zur ordnungsgemäßen Teilnahme an einem Integrationskurs« verletzt haben. Nach Paragraf 9 müssen sie für die Niederlassung über ausreichende Sprachkenntnisse und Grundkenntnisse »der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet« verfügen. Sie gelten als nachgewiesen, wenn ein Integrationskurs »erfolgreich abgeschlossen« wurde, der auch einen 30stündigen Crashkurs in Kultur, Geschichte und Rechtsordnung Deutschlands beinhaltet.

Einzig neu zuwandernde AusländerInnen und SpätaussiedlerInnen sowie deren Familienangehörige haben sowohl einen Anspruch als auch die Verpflichtung, an einem Integrationskurs teilzunehmen. Bereits länger in Deutschland lebende MigrantInnen oder EU-BürgerInnen können nur im Rahmen verfügbarer Plätze einen Kurs belegen. Wer Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe empfängt, kann sich von den Kursgebühren befreien lassen, wenn ein Platz bewilligt wurde. Für alle anderen Teilnehmenden gilt, dass sie mit einem Euro pro Stunde knapp die Hälfte der Kosten selbst tragen müssen. Wer mehr als 600 Stunden braucht, um das Sprachniveau B1 zu erreichen, muss die komplette Gebühr zahlen. Menschen mit einem niedrigen Bildungsstand werden somit finanziellen Härten ausgesetzt.

»Die eigentliche Frage ist: Wer von unserer Klientel kann die Integrationskurse bezahlen? Und welcher Bildungsträger kann solche Kurse anbieten?« sagt Annemarie Bruns-Schieck. Denn auch die Einrichtungen sind vor finanzielle und organisatorische Probleme gestellt. 2,05 Euro bekommt der Träger pro TeilnehmerIn und Stunde, bei der Höchstzahl von 25 Teilnehmenden erreicht man die Summe von 51,25 Euro für Lehrkräfte, Räume, Unterrichtsmaterial und Verwaltung. Daraus resultiert die Sorge mancher Kursleiterin, dass ihr Honorar geringer werden könnte. Gleichfalls bleibt es meist lange Zeit unsicher, ob ein Kurs überhaupt stattfinden kann. Denn zunächst müssen alle Teilnehmenden die Anforderungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge erfüllen, das die Bewilligungen erteilt. Es ist unabwägbar, ob sich genügend MigrantInnen anmelden, da sie aus einem vielfältigen Angebot von Integrationskursen auswählen können. »Man kann erst Kurse starten, wenn sich genügend Teilnehmer mit denselben Voraussetzungen zum selben Zeitpunkt und am selben Ort eingefunden haben«, sagt Ingeborg Wilms, die viele Jahre für die Planung der Deutschkurse an der Hamburger Volkshochschule mitverantwortlich war.

Selbst im Vergleich zu den bisherigen Integrationskursen, die ebenfalls mit Bundesmitteln gefördert wurden, ist der Verwaltungsaufwand größer. »Es gibt verschiedene ›Klassen‹ von MigrantInnen; welche, die verpflichtet werden, welche, die berechtigt sind; es gibt Aussiedler und Ausländer. Und für jede Gruppe sind die Regelungen etwas anders. Bei der Überprüfung der jeweiligen Förderung sind verschiedene Ämter zu beteiligen, und das alles, bevor der Kurs überhaupt starten kann, denn es gibt ja nicht für jeden Interessenten Förderung«, erzählt Ingeborg Wilms. Die DozentInnen sollen Anwesenheitslisten führen und gegebenenfalls die Ausländerbehörde über den Kursbeginn und etwaige Fehlzeiten informieren. Unbegründetes Fehlen kann zu einer Kürzung von Sozialleistungen führen. Des Weiteren hat das Bundesamt angekündigt, unangemeldet MitarbeiterInnen zu schicken, die Dokumente prüfen, den Unterricht beobachten sowie Lehrkräfte und Teilnehmende befragen sollen.

Für die BesucherInnen des Deutschkurses in der Deutsch-Ausländischen Begegnungsstätte sind all jene Regelungen nur teilweise verständlich. Immerhin haben manche schon eine Antwort von der jeweiligen Behörde erhalten, wie es mit ihrem Kurs im nächsten Vierteljahr weitergeht. »Das Sozialamt zahlt«, sagen manche, während andere für einen Teil der Kursgebühren aufkommen müssen. Der Spätaussiedler Sergej Leskow darf nur einen Teilzeitkurs besuchen, »weil ich diesen Deutschkurs wiederhole und darum keinen Anspruch mehr habe«, erzählt er. Das Sozialamt habe ihn aufgefordert, sich die Nachmittage »für einen Ein-Euro-Job« freizuhalten.

Robert Gordon aus Ghana schüttelt irritiert den Kopf: »Aber es gibt doch keine Arbeit!« Er hat sich vom Sprachunterricht bessere Chancen bei der Stellensuche versprochen, aber selbst das Sprachniveau B1 reicht für qualifizierte Tätigkeiten meist nicht aus. So wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als im Anschluss an die geförderten 600 Stunden Deutschkurs die Steigerungsformen im Deutschen zu lernen: »Der blaue Mantel ist zu teuer!« wird er dann sagen können. »Denn ich muss meinen Deutschkurs selbst bezahlen.«