Unter Kommando

Über direkte und strukturelle Gewalt beim Militär. Von Markus Euskirchen

Die bürgerliche Gesellschaft erzeugt das Individuum als Subjektform. Ihre Verkehrsformen konstituieren es und basieren auf ihm. In dieser Hinsicht bildet das Verhältnis Militärapparat–Individuum dem Anschein nach eine Ausnahmesituation: Nur in wenigen gesellschaftlichen Institutionen wird die Selbstaufgabe des Individuums so umfassend erzwungen wie im Militär.

Hinter dem Schein zeigt sich allerdings die Normalität einer Individualität – der bürgerlichen –, die eben nicht Ergebnis freier Entfaltung von Lebensmöglichkeiten ist, sondern sich innerhalb eines Systems von Zwangsinstitutionen herausbildet. Nicht nur die Vermittlung der so genannten zivilisatorischen Grundtechniken über Schulpflicht, sondern auch der Zwangsdienst im Militär als »Schule der Nation« erweisen sich keineswegs als dysfunktional innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft – auch wenn das Militär im Deutschland des frühen 21. Jahrhunderts nicht mehr die zentrale Sozialisationsagentur darstellt.

Gemäß dem engen historischen und systematischen Zusammenhang zwischen Staat und Kapitalismus wundert es kaum, dass die militärische Sozialisation ein Individuum konstituiert, dessen Haupteigenschaft – die Bereitschaft zum Funktionieren nach einem fremdbestimmten Zweck – der Aufrechterhaltung des Verwertungssystems nicht gerade zuwiderläuft. Befehl und Gehorsam werden ersetzt durch die Imperative des (Arbeits-) Marktes. So bezeichnen die Juristen – ehrlicher als alle anderen bürgerlichen Wissenschaften, wenn ihre Sprache gegen den Strich gelesen wird – Schule und Militär denn auch als Sphären »besonderer Gewaltverhältnisse«.

Erving Goffman weist in seinem Aufsatz »Über Merkmale totaler Institutionen« auf die intensiven Unterwerfungstechniken hin, die das Militär kennzeichnen, und die in vergleichbarer Form nur in Anstalten wie der Psychiatrie oder dem Gefängnis zur Anwendung kommen. Mit dem Hinweis auf den notwendigen Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Aufgabe des Militärs und seiner binnenmilitärischen Funktionsweise liefert Ulrich Bröckling in seiner Studie »Disziplin« eine Antwort auf die Frage, warum das Militär seine Mitglieder so total unterwirft: »Aufgabe des Militärs ist es, den Gegner durch effizienten Einsatz physischer Gewalt kampfunfähig zu machen oder ihm zumindest glaubwürdig damit zu drohen. Für die Exekutoren des Gewaltmonopols ist das Tötungstabu partiell aufgehoben. Soldaten sind gezwungen, den objektiven Widerspruch zwischen allgemeinem Gewaltverbot und auf die staatlichen Organe beschränkter Gewaltbefugnis subjektiv auszubalancieren. Sie nehmen auf Befehl hin Handlungen vor, die allen übrigen Gesellschaftsmitgliedern schwerste Bestrafung einbringen würden. Ihre Tätigkeit bleibt, so sehr im Zeitalter technisierter Kriegsführung die konkrete Verrichtung auch industrieller Arbeit gleichen möge, Kampf auf Leben und Tod oder Vorbereitung darauf. Hier liegt der Grund für die Rigidität militärischer Gehorsamsanforderungen: Nichts markiert so deutlich die Grenze aller Gesellschaftlichkeit wie der Tod. Weil dieser schlechthin antisozial ist, müssen jene, die in seiner unmittelbaren Nähe agieren sollen, in besonderem Maße sozialisiert werden.«

Disziplin

In den Techniken, auf die ich gleich eingehe, kommt der direkte Gewaltcharakter des Militärs zum Vorschein. Militär bedeutet nicht nur direkte Gewalt im Krieg oder Bürgerkrieg. Direkte Gewalt bildet auch außerhalb von Kampfhandlungen einen festen Bestandteil des militärischen Funktionszusammenhanges. Ohne die im Drill ausgeübte direkte Gewalt der Vorgesetzten gegen die Rekruten wäre eine militärische Disziplin und gar Gehorsam bis zum Tod bzw. zum Mord nicht herstellbar. Erst wenn direkte Gewalt als Herstellungsbedingung von Disziplin erfasst ist, macht es Sinn, Disziplin – Max Weber folgend – funktionalistisch zu fassen als »die konsequent rationalisierte, d.h. planvoll eingeschulte, präzise, alle eigene Kritik bedingungslos zurückstellende Ausführung des empfangenen Befehls, und die unablässige innere Eingestelltheit ausschließlich auf diesen Zweck«.

Körperliche Disziplinierung der Einzelnen, Formierung des Truppenkörpers und ideologische Zurichtung sind Bestandteile der systematischen Vorbereitung auf die Militärrituale und der Militärrituale selbst: Über den staatsbürgerlichen Unterricht, die Militärseelsorge oder ähnliches werden die Legitimationserzählungen von Militär und seiner gesellschaftlichen Notwendigkeit verbreitet.

Im körperlichen Training des Formaldienstes werden die Bewegungsmuster eingeschliffen und die Einzelnen in das exerzierende Kollektiv eingepasst. Wie diese Zurichtung genau funktioniert – welche Funktion Gewalt im Militär hat und inwiefern Militärrituale dafür wichtig sind, tritt exemplarisch am Gelöbnis am deutlichsten hervor: »Es ist der Gewaltcharakter der Bundeswehr, die ›Todesnähe‹ dieser Institution, die ihren innerinstitutionellen Herrschaftscharakter begründet. (…) Indem das Gelöbnis an der Konstitution der innermilitärischen Unterwerfung und Beherrschung der Soldaten Anteil hat, stellt es eine zentrale Bedingung für die planvolle und kontinuierliche Gewaltausübung durch das Militär her«, schreibt Henrik Lebuhn.

Die Unterwerfung des Soldaten unter das militärische Befehls- und Gehorsamssystem wird erzwungen und geschieht unter Anwendung von direkter Gewalt in psychischer und physischer Form. Es lassen sich die Disziplinierungstechniken, die im Prozess dieser Gehorsamsproduktion nicht nur in der Bundeswehr zum Einsatz kommen, herausarbeiten. »Abrichtung zum Soldaten bedeutet nicht nur Erzeugung von Todes- und Tötungsbereitschaft, sondern ebenso ihre Kontrolle«, bemerkt Ulrich Bröckling in seiner Arbeit über militärische Disziplin. »Nicht weniger schwierig, als das individuelle Gewaltpotenzial zu entfesseln, ist, es unter ein Kommando zu stellen.«

Dieser Prozess der Unterwerfung soldatischer Gewalt (-Bereitschaft) unter das planmäßige militärische Kommando soll hier unter dem Begriff der »militärischen Gehorsamsproduktion« näher betrachtet werden. Wesentlich wird soldatischer Gehorsam über die Disziplinierung im oben definierten Sinne erreicht. In der Bundeswehr geschieht dies vor allem im Rahmen der Grundausbildung, welche mit dem Rekrutengelöbnis, dem zentralen Militärritual der Einfügung der Einzelnen in den Truppenkörper, symbolisch abgeschlossen wird.

Die Anforderungen, die aus Sicht des Militärs an die Gehorsamsproduktion gestellt werden, sind doppelter Art: Einerseits gilt es, die Fremdbeherrschung des Soldaten einzurichten, d.h. den Soldaten dazu zu bringen, die Befehle des Vorgesetzten »nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen« (Paragraf 11 Soldatengesetz). Untrennbar damit verbunden ist andererseits die Notwendigkeit, eine möglichst umfassende Selbstbeherrschung des Soldaten zu etablieren. Denn entgegen seinen ureigensten Ängsten und Überzeugungen und selbst in Extremsituationen der Todesnähe soll er den Anforderungen des Militärs gemäß funktionieren.

Die historischen Voraussetzungen für die umfassende Unterwerfung des Soldaten in diesem doppelten Sinne wurden mit der Kasernierung der Heere im ausgehenden 17. Jahrhundert geschaffen: Erst mit dieser militärtechnischen Neuerung ergab sich die Möglichkeit, die Erziehung des Soldaten – zumindest für die Dauer seines Wehrdienstes – auf alle Lebensbereiche auszuweiten und maximal zu intensivieren. Erving Goffman hat für diese spezielle Lebenssituation den Begriff der »totalen Institution« geprägt. So genannte totale Institutionen zeichnen sich nach Goffman durch vier gemeinsame Merkmale aus:

»1.) Alle Angelegenheiten des Lebens finden an ein und derselben Stelle, unter ein und derselben Autorität statt. 2.) Die Mitglieder der Institution führen alle Phasen ihrer täglichen Arbeit in unmittelbarer Gesellschaft einer großen Gruppe von Schicksalsgenossen aus, wobei allen die gleiche Behandlung zuteil wird und alle die gleiche Tätigkeit gemeinsam verrichten müssen. 3.) Alle Phasen des Arbeitstages sind exakt geplant, eine geht zu einem vorher bestimmten Zeitpunkt in die nächste über, und die ganze Folge der Tätigkeiten wird von oben durch ein System formaler Regeln und durch einen Stab von Funktionären vorgeschrieben. 4.) Die verschiedenen erzwungenen Tätigkeiten werden in einem einzigen rationalen Plan vereinigt, der angeblich dazu dient, die offiziellen Zwecke der Institution zu erreichen.«

Unter diesen Bedingungen der totalen Institution findet die militärische Gehorsamsproduktion statt. Sie bedient sich dreier zentraler Techniken, die in der Bundeswehr, wie auch im Militär anderer Länder, zum Einsatz kommen: Normenfalle, Überlastung und Drill. Diese Trias des schikanösen Verhaltens von Vorgesetzten gegenüber ihren Rekruten hat in Frankreich den Namen »bizutage«, in Italien »nonnismo«, in Deutschland scheint sie allerdings keinen Namen zu haben. Im Folgenden stelle ich sie entlang ihrer Einzelbestandteile dar: Normenfalle, Überlastung und Drill.

Normenfalle, Überlastung, Drill

Zunächst die Normenfalle: Sie bezeichnet eine Disziplinierungstechnik, die über die umfassende und permanente Reglementierung und Normierung des soldatischen Alltags funktioniert. Pünktliches Erscheinen, exzessive und unsinnige Reinigungsaufgaben, strenge Uniform- und Körperpflege, korrekter militärischer Gruß und Haltung gegenüber Vorgesetzten, sportliche Anforderungen – die Liste der geregelten Bereiche und der einzelnen Reglementierungen ist nicht zu überschauen. »Der Alltag der Rekruten besteht in der Einhaltung einer sehr großen Anzahl von Vorschriften und Regeln. Beinahe jede Situation, in die der Rekrut geraten kann, ist normiert bzw. normierbar. (…) Allein die Vielzahl der einzuhaltenden Normen bringt den Rekruten in einen Zustand der ständigen Kritisierbarkeit«, schreibt Hubert Treiber in »Wie man Soldaten macht«.

Dieser hohen Intensität der Normierung kann der Soldat beim besten Willen nicht gerecht werden. Die Grenze zwischen willkürlicher Kritik an angeblichem Fehlverhalten und tatsächlicher Vernachlässigung von Pflichten ist für ihn nicht erkennbar, geschweige denn »einklagbar«. Daraus resultiert der für das Militär typische Zustand ständiger Fremd- und Selbstkontrolle und

-sanktion. Der Soldat übt die Unterwerfung unter die fremdbestimmten Normen permanent und in allen Lebensbereichen ein. »Die Furcht vor der ›Normenfalle‹«, so das Fazit Treibers, »ist einer der Gründe für die dem Militär eigene Haltung des ›Nur-Nicht-Auffallens‹«.

Die zweite Gehorsamsproduktionstechnik ist die der Überlastung und steht in engem Zusammenhang mit der Normenfalle. Angesichts der kaum zu bewältigenden Anforderungen, die in allen Bereichen an den Soldaten gestellt werden, kann der Soldat nie »Herr der Lage« werden. Seine eigene Unzulänglichkeit und die Überlegenheit des Vorgesetzten werden ihm permanent vor Augen geführt. Eine Steigerung erfährt diese Unterwerfung durch Normierung, wenn in einer Situation mehrere nicht miteinander vereinbare Forderungen an den Soldaten gestellt werden. So kann ein Ausbilder seine Gruppe beispielsweise unter Zeitknappheit antreten lassen und gleichzeitig von jedem verlangen, dass er sich sauber gewaschen hat. »Indem man derartige Schikanen bewusst herbeiführt, gewinnt man ein zusätzliches Disziplinierungsinstrument«, schreibt Treiber.

Der Drill schließlich betrifft vor allem die körperliche Einübung der Befehls- und Gehorsamsschemata beim Exerzieren, Grüßen, Marschieren, usw.: »Der Drill geschieht in zwei aufeinander folgenden Stadien. Im ersten Stadium wird beschrieben, dass der lernende Untergebene auf ein bestimmtes Kommando eine genau beschriebene Bewegungsfolge auszuführen hat, wenn er sich nicht scharfen Sanktionen aussetzen will; der Vorgesetzte gibt das Kommando und korrigiert die Rekruten in der Weise, dass er jede Abweichung von der vorgeschriebenen Bewegungsfolge als ›Fehler‹ beschreibt. (…) Der Drill dieses Kommandos wird so oft wiederholt, bis das Kommando ›sitzt‹, d.h. bis sich der Rekrut entlastet hat, die Verbindung zwischen diesem Zeichen und dieser Reaktion bewusst herzustellen. Im zweiten Stadium werden verschiedene, einzelne ›eingedrillte‹ Bewegungsfolgen hintereinander und abwechselnd vollzogen (…); die einzelnen Bewegungsfolgen des Rekruten werden eingesetzt und je nach dem Plan des Vorgesetzten in verschiedener Weise komponiert«, so Treiber.

Die körperliche Unterwerfung des Soldaten als Technik der militärischen Gehorsamsproduktion ist insbesondere von Michel Foucault detailliert untersucht worden (vgl. vor allem den ersten Unterabschnitt des dritten Kapitels: »Die gelehrigen Körper« in »Überwachen und Strafen«). Hier spricht Foucault von einer »Politik der Zwänge, die am Körper arbeiten, seine Elemente, seine Gesten, seine Verhaltensweise kalkulieren und manipulieren. Der menschliche Körper geht in eine Machtmaschinerie ein, die ihn durchdringt, zergliedert und wieder zusammensetzt.«

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die so genannte Formalausbildung – das Grüßen, Marschieren, Exerzieren, usw. – auch in einer so hochtechnisierten und funktional ausdifferenzierten Armee wie der Bundeswehr bis heute einen wesentlichen Teil der soldatischen Basissozialisation ausmacht. Bei der Formalausbildung wird die so genannte Haltungsdisziplin erzeugt, die die Einfügung des Individuums in das militärische Befehls- und Gehorsamssystem gewährleistet und den Soldaten auch im Zustand der Todesnähe funktionsbereit hält. Und das muss eben auch heute noch mit Hilfe des direkten und zwangsförmigen, d.h. gewaltsamen Zugriffs auf die Körper der zu disziplinierenden jungen Menschen geschehen.

Mittels gewaltsamer Zurichtung wird Gewaltpotenzial in Truppenform generiert. Gleichzeitig bilden die Umgangsformen der gewaltsamen Zurichtung einen Rahmen, in dem der Gewaltapparat sein Gewaltpotenzial zu kontrollieren vorgibt. Die Sozialwissenschaftlerin Eva Demski zeigt sich in einem Beitrag fürs Kursbuch erstaunt, dass ihre klischeehaften Vorstellungen von der Bundeswehrausbildung bei einem Kasernenbesuch fast ausnahmslos bestätigt werden.

Aus ihren Eindrücken geht allerdings auch hervor, dass die militärische Gehorsamsproduktion, wie sie oben beschrieben worden ist, bei vielen Soldaten eher in eine resignative Fügung mündet, als in die begeisterte Selbstaufgabe: »Mein Eindruck von einer durch Disziplin in Form gehaltenen Zweckmäßigkeit wächst. Ich kann nicht verstehen, dass das Strammstehen und Grüßen, das Stillgestanden und Rührt-Euch, das Augen-rechts und das Links-um, all die Bewegungen, die junge Männer auf den Schrei eines fast ebenso jungen Mannes hin machen sollen – und zu machen sich sichtlich bemühen –, dass also dies alles keinen besonders zu stören, geschweige denn zu demütigen scheint. Man ist halt drin, und da macht man’s halt, sagt mir später einer, was willste denn sonst machen. Wenn ich mich dauernd aufrege, gibt’s doch nur action, und ich hab nichts davon.«

Schließlich kann das Militär gerade auch den Widerstand der Soldaten gegen die Schikanen der Gehorsamsproduktion funktionalisieren. Die seelischen Demütigungen durch die ständige Kontrolle und die Sanktionen und die körperlich anstrengenden Unterwerfungspraktiken lassen unter den Soldaten informelle Solidargemeinschaften entstehen: »Gemeinsam schaffen wir das« oder »Jetzt erst recht«. So ließe sich der Mechanismus dieser Gruppenbildung vielleicht am besten beschreiben.

Diese Form von Widerstand mündet tatsächlich in eine Art trotzige Übererfüllung der Norm. Die dabei entstehenden Aggressionen können vom Militär funktional kanalisiert werden. Auf diese informelle Gemeinschaftsbildung ist das Militär geradezu angewiesen, so argumentiert Bröckling, wenn Gewaltbereitschaft und Gruppenzwang als soziale Dynamiken »wachsen«, und nicht nur »von oben verordnet« werden sollen.

»Soldaten gehorchen nicht nur dem Reglement und den Befehlen ihrer Offiziere, entscheidend für den Zusammenhalt der Truppe und ihre Gewaltbereitschaft sind ebenso die soziale Kontrolle und die affektiven Bindungen in der Kameradengruppe. (…) Initiationsriten, informelle Ehrenkodizes und Sanktionsmechanismen, schließlich informelle Überschreitungen wie Alkoholexzesse, Vergewaltigungen, Plünderungen oder Massaker kompensieren die Zumutungen der formalen Disziplin und stiften zugleich jene Komplizität einer verschworenen Gemeinschaft, auf welche die ›offizielle‹ Gehorsamsproduktion angewiesen ist, ohne sie doch herstellen zu können. Was die Autorität der Vorgesetzten allein nicht zu erzwingen vermag, bewirkt der Konformitätsdruck durch die Kameraden, auf deren Unterstützung und Wohlwollen der einzelne zumal in Kampfsituationen existenziell angewiesen ist«, schreibt Bröckling.

Die militärische Gehorsamsproduktion, wie sie hier von ihrer technischen Seite her systematisch beschrieben worden ist, findet in der Bundeswehr vor allem im Rahmen der Grundausbildung statt. Diese erstreckt sich gegenwärtig über zwei Monate. Den Abschluss dieser ersten, zentralen Phase in der Biografie eines Soldaten bildet das Rekrutengelöbnis. Es schließt die Integrations- und Übergangsphase symbolisch ab und initiiert den Rekruten als »richtigen Soldaten«. Im Prozess der Gehorsamsproduktion bildet die militärrituelle Variante des Gelöbnisses eine Art Kristallisationspunkt, da sich die Techniken und Praxen der soldatischen Unterwerfung verdichten.

Militär und Gender

Eine der wichtigsten gesamtgesellschaftlichen Wirkungen von Militär ist die Herstellung eines ganz bestimmten Typus von Männlichkeit und einer ganz bestimmten Vorstellung von der Ordnung der Geschlechter: Das Ideal erscheint in der ethnisch sortierten, monogamen Heterosexualität. »Das Militär ist die größte patriarchale Institution in modernen Gesellschaften, der stabilste und älteste Männerbund. Kriege werden von Männern vorbereitet und durchgeführt. Auch der Zugang zu den Waffen und zu militärischen Macht- und Entscheidungspositionen ist bis heute weitgehend Männern vorbehalten«, schreibt Renate Wanie.

Zwischen militärischer Ästhetik, kultureller Geschlechterkodierung und der darin zum Ausdruck kommenden Gewaltstruktur besteht ein enger Zusammenhang, den Klaus Theweleit besonders deutlich am Beispiel der im nationalsozialistischen Deutschland wirksamen »Männerphantasien« herausgearbeitet hat. Die Gewaltstruktur wird in der militärischen Ästhetik über die dort kodierten Geschlechterzuschreibungen ständig reproduziert. Militärische Eigenschaften wie Kampfbereitschaft, Tapferkeit und Heldentum werden in den Militärritualen durch eine männliche Kodierung des Gemeinschaftskörpers dargestellt.

Der männliche Körper als »Symbolträger der Norm« trägt die kulturelle Kodierung von Männlichkeit und männlicher Ästhetik und schließt gerade auch die aggressiv-gewaltförmigen Eigenschaften des Militärs ein: Heldentum, Kampf, Tapferkeit, Tod.

Die militärische Ausbildung konstruiert militarisierte Männlichkeit, reproduziert patriarchale Kultur und wirkt solcherart ständig ins nicht militärische Leben zurück. Der gepanzerte Krieger verkörpert das gängige Stereotyp von Männlichkeit. Kriege dienen in gewisser Weise der »Wiederherstellung von – unsicherer, schwacher – Männlichkeit«, schrieb Astrid Albrecht-Heide in der taz vom 23. Januar 1991.

Diese Männlichkeit wird in den Militärritualen der Armeen der Welt als männlicher Konsens über das »Wesen des Weibes« entwickelt. Daraus ergibt sich die angemessene »männliche« Art, Frauen zu beherrschen. Gender-konstruktive Praktiken bilden z.B. sexistische Witze, systematische Diskriminierung von Homosexualität, gemeinsame Bordellbesuche und die Sexualisierung von Waffen, etwa die Bezeichnung von Gewehren als »Braut des Soldaten«.

Sex als Kriegsbeute und Sex als Ware entsprechen einander als Verdinglichungsprodukte, die aus der militärischen Geschlechterpraxis in Krieg und Frieden und aus den Geschlechterverhältnissen innerhalb kapitalistischer Vergesellschaftung hervorgegangen sind. Massenhafte Vergewaltigungen nach Besetzungen gelten in patriarchal-militärischer Tradition als ein »Recht« des Siegers auf eine Demütigung der unterlegenen Gruppe. Das biologistisch-national bestimmte Feindeskollektiv wird nicht nur gedemütigt sondern »zersetzt«. Doch die Instrumentalisierung weiblicher Körper im Zusammenhang mit der Funktionsfähigkeit militärischer Truppenkörper beschränkt sich nicht auf die Zeitabschnitte kriegerischen Kampfgeschehens.

So setzte sich die grüne Militärbeauftragte im Rahmen einer Diskussion um den sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch »ihre« Besatzungstruppen in Mazedonien dafür ein, dass die Bordellbesuche der Soldaten bzw. die Bordelle und Prostituierten besser kontrolliert werden. »Die Bundeswehr kann ihre Soldaten nicht einfach ins Ausland schicken und sich dann nicht mehr kümmern. Ich erwarte vom Verteidigungsministerium einen Bericht auch darüber, inwieweit es bei Auslandseinsätzen Angebote für Soldaten gibt, Beziehungen aufzubauen und ihre Freizeit zu gestalten«, so Angelika Beer, die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen.

Prostitution und Vergewaltigung durch Bundeswehrsoldaten sollen unter dem Deckmantel der formellen Gleichheit von Vertragspartnern stattfinden. Der Soldat soll zuverlässig und hygienisch-medizinisch sicher eine Dienstleistung bei der Sexarbeiterin kaufen können. Das Gewaltverhältnis verhüllt sich in der angestrebten Einhaltung von Rechts- und Qualitätsstandards sowie Marktförmigkeit. Wieder verschwindet die Gewalthaltigkeit in diesem Verhältnis aus dem Bewusstsein.

Die komplementären Stereotypen des kriegerischen, sprich gewaltvollen Mannes beziehungsweise der nährenden und gebärenden Frau fixieren diese am unteren Ende der Machthierarchie. Mann sein heißt gepanzert siegen können, Frau sein heißt schützend gebären können: diese biologistische Sichtweise ist fundamental für die vorherrschende Geschlechterrollenverteilung – nicht nur im Krieg und nicht nur im Militär.

Feministische MilitärkritikerInnen stellen in diesem Zusammenhang darauf ab, dass das Militär sich nicht nur der kulturellen Kodierung von Männlichkeit bedient, um die eigene Kampfkraft nach innen und nach außen zu vermitteln. Vielmehr handele es sich beim Militär »um den Inbegriff des Patriarchats«, so Astrid Albrecht-Heide. Geschlechtliche Dominanzverhältnisse werden wesentlich erst über das Militär konstituiert. Militärkritik ohne Männlichkeitskritik greift also immer zu kurz. Allerdings werden in Zeiten asymmetrischer Kriegführung und terrorbekämpfender weltweiter Polizeieinsätze mit militärischen Mitteln eben auch die der Weiblichkeit zugeschriebenen schützenden, umarmenden Qualitäten militärisch interessant.

Binnenmilitärisch soll die Präsenz von Frauen im Rahmen längerfristiger Auslandseinsätze Spannungen abbauen. Im Auftreten des Militärs als Besatzungsmacht gegenüber der Zivilbevölkerung sollen weibliche Soldaten deeskalierend wirken, insbesondere die Durchsetzung von Menschen- und Frauenrechten wird als besonderes Kompetenzfeld weiblicher Soldaten identifiziert. In all diesen Fällen wird auf klassische Geschlechterstereotypen zurückgegriffen. Auch im Zuge der Modernisierung von Kampforganisation werden die Muster klassisch männlicher Prägung aufgebrochen: Die hierarchische Kriegführung mit ihren riesigen Arsenalen und Kontingenten ist mittlerweile undenkbar ohne die Vernetzung mit Informationstechnologien, selbstverantwortliche Truppenteile sind schneller, flexibler, tödlicher, wenn sie nicht befehlstaktisch (jeder einzelne Befehl kommt von ganz oben) sondern auftragstaktisch (nur der Auftrag kommt von oben) geführt werden. Dadurch entsteht etwas, was fast an die so genannten flachen Hierarchien moderner effizienzorientierter, betriebswirtschaftlicher Organisationslehren erinnert.

In diese Tendenzen von Militärreformismus passt auch die Integration der Frauen ins Militär. Die Militärapparate können es sich einfach nicht mehr leisten, auf die Frauen und »ihre Qualitäten« zu verzichten. Allerdings erfolgen diese Reformen nicht mit dem Zweck der Emanzipation der Frau oder gar der Zivilisierung des Militärs durch die Frau. Das Gegenteil ist der Fall: Die Reformen allgemein und die Einbeziehung von Frauen im besonderen erfolgen genau in dem Maße, das zur Aufrechterhaltung und zum Ausbau der militärischen Funktionalität – der kollektiven Anwendung von Gewalt – notwendig ist. Umgekehrt garantieren Selektionsmechanismen innerhalb der Rekrutierung und der oben anhand seiner Disziplinierungstechniken beschriebene Ausbildungsverlauf, dass sich vielmehr die ins Militär aufgenommenen Frauen den Funktionsprinzipien von Militär gänzlich unterwerfen.

Die Geschlechterkonkurrenz, die mehr oder weniger subtil ins Militär verlängert wird, und die Tatsache, dass sich das Militär nach wie vor als Männerbund reproduziert, haben so die nur auf den ersten Blick absurde Konsequenz, dass Frauen, wollen sie im Militär bestehen, die »besseren« Männer zu sein haben. Dieser Mechanismus zeigt sich auch in der dem militärischen vorgelagerten politischen Bereich, der Sicherheitspolitik: Frauen wie die ehemalige britische Premierministerin Thatcher, die ehemalige US-Außenministerin Albright oder George W. Bushs Sicherheitsberaterin und Außenministerin Rice machen dort nur Karriere, weil sie das patriarchale Prinzip in der und gegen die Runde der männlichen »Falken« noch auf die Spitze treiben, um gegen und im Männerbund zu bestehen.

Militärische Emanzipation

Und in Deutschland zeigt sich, dass die Öffnung aller Bereiche der Bundeswehr für Frauen durchaus einhergehen kann mit der aggressiven Wendung der »verteidigungspolitischen Richtlinien«. In der im Sommer 2003 veröffentlichten Neufassung finden sich nun auch für die Bundeswehr Einsatzszenarien, mit denen Konfliktursachen am Ort ihres Enstehens und vor ihrem Entstehen militärisch bekämpft werden sollen. Die neuen Richtlinien führen ein Konzept ein, mit dem auch Angriffskriege wie der von USA/GB gegen den Irak 2003 für das deutsche Militär und die Europäische Union ins politisch vorgesehene Aufgabenspektrum zurückkehren. So finden in rot-grüner Reformregierungsprogrammatik Gleichstellungsfeminismus und Interventionsmilitarismus zueinander.

Die Militarisierung der Emanzipation schwächt weder sexistische Arbeitsteilungen und Stereotype ab, noch löst sie sie gar auf. Der Blick auf die Erfahrung von Frauen im Militär deutet genau das Gegenteil an. Dennoch bildet sich ein neuer Konsens heraus, für den die Einbeziehung der Frauen ins Militär geradezu beispielhaft steht: Der Staat garantiert die Gleichwertigkeit der Frau, geradezu doktrinär wird der Nationalstaat zum Garanten des bisher Erreichten und gleichzeitig zum Mentor und Nutznießer einer fortschreitenden Verhoheitlichung und Kommodifizierung der bisher dem häuslich-privaten vorbehaltenen weiblichen Tugenden. Militär funktioniert weiterhin auf der Grundlage der aggressiv-kämpferischen Unterwerfung und Kodierung seiner Mitglieder. Das biologische Geschlecht des Soldaten spielt dabei nicht einmal eine sekundäre Rolle – schon den Begriff der »Soldatin« spart der Bundeswehrjargon aus.

Die Frauen im Militär wirken also mitnichten als pazifizierende Zivilisiererinnen des Militärischen. In dieser Annahme offenbart sich gerade die falsche Prämisse eines allzu biologistischen Geschlechterbildes: Männlichkeit und Weiblichkeit sind gerade nicht den biologischen Geschlechtsmerkmalen zuzuordnen. Letztere sind selbst mitunter wesentlich weniger eindeutig, als das wiederum die zurechtstutzende Gewalt der Pädiatrie und Gynäkologie wahrhaben will. Die konkrete Ausprägung von Geschlechtlichkeit ist jeweils Ergebnis tiefster Prägungen und Sozialisationen, die die als männlich und weiblich angesehenen Merkmale gewichten.

Männlichkeit als Mann mit Frau darin und Weiblichkeit als Frau mit Mann kommen dabei als Geschlechtervorstellung der konkreten, sozialen Realität von Geschlechtlichkeit wesentlich näher. Eine Kritik von Gleichstellungsfeminismen hilft zu verstehen, warum die Institution Militär durch die Integration von Frauen nicht weiblicher wird als es dem gewalttätigen Zweck nützlich ist. »Die Unterordnung der Frau ist nationalstaatlich reguliert, sie vollzieht sich in und durch die vom Nationalstaat umrissenen Räume der Familie, des Privaten und des Öffentlichen, des Produktions- und Reproduktionsbereichs. Derzeit arbeiten Frauen in verschiedensten staatlichen Apparaten und Institutionen daran, jene ›beweglichen Zwischenwände‹ (zwischen diesen Räumen, ME) zu verschieben«, schreibt Cornelia Eichhorn.

Bemühungen um Integration und Gleichberechtigung der Frauen in der Bundeswehr sind nur ein besonders sinnfälliges Beispiel hierfür. Sie werden flankiert von einer reformorientierten Geschlechterforschung, die die »Implementierung von Gleichstellungsregimen in Einsatzgebieten« als »wichtige neue Aufgabe« für »SoldatInnen« (alle Zitate aus »Staatsbürgerinnen in Uniform« von Christine Eifler) formuliert. Jenseits der hier angedeuteten gewaltsamen Einrichtung und Gewährleistung von Frauenrechten gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass die Beteiligung von Frauen im Militär Funktionsweise und Zweck des Militärapparates in eine emanzipative Richtung beeinflusst.

»Wird auf diese Weise das eigene Emanzipationsprojekt im Nationalstaat wieder erkannt, scheint auch der Weg vorgezeichnet, wie noch im Namen der Verteidigung von Fraueninteressen nationalstaatliche Machtpolitik legitimiert werden kann. Dieses drohende Arrangement zu bekämpfen, kann heute nicht mehr alleine bedeuten, die Kritik der Nationform zu forcieren, sondern es muss auch heißen, endgültig mit jener ›Frauenpolitik‹ zu brechen, die derzeit die Nationalisierung der Emanzipation betreibt«, so Eichhorn.

Dem patriarchalen Charakter des modernen Nationalstaates liegt vor allem seine historische und systematische Verschränkung mit dem Militär zu Grunde. Frauen werden im Militär zu den besseren Männern. So stellt der Zusammenhang zwischen Militärästhetik und Geschlechterkodierung gleichzeitig Ausdruck und Produktionssphäre patriarchaler Herrschaft dar. Letztere ist eines der grundlegenden strukturellen Gewaltverhältnisse, sein materieller Kern die intergeschlechtliche Ausbeutung. Dass die Bundeswehr ihre Rekruten im Gelöbnis als einen männlichen Truppenkörper präsentiert, entspricht der Logik patriarchaler »Dominanzkultur«.

Mit der Herausbildung einer Identifikation mit dem Staat, dessen Diener der Mann werden sollte, waren auch die Grundlagen für eine Bereitschaft hergestellt worden, für die Nation einzutreten, für das Angriffs- und Verteidigungsinteresse einer Nation in Form des Militärs als Männlichkeitsmaschinerie. Die Voraussetzung dazu war die Kasernierung als Ort der Prägung patriarchaler Männlichkeit, anfangs noch unter Ausschluss von Frauen.

In der heutigen Zeit des »modernisierten« bzw. »reformierten« Patriarchats braucht es biologische Ausschlusskriterien dieser Form nicht mehr – das heutige Militär ist der Anwesenheit von Frauen gewachsen, die Erkennungsmuster Rosa und Blau, was ist sozial ein Mann, was ist sozial eine Frau, bleiben trotzdem erhalten und sind nach wie vor zwingend notwendig. Dortige Funktionen können von einer biologischen Frau ausgekleidet werden, wenn sie Manns genug ist – ihren Mann steht.

Die vordergründig geschlechtergerechte Präsenz der Frauen verstärkt auf subtile Weise die Geschlechterkonkurrenz. Auch nach dem Eintritt von Frauen ins Militär liegt diesem eine sexistische Struktur zugrunde, welche die Grundlage zur Reproduktion patriarchal-männlicher Identität ist. Sexualisierte Angriffe gegen die neuen Soldatinnen sind darin kein Widerspruch. Wenn weibliche Soldaten in der Zukunft belästigt, vergewaltigt werden, wird dies als »Defekt« von Einzelnen interpretiert und auch geahndet werden – wie das Beispiel der US-Armee im Umgang mit den dort schon länger zum Alltag gehörenden »Einzelfällen« zeigt.

Die Funktion des Militärs wird durch Frauen in der Armee nicht in Frage gestellt, das Militär bleibt »verdinglichte Erscheinungsform von Gewalt« (Ekkehard Krippendorff). Das Patriarchat reformiert sich und legitimiert damit die eigenen modernisierten Institutionen – in diesem Fall das Militär – neu. Auf der Basis eines Gleichstellungsdiskurses, der sich von jeglicher gesellschaftlichen Emanzipationsperspektive verabschiedet hat, werden Frauen in eine Institution eingelassen, die als exklusiver Männerclub galt. Einzige Bedingung: Auch die Frauen haben nach den militärischen – und damit urpatriarchalen – Organisationsprinzipien zu funktionieren: Befehl und Gehorsam, hierarchische Vergesellschaftung, Akzeptanz von Gewalt und Mord als Mittel von Politik zur Konfliktbearbeitung bzw. Durchsetzung von Machtinteressen. Frauen sind nicht mehr nur Opfer, für deren Gleichstellung es zu kämpfen gilt. Sie eröffnen sich den Zugang zu Machtpositionen und werden damit zu Nutznießerinnen und Teilhaberinnen patriarchaler Herrschaft.

Redaktionell gekürzter Auszug mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Markus Euskirchen: Militärrituale. Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments. PapyRossa, Köln 2005. 252 S., 17,50 Euro