Einfach böse

Der Debütroman von Akira Kuroda »Made in Japan«
beschreibt ein echtes Blutfest. von michael saager

Ich werde mir gleich ein Video angucken. Einen dieser richtig fiesen Kiddy-Pornos. Es ist sogar ein Snuff-Video (…) Das Video gehört Takashi, dem perversesten Schwein von uns vieren. Genauer gesagt, Takashis Vater.« Für die vier ist es ein schwindelig machender, erotischer Thrill, bald darauf in die schreckensgeweiteten Augen eines Siebenjährigen zu schauen und sich dabei die Schwänze zu reiben. Am Ende wird »das Gör« mit einer Kettensäge zersägt. Übrig bleibt ein Haufen menschlicher Matsch. Man kann nicht behaupten, die Autorin Akira Kuroda hätte in ihrem Buch »Made in Japan« irgendein Detail des Schreckens vergessen. Es sind Szenen, bei denen einem leicht schlecht werden könnte, müsste man sie mitansehen. Indifferent zurück lassen einen allerdings auch die Buchseiten nicht, obgleich sich die typische Unschärfe bloß vorgestellter Bilder wie eine kleine Schutzmauer vor die leiblichen Konsequenzen stellt. Trotzdem: Ein mulmiges Gefühl steigt auf und bleibt eine Weile.

Als Kuroda »Made in Japan« schrieb, war sie 20 Jahre alt, bekam dafür den japanischen Bungei-Preis 2000 und drei Jahre später den Mishima-Preis.

Im Verlauf der Geschichte zappt Kuroda mit harten Schnitten zwischen verschiedenen männlichen Ich-Erzählperspektiven hin und her. Schließlich befinden wir uns in einem Roman, der nicht nur schockieren, sondern uns zudem, wenn auch nur subtextuell oder implizit, etwas über die fatale Wirkung von Massenmedien sowie von der Ambivalenz hedonistischer, materialistischer Lebensformen erzählen möchte. Und der sich vermutlich auch deshalb – formal ästhetisch und semantisch gar nicht ungeschickt – der postmodernen Cut-Ästhetik von Musikvideos und Mangas bedient. Es geht um ein gewissermaßen mimetisches Spiel zwischen den Konsequenzen eines irre laufenden Kapitalismus und einer möglichst radikalen Textgestaltung.

Aber vielleicht greift diese Interpretation auch zu weit, und bei der Radikalität der Form handelt es sich lediglich um eine betont zeitgemäße Art des Schreibens. Deshalb die ganzen Sprünge, die atemlose Sprache, das andauernd eingeflochtene Englisch, der Wechsel der Textformen zwischen reinen Dialogpassagen, inneren Monologen, Erzählungen in Erzählungen und direkter Anrede des Lesers: »Versteht ihr, es geht hier um zählbare Fakten. In einem Snuff-Video wird jemand wirklich ermordet. Vor euren Augen, immer wieder, sooft man auf ›Play‹ drückt.«

»Made in Japan« ist kein raffinierter Krimi, kein doppelbödiger Thriller und auch sonst nicht sonderlich überraschend. Vor allem geht es um Gewalt oder den direkten, durchaus spannungsvoll erzählten Weg dorthin. Wie die meisten Bücher, die von nicht viel mehr als Gewalt erzählen, folgt es einer sehr typischen, beinahe zwanghaften Logik der Steigerung. Man hat daher nicht wirklich etwas verraten, wenn man schreibt: Einem der vier wird es am Ende ähnlich ergehen wie dem »Kiddy« aus dem Video. Er wird tot sein, zerstückelt. Zuvor wird er eine unfassbare Tortur durchlitten haben, den Mund verklebt, damit man seine unglaublichen Schreie nicht hören kann. Aber wer oder was sind die vier überhaupt?

Da ist zunächst Shu, der erste und wichtigste Ich-Erzähler des Romans. Er hat ein ambivalentes, aus düsteren Kindheitserinnerungen gespeistes Verhältnis zu Gewalt: Er wäre fast selbst einmal vergewaltigt und ermordet worden, von einem Serienkiller, wurde aber von dessen Kumpanen beschützt. Selber Mörder, wollte dieser nicht, dass Shu stirbt, warum auch immer. Seitdem hat Gewalt für Shu einen Angst-, einen erotischen und einen Geborgenheitsaspekt. Es ist genau diese seltsame Unentschiedenheit gegenüber Gewalt, die Shu, der die brutale Hinrichtung seines »Freundes« am Telefon mit anhören wird, zu einem zwischen Entsetzen und Faszination pendelnden Voyeur werden lässt.

Dann wäre da noch Satoru. Er ist bisexuell, recht einfach gestrickt und für die Handlung nicht weiter wichtig. Des Weiteren Shin: emotional fragil, auch bisexuell, grazil, wunderschön, schrecklich lebensmüde. Er ist wie geschaffen, später Takashis »Opfer« zu werden – entsprechend einem beliebten Topos aus Film und Literatur, der besagt, dass es viel reizvoller ist, etwas außergewöhnlich Schönes zu zerstören als etwas nur Durchschnittliches.

Takashi selbst ist so etwas wie das Zentrum des Bösen. Das sieht man schon allein daran, wie er skatet: »Takashis Art zu skaten ist schon abartig. So brutal. (…) Wenn man zusieht, wie er die ramp hoch- und runterrast und seine turns macht, hat man fast den Eindruck, er würde dem Beton wehtun und nicht umgekehrt.« Mit der extrem eindimensionalen literarischen Anlage Takashis als permanent aggressiv provokativem, menschenverachtendem Psychopathen hat die Autorin »das Böse« allerdings ziemlich banalisiert. Eine Schutzmaßnahme, die dazu dient, sich »im Bösen« nicht wiedererkennen zu müssen. Durch seine Reduktion auf nur eine Qualität – die Bösartigkeit – verhängt man den Spiegel.

Das soll nun nicht heißen, die Figuren Kurodas seien besonders unglaubwürdig, das nicht. Aber wären sie etwas komplexer, könnten sie fast aus einem Dennis-Cooper-Roman oder einem der besseren Larry-Clark-Filme stammen. Denn wie die Protagonisten von Clark und Cooper sind auch die vier auf unterschiedliche Weise von reichlich kaputter Normalität: Gelangweilt konsumieren sie, was ihnen die Gesellschaft an Drogen, Mädchen oder Jungs vor die Nase oder den Hosenstall schleudert. Sie sind sehr jung – so um die 17 – und können sich, obwohl sie gemeinsam die Zeit totschlagen, im Grunde nicht mal besonders leiden. So weit, so amerikanisch?

Nun heißt das Buch aber »Made in Japan«. Ein Titel, der zwar nicht verkehrt ist, aber doch so tut, als sei der gewaltsame Exzess, um den es vor allem geht, ein Phänomen des gegenwärtigen Japans, was natürlich nicht stimmt. Sinn gewinnt der Titel erst durch eine Erläuterung Kurodas im Interview, das sich im Anhang des Buches befindet: Als junge verwöhnte Japaner, die eine Weile im Ausland gelebt haben, fühlen sich die vier Protagonisten nirgendwo wirklich aufgehoben. Hinzu kommt, so die Autorin, ein typisch (großstädtisch) japanisches »Gefühl der Unbestimmtheit« und »Hoffnungslosigkeit«, resultierend aus dem nicht abreißenden Strom von Waren und Informationen. Ein Außenseiter mit Entgrenzungswünschen Batailleschen Ausmaßes, wie Takashi einer ist, wartet dort gewissermaßen nur auf seine Geburt. Was auch immer soziologisch davon zu halten ist, als literarisches Motiv mögen Kurodas Erklärungen genügen.

Faszinierend fand die Autorin Grenzen überwindende Außenseiter »schon immer«. Und weil die nichts ohne ihre Taten sind, oder besser: ihre Taten alles, nimmt die entsprechende ausführliche Metzelszene bis zum bitteren »Dead End« 44 Seiten der gerade mal 143 Seiten langen Geschichte ein. Man muss sie hier nicht nachzeichnen, ein paar Sätze reichen auch: »Während ich vor mich hin summe, schlage ich mit dem Hammer zu. Ich zertrümmere seine Beine. Es wäre doch nett, wenn jetzt Sternchen oder so etwas erschienen, wie in einem Manga. Ich weiß nicht, wie lange man schlagen muss, um Beine in eine Qualle zu verwandeln. (…) Ich lege den Hammer hin und knete seine Beine, um zu sehen, ob sie schon weich geworden sind.« So geht das weiter. Die eigentliche Boshaftigkeit des Buches indes besteht in einer geschickten Wendung. Denn der lebensmüde Shin ist ja zuerst vollkommen einverstanden mit seiner Hinrichtung. Nur werden die Schmerzen schnell unerträglich (absurderweise fällt er nicht in Ohnmacht).

Was ziemlich fatal ist, da gerade Shins jäh zurückkehrender Wunsch, dies hier zu überleben, die brutale Gier seines Gegenübers immer weiter treibt. Ausgestattet mit absoluter Macht, wächst Takashi im Blut seines Opfers sozusagen ins Unendliche.

Insofern erzählt »Made in Japan« von der unheilvollen Eigendynamik, die bestimmten Formen gewaltsamen Handelns innewohnt: Ist die Grenze erst überschritten, erzeugen die Schreie der Opfer gerade kein Erbarmen, sie steigern nur den Durst nach Blut. Das literarische Nachzeichnen dieser eher gewaltsoziologischen Beobachtung dürfte freilich kein Motiv für Kurodas äußerst detailverliebte Inszenierung des Blutfestes gewesen sein. Es liest sich eher so, als sei sie beim Schreiben selbst in einen immer obsessiveren Taumel geraten.

Akira Kuroda: Made in Japan. JBook/Maas, Berlin 2004, 152 Seiten, 16 Euro