Gib mir Tiernamen!

Überall auf der Welt heißen Fußballmannschaften nach Tieren. Nur für die deutsche Nationalmannschaft lässt sich kein entsprechendes Vieh finden. von christian helms

Die »Adler von Karthago«, wie man die tunesischen Fußballer in ihrer Heimat nennt, breiteten ihre Schwingen gerade über dem vorweltmeisterschaftlichen Deutschland aus. Entschlossen stapfen die »Elefanten« von der Elfenbeinküste mit großen Schritten durch die WM-Qualifikation und kämpfen im September in Abidjan mit den »unzähmbaren Löwen« Kameruns um die Vorherrschaft in ihrer Gruppe.

Afrikanische Nationalmannschaften sind ohne ihre Spitznamen ähnlich undenkbar wie Winfried Schäfer – selbst mehr als drei Jahre lang ein Löwe – mit einer zeitgemäßen Frisur. Dabei bedient man sich vorzugsweise aus dem Tierreich des Kontinents: Man sieht »Zebras« in Botswana, »Hengste« in Burkina Faso, »Krokodile« in Lesotho, »Mambas« in Mosambik oder gar »Skorpione« in Madagaskar. Die europäischen Nationen stehen plötzlich vergleichsweise bieder da.

Nun könnte der eine oder andere einwenden, die hiesige Fauna gebe nichts ähnlich Furchteinflößendes her. Dem seien sofort die »Eichhörnchen« des Benin entgegengehalten; auch die »Spatzen« Burundis sind nicht unbedingt geeignet, den Gegner in Ehrfurcht erstarren zu lassen, nehmen sich sogar gegen einen ausgewachsenen Hirschen oder den guten, alten deutschen Schäferhund recht klein aus.

Dabei gäbe das traditionsreiche Wappen auf der Brust des DFB-Teams doch nun wirklich eine wunderbare Vorlage. Doch liest man nach den Auftritten der Klinsmann-Elf von den »Adlern«? Während in Nigeria die Kicker in der grün-weißen Landeskluft sogar zu »Super Eagles« werden, wehrt man sich in Zentraleuropa gegen die Totalidentifikation mit den animalischen Paten. Im besten Fall sind es noch die etwas distanzierteren »Adlerträger«, die für Furore sorgen.

In Frankreich hat man als Symbol den Hahn, deutlich prominenter als der krähende Gallier ist international jedoch die Farbkombination der Landesflagge (»équipe tricolore«) oder, noch schlichter, die traditionelle Spielkleidung (»les bleus«). Ähnlich verhält es sich in Italien, dessen »squadra azzurra« ebenfalls einen eher deskriptiven Beinamen trägt.

Eine ruhmreiche Ausnahme – zumindest in dieser Hinsicht – sind die Engländer, die bekanntermaßen gleich drei Löwen auf einmal sind.

»Afrikaner identifizieren sich gerne mit Dingen, indem sie ihnen besondere Namen geben. Oftmals mit etwas, das für die Gesellschaft eine besondere Bedeutung hat«, erklärt der südafrikanische Sportjournalist David Kekana. Tiere spielten nun einmal in der afrikanischen Tradition eine bedeutende Rolle, somit sei es wenig verwunderlich, dass sich dies auch in der Benennung der Fußballteams widerspiegle.

Wie wichtig diese »Kampfnamen« für die Kicker des Kontinents sind, verdeutlicht die Geschichte des Nationalteams Südafrikas. Als man in den frühen neunziger Jahren nach dem Ende der Apartheid auf die große Bühne des Weltfußballs zurückkehrte, entflammte vor dem ersten Pflichtspiel in Zimbabwe in der Öffentlichkeit eine angeregte Diskussion, wie man es denn mit den dortigen »Warriors« aufnehmen könne. Freilich, es ging dabei nicht einmal am Rande um taktische Feinheiten, fieberhaft wurde stattdessen im ganzen Land ein würdiges Tier gesucht, das natürlich weder schwarz noch weiß sein durfte. Überraschend setzte sich schließlich aber die Beschreibung eines Journalisten durch, der von der naiven Spielweise der Auswahlmannschaft inspiriert einen eher spöttischen Artikel über »Bafana bafana« (Die Jungs) verfasste. Mittlerweile ist das ein etablierter Markenname, der sowohl bei der Anhängerschaft als auch in den Medien Verwendung findet.

Wohlgemerkt, das alles entspringt nicht den Köpfen cleverer Vermarktungsstrategen, auch wenn diese natürlich dankbar zugreifen. Man denke nur an die Puma-Kampagne mit den muskulösen Zeichentrick-Fußballern aus Kamerun, die ärmellos durch die Wüste hetzen. Die dumpfe europäische Sehnsucht nach dem Afrikaklischee vom bunt gekleideten, barfüßigen Stadionbesucher mit der selbst gebastelten Nashornmaske, vom alten zahnlosen Medizinmann, der vor dem Anstoß die Torstangen mit sonderbarem Pulver und mysteriösen Versen verhext, von rhythmischen Kabinettstückchen auf ausgedörrten Rasenplätzen findet ihre Erfüllung scheinbar bereits in den Spitznamen. So stolz man in Togo momentan auf seine »Falken« ist, so positiv in Uganda von den »Kranichen« gesprochen wird, professionelle afrikanische Fußballverbände – ja, die meisten sind das inzwischen –, schrumpfen in der europäischen Wahrnehmung plötzlich wieder auf das Niveau uriger Volksstämme.

Dabei sind diese tierischen Auswüchse im weltweiten Vereinsfußball doch keineswegs eine exklusiv afrikanische Besonderheit. Istanbul ist beispielsweise klar in Löwen (Galatasaray), Schwarze Adler (Besiktas) und Kanarienvögel (Fenerbahçe) unterteilt. In Mexiko fiebert das ganze Land mit, wenn der große Vergleich zwischen den »Aguilas« – da sind sie wieder, die Adler – vom Hauptstadt-Club America und den »Chivas«, den Ziegen aus Guadalajara, ansteht. Im nordamerikanischen Sport sind viele Clubs ohne ihre Wappentiere undenkbar. Und hierzulande? Derzeit bereichern Zebras, Geißböcke und natürlich Adler die höchste deutsche Spielklasse, Fohlen und Wölfe standen ansonsten zuletzt jedoch recht verloren da. In Wolfsburg setzte sich der neue Kampfname der Niedersachen zudem erst unter Wolfgang Wolf durch. Der ach so große FC Bayern? Fehlanzeige!

Wenn die deutsche Nationalmannschaft bislang also keinen einprägsamen Spitznamen gefunden hat, dann liegt es vielleicht auch ganz einfach daran, dass sich die Nation in keinem Zwei- oder Vielbeiner wirklich wiederfindet. Wir suchen: eine Kreatur, die viel und laut schreit. Dazu noch mit einem selbstmitleidigen Unterton. Etwas schwerfällig und behäbig muss sie sein und dennoch denken, sie sei allen Konkurrenten überlegen. Doch so etwas gibt wahrscheinlich selbst das intensivste Studium von Brehms Tierleben nicht her.