Global Girlism

M.I.A. ist ein Produkt globalisierter Popkultur. Sie macht Grime, und ihre Platte ist die Bombe. von nadja geer

Wer schon einmal nach einem Abendessen mit einer zusammengewürfelten Gruppe aus so genannten Kulturschaffenden über Globalisierung geredet hat, dem wird vielleicht folgendes aufgefallen sein: Egal, wie alt oder aus welchem sozialen Background die Gesprächsteilnehmer stammen, sie werden die Globalisierung oder das, was sie darunter verstehen, ablehnen. Globalisierung, das ist das Böse, eine diffuse bis sublime Supermacht, die Menschen von ihrer ureigenen Kultur entfremdet und sie mit Produkten, Lebensweisen und ökonomischen Zwängen konfrontiert, die ihnen total fremd sind: Globalisierung zerstört Persönlichkeiten. Da sind sich Kulturschaffende schnell einig.

Was aber, wenn die Globalisierung auch Persönlichkeiten erschafft? Maya Arulpragasam, 27 Jahre alt und ursprünglich aus Sri Lanka stammend, sieht sich sogar als ein Produkt der Globalisierung: »Weil ich ein Flüchtling bin, weil ich schon immer gezwungen war, mich zwischen Kulturen und Stilen zu bewegen.« Sie sei, sagt die momentan schwer gehypte Musikerin aus London, »ein lebendes Mixtape«.

Ausgerechnet ein Mixtape. Es sind ja schon viele Metaphern herangezogen worden, um das Nebeneinander von kulturellen Einflüssen auszudrücken. Die amerikanische Salatschüssel, der »Salad Bowl«, kommt dem Mixtape von Maya vielleicht am nächsten: eine gut schmeckende Mischung verschiedener Zutaten – fein säuberlich getrennt und doch in einer Schüssel. Auch bei einem Mixtape handelt es sich für gewöhnlich um Feinstes, geschmackvoll zusammengestellt.

Was aber macht Maya, die, vor zwei Jahren unter dem Namen M.I.A. (»Missing In Action«, ausgesprochen »Maia«) in der englischen Kunstszene bekannt wurde, was macht also M.I.A., das schöne Mixtape, überhaupt für Mucke? Sie macht: Dancehall-Grime.

Grime ist der neue Hype aus London, ein Sound, der aus den Boxen wummert, dass einem die Ohren bisweilen in die Hose rutschen. Bislang von Jungs beherrscht, entwickelt er sich langsam zum neuen Spielfeld für gutaussehende junge Frauen. Man braucht nicht viel für Grime, außer musikalisches Gespür und Rhythmusgefühl. Den Sound gibt der DJ vor, und der oder die MC toastet über dem vorfabrizierten Soundteppich. DJs und Produzenten, meist in Personalunion, spielen bei dieser Musik also eine ähnlich große Rolle wie der Microphone-Controller.

Es war deswegen auch sehr schlau von M.I.A., sich hervorragende Produzenten für ihr gerade erschienenes Debütalbum »Arular« zu angeln. Überhaupt hat die ehemalige Kunststudentin, die mit Peaches auf Tournee war und von ihr ermutigt wurde, doch selbst Musik zu machen und ihre vorherige Tätigkeiten etwas schleifen zu lassen (zum Beispiel »Stencils« herzustellen, also Schablonen aus Papier, die inzwischen auch auf Hauswänden in Kreuzberg und Friedrichshain zu finden sind), ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Und ein gutes Händchen fürs Produktmanagement.

Die Crème de la Crème britischer und amerikanischer Produzenten schart sie um sich. Richard-the funkiest man in town-X ist dabei, der schon mit den Sugarbabes und Kelis zusammengearbeitet hat, und Paul und Dave, zwei junge House-Heroen, die sich eigentlich Switch nennen, auf »Arular« nun aber als Yes-Produktion fungieren. Und natürlich die Fat Truckers – auch die unter neuem Namen: Cavemen. Cavemen haben »Galang« für Maya produziert, ihren bisher größten Hit, und mit »Sunshowers« haben sie kürzlich nachgelegt.

Hört man genau hin, kann man herausfiltern, wovon M.I.A. toastet, und das ist: der Krieg. Der Bürgerkrieg in Sri Lanka, an dem ihr Vater als tamilischer Untergrundkämpfer direkt beteiligt war, bietet den Humus, auf dem Maya Arulpragasam ihre Lyrics wachsen lässt. Natürlich sind die Erfahrungen, die sie als kleines Mädchen bei der Vertreibung von der Insel gemacht hat, nicht ohne die biografischen Schichten denkbar, die sich später darübergelegt haben. Die Abkürzung »M.I.A.« soll nämlich nicht nur an verschollene Todesopfer des Krieges erinnern, sondern auch an die Erfahrung eines Flüchtlingsmädchens im damals noch von Thatcher regierten Great Britain. »Missing in Action«, soll Maya lachend geantwortet haben, nachdem sie jemand nach ihrem Künstlernamen gefragt hat, also: verlorengegangen in einem der ödesten Suburbs Londons.

Als junges Mädchen musste Maya sich behaupten in der von Migranten bevölkerten Vorstadt, und der Sound, den sie jetzt macht, lässt die harte Schule, durch die sie gegangen ist, mehr als nur erahnen. Wer keinen Bock auf toughe Beats und krude Mixe hat, braucht sich »Arular« nicht zu kaufen. Die »Terrorlyrics«, um es mal so auszudrücken, zum Beispiel »like Plo I don’t surrender«, müssen allerdings nicht so ernst genommen werden. Jeder rappt halt, wie er kann, und eine junge Frau, die, wie sie selber sagt, sich jahrelang nur mit Turnschuhen beschäftigt hat, bevor sie von dem Selbstmordattentat ihres Cousins hörte, lässt sich hier einfach wegtragen von der Geilheit der Militärphrase. Hat da jemand Agitpop gesagt?

Nein. Grime. An dieser Stelle soll noch einmal ausdrücklich gesagt werden, dass Grime, allen momentan kursierenden Gerüchten zum Trotz, durchaus Musik ist, die auch außerhalb Londons funktioniert. (Besonders M.I.A.’s Grime, dem ja so viel Electroclash, Pop, Dancehall und HipHop zugesetzt wurde, dass er kaum mehr als solcher zu erkennen ist.) Grime ist eine Mode, Two Step und UK-Garage vergleichbar, aber es ist eine gute – und tanzbare – Mode. Er ist ein komplizierter, da synkopisch angelegter Sound, eine Herausforderung für jeden Tänzer. Und er ist ein okayer Sound beim Kochen – wenn man die Bässe runterdreht.

Ebenso wie M.I.A. mit dem Bild des Mixtapes es von sich weist, eine kulturell verbrämte Blut-und-Boden-Ideologie zu unterstützen, genauso sollte man als Musikfan davon Abstand nehmen zu glauben, ein bestimmter Musikstil sei nur in einer bestimmten Umgebung hörbar – am besten in dem Milieu, aus dem die Musik stammt. Dass Grime ein »London-Ding« ist, ist unbestreitbar, aber das heißt noch lange nicht, dass man ihn nicht verstehen kann, wenn man nicht aus London-Bow stammt. Nur weil einer Musikrichtung ein bestimmtes Idiom anhaftet, heißt das noch lange nicht, dass sie regional begrenzt ist. Popmusik ist Kunst, Leute, und Kunst kennt keine Grenzen. (Ende der Achtziger war es übrigens HipHop, den bundesrepublikanische Bürgersöhne als »Ghettomusik« schwarzer Amerikaner abkanzelten. HipHop, so hieß es damals in Podiumsdiskussionen, drücke eine Lebenserfahrung aus, die man hier niemals reproduzieren könne.) Mayas Überzeugung, »mich kann es nur in England geben«, mag auf den ersten Blick verwirren, heißt aber nichts anderes, als dass die Salatschüssel London, um es mal so auszudrücken, sehr nahrhaft für heterogene Undergroundmusik ist.

Wenn M.I.A den globalen Girlism verkündigt, ist es egal, ob sie es auf Tamil oder auf Cockney macht. Es ist auch vollkommen egal, ob die Ohren, die diese Musik hören, normalerweise Berliner Dialekt gewohnt sind oder Texanisch: Popmusik ist ein Produkt der Globalisierung. Im Falle Maya Arulpragasams eines, zu dem man, nebenbei gesagt, »Ja« sagen sollte.

M.I.A.: Arular (XL/Beggars Group)