Merkel in Orange

Der Einfluss von Werbeagenturen auf die Politik ist enorm, aber mediale Inszenierungen und kommunikative Strategien entscheiden noch lange nicht die Wahl. von holm friebe

Geschichtsschreibung wiederholt sich nicht, sondern muss stets neu und nach Maßgabe der aktuellen Deutungsmuster erfunden werden. »Die Marke Hitler« lautete kürzlich der Titel eines Spiegel-Beitrags, der sich der Propagandaschlacht im Zweiten Weltkrieg widmete und dem aktuellen Trend Rechnung trug, Politik durch die Brille des Marketing zu interpretieren.

Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Mediatisierung der Politik nicht erst im September 1960 begann, als in den USA der Präsidentschaftskandidat Richard Nixon bei einem Fernsehduell ungeschminkt, schlecht rasiert und in einem unvorteilhaften braunen Anzug gegen seinen strahlenden Konkurrenten John F. Kennedy einbrach. Und dass das Spindoctoring keineswegs eine Erfindung der dekadenten US-Amerikaner ist. Der Spiegel bezeichnete vielmehr Joseph Goebbels als »so etwas wie den ersten Spindoctor«: »Von den Kommunisten hatte er die aufpeitschende Macht der Slogans und die Wirkung von Aufmärschen gelernt. Von den Limonadenbrauern aus Atlanta, dass Werbung alle Lebensbereiche ergreifen, dass sie total sein muss. Was die Propaganda betrifft, war Goebbels ein Kind von Marx und Coca-Cola.«

So gesehen ist politisches Marketing eine deutsche Spezialität, auch wenn in der Nachkriegszeit gewisse Vorbehalte gegen allzu augenfällige Ästhetisierungen des Politischen gehegt wurden. Vielleicht als Reflex auf die eigene Anfälligkeit für Charismatiker wird vom deutschen Wahlvolk immer noch die »Authentizität« – als ob es sie geben könnte! – als entscheidendes Kriterium genannt, wenn es Politiker zu beurteilen gilt. Und deshalb gewinnt hierzulande, sofern nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommt, der Kandidat, dessen Inszenierung von Authentizität am professionellsten, glaubwürdigsten und zeitgemäßesten ausfällt.

»Wenn die Reklamefritzen dat meinen, dann machen wa dat so!« meinte Konrad Adenauer einmal. Seine pointierte Parole »Keine Experimente«, mit der er 1957 antrat und die ihm mit 50,2 Prozent das beste Ergebnis in der Geschichte der CDU bescherte, ist der bis heute bekannteste politische Slogan. Da reichte auch das symptomatische »Willy wählen!« der SPD von 1972 nicht heran, obwohl es, werbetechnisch innovativ, zugunsten der Alliteration auf jede Programmatik verzichtete. Kurz: Die Verschnarchtheit der Wahlkämpfe passte zum politischen Treibhausklima der Bonner Republik und wurde auch durch die SPD-Plakate von Klaus Staeck und die Kindergartenmalereien der Grünen nur unwesentlich aufgelockert. Die CDU unter Helmut Kohl hielt jahrzehntelang an einer kleinen Werbeagentur aus Solingen fest, und so sahen die Kampagnen auch aus.

Leichtes Spiel für die SPD, die im Wahlkampf 1998 die politische Kommunikation mit einer dramaturgisch perfekten Kampagne und einem strategischen Spindoctoring neu erfand. Die »Kampa«, die »Neue Mitte«, die nach dem Vorbild der Produktwerbung gestalteten Plakatmotive und Claims – all das hatte Deutschland so noch nicht gesehen.

»Das einzige, was uns damals überraschte«, erinnerte sich Detmar Karpinski von der damals federführenden Agentur KNSK auf dem Werbekongress 2001, »war die fehlende Gegenwehr der Union.« Als einzige potenzielle Angriffsfläche hatte die Agentur den politischen Wankelmut des SPD-Kandidaten identifiziert und vorsorglich einen Spot produziert, der Gerhard Schröder als staatsmännischen Solitär mit Weitblick ganz allein am Strand von Borkum inszeniert. Der Film konnte angesichts der Paralyse der CDU im Giftschrank bleiben und ist nur noch Zeitdokument. Heute betrachtet, entfaltet der an eine Bierwerbung angelehnte Spot einen unfreiwilligen Subtext, der ihn glatt als nächsten Wahlkampfspot der CDU prädestiniert.

Die CDU hat indessen mit McCann-Ericson eine internationale Agentur angeheuert, die etwas von strategischem Markenaufbau versteht. Trotzdem gelang es ihr 2002 nicht, den medial sperrigen Kandidaten Edmund Stoiber weichzuspülen und ihm dann wieder Ecken und Kanten anzugeheimnissen.

Das strategische Patt ist wieder hergestellt, und vielleicht sollte der Einfluss der Agenturen auf den Wahlausgang auch nicht überschätzt werden. Selbst Karpinski ist überzeugt, dass Schröder 1998 auch ohne jede Kampagne gegen Kohl gewonnen hätte, und die FDP hat 2002 vorgemacht, wie man sich mit allzu viel »Originalität« im Wahlkampf auch gehörig ins Abseits schießen kann.

Das kurze Intermezzo der SPD mit der Berliner Agentur Aimaq-Rapp-Stolle, die für die Reklame für die Agenda 2010 den griffigen Claim »Das Wichtige tun« erfand, wurde jäh beendet. Gebracht hatte das Ganze ohnehin nichts. Die Ursache für die Aufkündigung war wohl weniger die Unzufriedenheit des Auftraggebers als vielmehr die Unlust der Agentur angesichts der aussichtslosen Aufgabe. Eine neue Agentur haben die Sozialdemokraten noch nicht gefunden, während die CDU an McCann festhält.

Deren bislang gravierendste Maßnahme bestand darin, der CDU zum Europawahlkampf 2004 ein frisches Orange als »Akzentfarbe« zu verpassen und so »auch über die emotionale Dimension stärker anzusprechen«. Die Farbe Orange, wollte man herausgefunden haben, sei bis dahin noch von keiner Partei benutzt worden und drücke den Farbberatern zufolge das Lustige, die Geselligkeit, den Genuss, die Energie, die Wärme und den Wandel aus, weshalb Laurenz Meyer sie damals als »total in« einstufte.

Dass kurze Zeit später der von George Soros’ Open Society Institute markentechnisch beratene Umsturz in Kiew unter der Bezeichnung »Orangene Revolution« stattfand, hätte dem neuen CDU-Image durchaus Auftrieb verleihen können. Tatsächlich brachte Angela Merkel eine symbolische Orange mit ins Parlament – mit der klaren Metabotschaft, dass nun auch hierzulande die Tage des Patriarchen gezählt seien. Aber Merkel ist nicht Julia Timoschenko. Und das apricotfarbene Kostüm, in dem sie ihre Kanzlerkandidatur entgegennahm, sah dann doch eher nach Sekretärinnenlook denn nach geistig-moralischer Runderneuerung aus.

Von den Werbeagenturen ist in diesem Wahlkampf, so es denn Neuwahlen im September gibt, schon allein aus Zeitmangel ohnehin nicht viel zu erwarten. Stattdessen wird die Symbolpolitik jetzt wieder »inhouse« gemacht, speziell bei der SPD, wo das professionelle »Messagemanagement« von einst einer Kakophonie hektischer Pseudokampagnen gewichen ist. Statt einer unspektakulären, aber wirkungsvollen Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent wird mit Blick auf die Bild-Zeitung eine populistische »Millionärssteuer« in Umlauf gebracht. Ulla Schmidt hält an der unausgegorenen Bürgerversicherung als Wahlkampfthema fest, und zwar wegen ihres »semantischen Charmes«. Die Grünen versuchen als »neue Linkspartei« panisch ihren Ruf als Kinder-FDP loszuwerden und die SPD dort zu überholen, wo die PDS und Oskar Lafontaine gerade ausloten, wie man als neugeborene Politmarke die Attribute »national« und »sozialistisch« möglichst unverfänglich kombiniert. Die FDP kämpft tapfer weiter gegen ihr Ansehen als »Spaßpartei«. Und die CDU macht, was Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen vorgemacht hat: bloß nichts falsch.

Wenn es die Union geschickt anstellt, tritt sie in diesem Wahlkampf mit der Widerlegung von Paul Watzlawiks These, dass man »nicht nicht kommunizieren« könne, auch gleichzeitig den Beweis an, dass wahlkampftechnische Inszenierung und Zuspitzung in der Mediendemokratie nicht alles entscheiden. In ihrem Fall ist die Vermeidung von Kommunikation tatsächlich die beste Marketingstrategie. Und dafür braucht man nicht mal eine Werbeagentur.