Nummer fünf stellt sich vor

raucherecke

Einer etwas gewagten Theorie zufolge soll sich die Schönheit einer Landschaft umgekehrt proportional zum emanzipatorischen Potenzial ihrer Einwohnerinnen und Einwohner verhalten. Als Beispiel lässt sich die Sächsische Schweiz anführen, eine bezaubernde Gegend, in der man sich nur vorbehaltlos wohl fühlen kann, solange keine Einheimischen in Sicht sind.

Doch bisweilen will der Magen gefüllt und die Kehle benässt sein, und so muss man wohl oder übel eine Ortschaft aufsuchen. Zum Glück ist Bad Schandau Provinz pur und daher naturgemäß alles andere als belebt. Von einer Landjugend, die feist grinsend an der Ecke herumhängt und darauf wartet, Schwarze, Behinderte oder Linke anzupöbeln, keine Spur. Die wenigen Menschen, die dennoch den Weg kreuzen, sind argwöhnisch zu beäugen, schließlich wählt etwa einer von fünfen die NPD. Da ist Nummer eins, der wortkarge Kellner im Restaurant mit dem puterroten Gesicht, der keine Miene verzieht. Wie lässt sich der Redefluss der älteren Pensionswirtin, Nummer zwei, stoppen, die ach so hart in ihrem Leben arbeiten musste und bis heute auf den Lohn dafür wartet? Was verbirgt ihr Sohn, Nummer drei, ein Enddreißiger, der alle Wanderwege der Umgebung mit leuchtenden Augen zu beschreiben vermag? Ist der dickliche Fahrer der kleinen Bimmelbahn, Nummer vier, der erst nach einem ausgiebigen Schwätzchen mit dem Kollegen losfährt, so gemütlich, wie er aussieht?

Am Abend schlendern lediglich ein paar unverdächtige Touristinnen und Touristen durch die Straßen. Der Ort. Der Fluss. Ruhe. Bis auf einmal das Ohren betäubende Heulen eines Motors und das Quietschen von Reifen die Stille zerreißen. Zu sehen ist nichts, der Lärm dringt zwischen Häusern hindurch von der Hauptstraße Bad Schandaus herüber. Fast scheint er schon wieder abzuklingen, als ein noch lauteres Pofffff! ertönt. Dann ist wieder Stille.

Fünf Minuten später steht ein noch dampfender schwarzer Ford mit völlig zerdepperter Front auf der Hauptstraße. Ein Halbstarker mit raspelkurz geschnittenem Haar und einem Sweatshirt der Marke »Thor Steinar«, umringt von mehreren anderen Personen, lamentiert hektisch und lautstark herum, er könne ja nichts dafür, dass die Straße nicht schnurstracks geradeaus verlaufe und an ihren Seiten Häuser stünden, die seinen flotten Flitzer im Auslauf behinderten. Oder so ähnlich. Genaueres lässt sich über diese armselige Figur, nennen wir sie Nummer fünf, schon wegen sprachlicher Barrieren nicht herausfinden.

regina stötzel