Die Wende fällt aus

Rhetorisch folgt dem »Ausstieg« der »Ausstieg aus dem Ausstieg«. Faktisch dürfte sich an der Energiepolitik im Falle eines Regierungswechsels nur wenig ändern. von cord riechelmann

Angela Merkel weiß, wo man die Rede von einer Wende in der Umwelt- und Energiepolitik gern hört. Als sie kürzlich vor dem Verbandstag der deutschen Elektrizitätswirtschaft (VDEW) in Berlin ein »umfassendes Maßnahmenpaket« für den Fall der Machtübernahme nach den vorgezogenen Neuwahlen ankündigte, wirkten die anwesenden Manager der Energiekonzerne äußerst zufrieden. Teile der Rede hätten »von uns geschrieben sein können«, teilte einer von ihnen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit.

Merkel redete vom Ausstieg aus dem so genannten Atomkonsens, davon, dass der Ökostrom künftig in geringerem Maße gefördert und die Ökosteuer überprüft werden solle. Doch das alles ist, wenn man genauer hinsieht, vor allem Rhetorik der Kanzlerkandidatin der Union.

Die Ökosteuer könne man »auf keinen Fall sofort abschaffen«, musste Merkel mit Bedauern hinzufügen, und einen Bedarf für den Neubau von Atomkraftwerken sieht sie im Augenblick auch nicht. Bei dem, was sie als »Ausstieg« bezeichnet, wird es sich im Wesentlichen um eine erhebliche Laufzeitverlängerung der zurzeit noch aktiven 17 Atommeiler handeln. Das ist natürlich keine gute Nachricht, denn an der Bedrohung, die von den Atomkraftwerken ausgeht, hat sich nichts geändert.

Ginge es nicht um tödliche Gefahren, so könnte man sich geradezu über die Vorschläge einiger Unionspolitiker aus der Provinz amüsieren. Am Donnerstag voriger Woche meldete sich einer von denen, die Merkels Direktiven offenbar nicht verstanden haben, zu Wort. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Dresdner Landtag, Heinz Lehmann, will in Sachsen ein neues Atomkraftwerk bauen und er weiß auch schon genau, wo es stehen soll: in Hirschfelde bei Zittau. Dort gab es früher ein Braunkohlekraftwerk, das mittlerweile abgerissen wurde.

Wesentlich ernster zu nehmen sind jedoch die Aussagen des umweltpolitischen Sprechers der Unionsfraktion im Bundestag, Peter Paziorek. Er sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dass der Neubau von Atomkraftwerken »kein Thema« sei. Das sei politisch nicht durchsetzbar, und kein Stadtrat der Republik werde da mitziehen.

Im Gegensatz zu Lehmann scheint er sich noch daran erinnern zu können, wie auf dem Höhepunkt der Anti-Atombewegung selbst die treuesten Wähler der Unionsparteien, Winzer und Bauern, die Straßen mit Traktoren sperrten, sich an Bäume ketteten und im Kampf gegen Atomkraftwerke und Wiederaufbereitungsanlagen mit langhaarigen Parka-Trägern zusammentaten. Auch die hemdsärmeligen Atomkraftbefürworter, die einen Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre auf dem Höhepunkt des »Freundeskreises Gorleben« ungefragt in jeder westdeutschen Kleinstadt mit den Worten anraunzten: »Bei dir kommt der Strom wohl aus der Steckdose?«, scheinen sich ihm dauerhaft ins Gedächtnis geprägt zu haben.

Die einen wie die anderen verschwanden von der Bildfläche, seit die Grünen das Land mitregierten und die Sache mit den Atomkraftwerken ihrem Ende entgegen zu gehen schien. Deshalb wurde in all den Jahren der Auftritte Renate Künasts und Jürgen Trittins auch nicht mehr so genau registriert, wer auf einmal wieder von der »sauberen« Atomenergie sprach. Zu ihren Fürsprechern zählten längst nicht mehr nur Personen vom Schlage Hans Olaf Henkels oder Guido Westerwelles. Man konnte die Meinung, dass die Atomenergie im Grunde gar keine schlechte Sache sei, auf den Gängen vor den Büros der taz-Redakteure ebenso vernehmen wie in irgendwelchen schicken Galerien des rot-grünen Milieus in Berlin-Mitte.

Weil einerseits der Widerstand gegen die Atomkraft im Allgemeinen geringer geworden ist, anderseits aber konkrete Pläne für den Bau eines AKWs zumindest vor Ort viel Ärger mit sich bringen dürften, steht zu vermuten, dass sich die Politik einer Regierung Merkel in Sachen Atomkraft kaum von der rot-grünen unterscheiden würde.

Auch in den vergangenen sieben Jahren ist kein Kernforschungszentrum geschlossen worden. Nur flossen ein paar Euro mehr in die Erforschung erneuerbarer Energien. Und das Argument, mit dem solche staatlichen Zuschüsse gerechtfertigt wurden, ist dasselbe, das Heinz Lehmann nunmehr in Sachsen für sein Atomkraftwerk ins Feld führt: Der Neubau bringe Arbeitsplätze in die Region, sagt er. Mit dem Versprechen, Arbeitsplätze zu schaffen, konnte man schon unter Rot-Grün auf der einen Seite staatliche Wälder privatisieren und auf der anderen Seite private landwirtschaftliche Nutzflächen enteignen, um zum Beispiel den Hamburger Flughafen auszubauen.

Die so genannte Wende in der Energiepolitik ist bereits unter der rot-grünen Regierung vorbereitet worden, die etwa für den Neubau von Atomkraftwerken in Slowenien immer offen gewesen ist. Billigen Strom muss man ja nicht unbedingt in neuen Atomkraftwerken hierzulande produzieren. Es lässt sich per Vertrag regeln, dass man ihn beispielsweise aus neuen Atomkraftwerken in der Ukraine beziehen kann.

Und wenn Merkel nunmehr fordert, die erneuerbaren Energien müssten sich den »realen Marktbedingungen« stellen, dann ist das nur die Fortsetzung von dem, was Rot-Grün wollte. Der so genannte reale Markt regelt auch bei den subventionierten Energieproduzenten die Verhältnisse. Die Betreiber von Windrädern sind längst keine alternativen Bastler mehr, die im Garten ihres Kleinbauernhofes ein Rad aufbauen, sondern hochmoderne Unternehmen mit Sitz in Baden-Württemberg oder Bayern. Sie in ihrer Expansion zu behindern, widerspricht den Grundsätzen der CDU/CSU. Deshalb dürfte alles beim Alten bleiben.

Sollte Angela Merkel ab Herbst regieren und es ihrer Regierung tatsächlich gelingen, den Strom billiger zu machen, wie es die Unternehmer fordern, um ihre angeblich Arbeitsplätze gefährdenden hohen Energiekosten zu senken, wird man nach ein paar Jahren wohl feststellen, dass weder die Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist, noch die zu erwartenden höheren Gewinne der Energiekonzerne zu saubererer Luft und glücklicheren Menschen beigetragen haben. Nach wie vor wird man Energiekonzerne per Gesetz oder mit öffentlich-rechtlichen Verträgen dazu bringen müssen, ihre Gewinne in die Erforschung erneuerbarer Energien zu stecken.

Das einzige, was sich wohl grundlegend ändern wird im Staate Merkels, ist die Stellung der Jäger. Ihre Lobby dürfte wieder ungehindert ihre fast absolute Mehrheit im Parlament in praktische Politik umsetzen. Man kann den Grünen viel vorwerfen, doch das ungehinderte Schießen von Rabenvögeln, Füchsen und anderem Wild fand Renate Künast nie gut.