Wir brauchen den Stoff

Die Depression ist vorbei, die Rohstoffbranche boomt. Davon profitieren die Ölförderstaaten
und die traditionellen Bergbauländer. von stefan frank

Davon, dass Unternehmen mit Hightech reich werden können, redet niemand mehr. Für Aufsehen sorgte hingegen in der vergangenen Woche die Ankündigung der BASF, gemeinsam mit der russischen Firma Gazprom das sibirische Gas zu erschließen. Die Zeiten, in denen die Förderung von Rohstoffen nichts als Verluste brachte, sind wohl bis auf weiteres vorbei.

Von einer »Ölflation« ist in der FAZ die Rede, von einem »neuen Kampf um Rohstoffe« spricht die taz, und in der Bild-Zeitung beantwortete ein »Rohstoffexperte« kürzlich wichtige Fragen wie diese: »Essen die Chinesen uns den Käse weg?« Werner Müller, der Vorstandsvorsitzende der Essener RAG, warnt davor, dass »die dramatische Entwicklung der Rohstoffpreise zigtausend Arbeitsplätze« gefährde. Bundeskanzler Gerhard Schröder gab zu, dass seine Regierung wohl vergessen habe, sich »früh genug Strategien zur Rohstoffsicherheit zu überlegen«. Pech gehabt, nunmehr treffe die »angespannte Lage auf den Rohstoffmärkten« die gesamte Industrie, klagt BDI-Präsident Jürgen Thumann und sieht »in den kommenden Jahren bei einigen Rohstoffen ernsthafte Knappheit«.

Aber nicht alle deutschen Unternehmen jammern. Der Stahl- und Röhrenhersteller Salzgitter AG meldet, er habe im vorigen Jahr seinen Gewinn vor Steuern von 42,5 auf 322,8 Millionen Euro gesteigert. Die Kasseler K+S AG (ehemals Kali und Salz) konnte ihr Ergebnis um 40 Prozent verbessern, was vor allem an der starken Nachfrage nach Düngemitteln lag. Die Aktien des Unternehmens stiegen in den vergangenen zwei Jahren um 100 Prozent, die des kanadischen Konkurrenten Potash of Saskatchewan sogar um 200 Prozent. Und selbst das ist noch vergleichsweise bescheiden: Die Aktienkurse des australischen Manganherstellers Consolidated Minerals und der weltgrößten Tankerreederei Frontier Lines haben sich im selben Zeitraum versechsfacht.

Vor einigen Monaten richtete der Fernsehsender n-tv in seinem Videotext eigens eine Seite über Rohstoffe ein. Seither kann man dort jederzeit die aktuellen Notierungen von Zink, Nickel, Blei, Kaffee oder Aluminium einsehen. Allenthalben herrscht Goldgräberstimmung, wie Ende der neunziger Jahre am Neuen Markt. Der Unterschied ist der, dass die Gewinne der Rohstoffproduzenten nicht nur in der Phantasie von Börsenastrologen existieren. Ein rasches Ende des Booms ist deshalb nicht wahrscheinlich.

Der weltgrößte Eisenerzproduzent, die brasilianische Companhia Vale do Rio Doce, schloss im Februar die Verhandlungen mit seinen wichtigsten Kunden ab. Die größten Stahlhersteller Japans und Europas, die Nippon Steel Corporation und Arcelor, stimmten einer Preiserhöhung von 71,5 Prozent zu. Das war deutlich mehr als erwartet, auch lag der ausgehandelte Preis weit über dem Spot-Preis (dem Preis für eine prompte Lieferung) zu diesem Zeitpunkt. Dies zeigt, dass die Stahlhersteller nicht der Meinung sind, dass die Eisenerzpreise im Lauf des Jahres sinken werden.

Der Grund für den Anstieg der Rohstoffpreise ist vor allem die starke Nachfrage aus China, wo jedes Jahr neue Millionenstädte aus dem Boden gestampft werden. Der Bau von Hochhäusern für die ehemalige Landbevölkerung erfordert große Mengen Stahl, die Elektrifizierung Kupfer, die Herstellung von Autos Stahl und Aluminium, und Autobatterien funktionieren nicht ohne Blei. Von allem benötigt China mehr, als es auf dem Weltmarkt bekommen kann, wobei das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage dadurch vergrößert wird, dass die Rohstoffbranche zwischen 1997 und 2002 eine extreme Depression erlebte. Einige Unternehmen machten Pleite, Investitionen gab es kaum, da sie sich nicht lohnten. So kostete beispielsweise ein Barrel Rohöl 1998 zeitweise weniger als zehn Dollar.

Nun werden zwar wieder große Summen in die Erhöhung von Förderkapazitäten investiert, doch von einem Rohstofffund bis zur Aufnahme der Produktion vergehen mindestens fünf, nicht selten sogar zehn Jahre. Geologische Expertisen müssen erstellt, Genehmigungen eingeholt, Straßen gebaut, Elektrizitäts- und Wasserleitungen errichtet werden. Zuallererst aber müssen die nach Schätzen in der Erde buddelnden Unternehmen, die so genannten Explorer, erst einmal fündig werden.

Der letzte große Ölfund liegt mittlerweile 35 Jahre zurück, obwohl die Technologie seither riesige Fortschritte gemacht hat, so dass heute auch dort Öl gefördert wird, wo man es früher gar nicht entdeckt hätte. Der nachlassende Erfolg bei der Suche nach Öl hat dazu geführt, dass jene wieder ernst genommen werden, die behaupten, die Weltölproduktion werde in einigen Jahren ihren Höhepunkt erreichen und von da an kontinuierlich zurückgehen. Den angenommenen Zenit bezeichnet man auch als »Hubbard Peak«, benannt nach dem US-amerikanischen Wissenschaftler King Hubbard, der 1956 prognostiziert hatte, dass die Ölförderung der USA ab 1970 fallen werde, so dass aus dem Ölexporteur ein Importeur werde. Er behielt Recht.

Niemand wisse, wie groß die saudi-arabischen Ölvorräte seien, gibt der US-amerikanische Fondsmanager Jim Rogers zu bedenken. Sein gerade veröffentlichtes Buch »Rohstoffe – Der attraktivste Markt der Welt« behandelt außer Öl, Gold und Blei überraschenderweise auch die Themen Zucker und Kaffee. Einen Anstieg des Ölpreises über 100 Dollar in den nächsten Jahren hält Rogers für wahrscheinlich.

Dazu müsste übrigens nicht einmal die Förderung stark zurückgehen. Der chinesische Verbrauch hat sich im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt, und die Wachstumsraten sind in den letzten Jahren sogar gestiegen. Mittlerweile ist China nach den USA der größte Ölimporteur – noch vor Japan. Dabei kommt derzeit immer noch auf 70 Einwohner lediglich ein Auto. Angenommen, die Rate gliche sich europäischen Verhältnissen an, würde das über 600 Millionen neue Pkw bedeuten.

Die Knappheit von Öl, Gas und auch von Kohle hat inzwischen zu einer neuen Begeisterung für Atomkraftwerke geführt, zumindest bei Politikern und den Betreibern. 27 Atomkraftwerke will China bis zum Jahr bis 2020 bauen, Indien 31 neue Reaktoren und Russland 25. Doch wohl nie in der Geschichte der Kernenergie war so deutlich, dass auch Uran eine begrenzte Ressource ist. Nach dem Ende des Wettrüstens gab es einen riesigen Überschuss; gemäß dem ehernen Gesetz der Dialektik ist es daher folgerichtig, dass es jetzt ein großes Defizit gibt. Der Preis hat sich in den letzten vier Jahren verdreifacht, und da schon lange keine neuen Vorkommen mehr erschlossen wurden, wäre auch zu viel höheren Preisen kein bedeutend größeres Angebot aufzutreiben.

Die australische Firma WMC, die ihren eigenen Angaben zufolge über 39 Prozent der Uranvorräte verfügt, steht vor der Übernahme durch einen großen Konzern. Unklar ist nur, wer das sein wird. Nachdem der in der Schweiz ansässige Konzern Xstrata Ende des vergangenen Jahres vergeblich versucht hatte, WMC für 6,5 Milliarden Dollar zu übernehmen, bot der weltgrößte Bergbaukonzern BHP-Billiton im März 7,3 Milliarden Dollar für das Unternehmen. Noch höhere Offerten der Konkurrenten, etwa des weltgrößten Uranproduzenten, der kanadischen Firma Cameco, wurden nicht ausgeschlossen, zumal die australische Regierung erstmals Uranverkäufe an China erlaubt.

Die Rohstoffkonjunktur hat auf jedes Land unterschiedliche Auswirkungen. Am stärksten profitieren – neben den Ölförderstaaten – traditionellen Bergbauländer wie Australien, Kanada, Südafrika, Chile und Mexiko. Die deutsche Wirtschaft ist zwar wegen des großen Gewichts der Autoindustrie und des Maschinenbaus prinzipiell anfällig, doch ist der Preisanstieg in Euro viel moderater als in US-Dollar. Die US-amerikanische Industrie dürfte wohl am stärksten leiden, zumal die dortige Notenbank gezwungen ist, ein höheres Zinsniveau anzusteuern, um eine Inflation zu verhindern.

Ein interessanter politischer Nebenaspekt der Hausse sind angebliche Überlegungen einiger amerikanischer Kongressabgeordneter, das Embargo gegen Kuba aufzuheben. Schließlich hat Fidel Castro im Dezember verkündet, dass die kanadischen Partner Sherritt und Pebecan vor der Küste Havannas Öl in ökonomisch interessanter Menge und Qualität gefunden hätten. Um das Embargo infrage zu stellen, müsste es aber wohl sehr viel Öl sein.

Inzwischen wollen auch die rohstoffreichen Staaten Lateinamerikas etwas mehr abbekommen. Der chilenische Präsident, Ricardo Lagos, plant, von den Minenbetreibern eine Abgabe von vier bis fünf Prozent zu verlangen. Sie sind von dem Vorhaben nicht begeistert und argumentieren, dass gute Jahre wie das vergangene nicht die Regel seien und dass es auch verlustreiche gebe. In den vergangenen zwölf Monaten konnte das Unternehmen Anglo-American Chile seinen Gewinn im Vergleich zum Vorjahr auf das Elffache steigern.

Die Nachricht, dass der Konzern Exxon-Mobil, dessen chilenische Kupferminen Anglo-American vor drei Jahren übernahm, 25 Jahre lang gar keine Steuern und Abgaben gezahlt hat, trug wesentlich dazu bei, das oben genannte Gesetz auf den Weg zu bringen. In Peru soll das Verfassungsgericht in diesem Monat über ein ähnliches Vorhaben entscheiden, in Bolivien wird der Kampf um die Besteuerung der Rohstoffe auf der Straße ausgetragen.

Dabei ist es keineswegs so, dass durch Abgaben Investoren vergrault würden. Denn sie machen immer noch gute Geschäfte. Der Ölkonzern Conoco-Phillips gab im Februar umfangreiche Investitionen in Venezuela bekannt – trotz Abgaben von inzwischen 16 Prozent im Vergleich zu einem Prozent früher.

Während steigende Aktienkurse stets überall begrüßt, ja bejubelt werden, wird jede Verteuerung des Öls und anderer Rohstoffe von fürchterlichem Geschimpfe auf die dämonischen »Spekulanten« begleitet. Sollten die Preise der wichtigen Ressourcen in den kommenden Monaten im Zuge eines niedrigeren chinesischen Wachstums und eines – kurzfristig – stärkeren US-Dollars instabil werden, werden sich diese Leute bestätigt fühlen und zugleich beruhigt sein, dass ja jetzt alles wieder in seinem natürlichen Zustand sei, das heißt: billig. Zeigt sich dann, dass die Produktionsdefizite immer noch bestehen, und steigen die Preise dann erneut, ist natürlich die Spekulation daran schuld, und nicht die niedrigen Preise der vergangenen zwei Jahrzehnte.