Ganz normaler Häuserkampf

Vor rund zwei Monaten haben die ehemaligen Bewohner der Yorckstraße 59 das Bethanien am Berliner Mariannenplatz besetzt. Während des Wahlkampfs ist Ruhe eingekehrt – vorläufig. Mit zwei Besetzerinnen sprach sonja fahrenhorst

Pass auf Yuppie, hier brennt die Luft«, »Häuser besetzen? Sowieso« oder »Yorckstraße 59 – Never give up« steht auf den bunten Spruchbändern, die am Seitenflügel des Künstlerhauses Bethanien hängen. Im oberen Stockwerk des ehemaligen Sozialamts Kreuzberg wohnen die etwa 60 Personen aus dem ehemaligen Wohnprojekt in der Yorckstraße 59. Da die Bewohner Sanierung und Mieterhöhung abgelehnt hatten, ließ der neue Eigentümer das Haus räumen. Die ehemaligen Bewohner der Yorckstraße und neuen Besetzerinnen sind Fotografen, Handwerkerinnen, Verkäuferinnen, Empfänger von Arbeitslosengeld II, viele, die studiert haben oder es noch tun; mit dabei ist auch die Antirassistische Initiative, deren Infrastruktur auch andere Flüchtlingsgruppen, wie etwa »The Voice« aus Brandenburg, nutzen. Eine bunte Mischung, die sich seit der Gründung des Projekts im Jahr 1988 wegen der vielen Ein- und Auszüge immer wieder erneuert.

Im Bethanien haben die meisten ein eigenes Zimmer, manche teilen sich einen Raum, wie etwa die Kinder, die mit ihren Eltern im Projekt wohnen, auch Arbeitsräume gibt es. Zurzeit sind Badezimmer im Bau, bis sie fertig sind, werden die Duschen in der benachbarten Kita benutzt. Andrea, 38 Jahre alt, ist seit der Gründung des Projekts dabei. Die Sekretärin ist derzeit arbeitslos, und auch ihre 22jährige Freundin Nina, eine Malerin, die seit einem Jahr mit von der Partie ist, sucht einen Job. »Glücklicherweise hatten wir so wenigstens genügend Zeit, uns für das Projekt einzusetzen«, erzählen sie in einem Café am Mariannenplatz, denn im besetzten Haus will man, aus welchen Gründen auch immer, keine Presse haben. »Es gab eine Menge Unterstützung, politische und persönliche. Das hätte sonst alles nicht funktioniert«, erzählt Andrea und nimmt einen Schluck von ihrer Apfelschorle. Draußen, auf dem Platz vor dem Bethanien, werkeln einige Künstler im strömenden Regen an ihren Werken aus Holz. »Wir haben gesagt: Das Bethanien passt gerade ganz gut. Es ist in Bezirkshand, und da ist das Gauklerfest am Abend, das heißt, es ist sowieso viel los, da versuchen wir, jetzt mal alles auf eine Karte zu setzen.« Entgegen Berichten, die man in vielen Zeitungen lesen kann, beschreiben sie die Situation als problemlos. In der öffentlichen Meinung sei vieles »konstruiert« worden.

Mit den neuen Nachbarn gebe es, entgegen der Darstellung von Christoph Tannert, dem Leiter des Künstlerhauses Bethanien, keine Probleme, sagt Nina. Die Jungs vom Sportverein seien freundlich, die Erzieherinnen der Kita hätten mit den Kindern sogar Plakate gemalt mit der Aufschrift: »Herzlich Willkommen Yorck 59! Wir haben schon auf euch gewartet«. »Wir haben eigentlich zu beinahe allen, die hier ein- und ausgehen, eine herzliche Beziehung«, sagt sie. »Außer dieser Tannert, der total bekloppte Beschwerdebriefe schreibt«, wirft Andrea ein. »In seinen Briefen an die Bezirksleitung spricht er davon, dass wir ›Leichenfledderei an der revolutionären Idee‹ betreiben würden. Jetzt will er wegen uns sogar die Miete mindern, um Geld zu sparen.«

Andrea und Nina können die Reaktion Tannerts nicht verstehen, der sich auch nicht mit den Besetzern treffen wolle, obwohl sie ihm das bereits mehrere Male angeboten hätten. »Man kann also nicht davon sprechen, dass alle auf unserer Seite sind«, sagt Andrea. Der »Häuserkampf« ist für sie bereits Teil der Normalität geworden. »Weil ich das von Anfang an richtig fand, politisch dagegen zu halten und sich das nicht gefallen zu lassen: einer gegen 60. Es hat einem ja auch total Auftrieb gegeben, dass das alles so toll lief. Deshalb macht man weiter, auch wenn’s manchmal anstrengend ist.«

Ob man es nicht schlicht versäumt habe, das Haus Yorckstraße 59 selbst zu kaufen? »Nein«, antwortet Andrea entrüstet, »im Gegenteil.« Man hätte es nach einigen Überlegungen abgelehnt, warum hätte man sich Stress mit einer Kreditaufnahme machen sollen? »Außerdem hat uns die Auflage abgeschreckt, den Seitenflügel mit den ›normalen‹ Mietern mitkaufen zu müssen.« »Das war ja eine Notlage, als das Haus zwangsversteigert wurde«, sagt Nina. »Wir haben von der Versteigerung zwei Tage vorher erfahren, da konnten wir es natürlich auch nicht mehr kaufen. Jetzt sind wir eben hier.«

Bis Ende Mai 2006 wollen die Besetzerinnen im Bethanien bleiben, doch einen Vertrag mit dem Bezirksamt gibt es noch nicht. Zwar hat sich die Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS), wohl nicht zuletzt aus wahltaktischen Gründen, dazu entschlossen, die Besetzer zu dulden. Aber das Bezirksamt nennt als Termin, an dem sie das Bethanien wieder verlassen haben sollen, den 31. März 2006. Ab April 2006 sollen im besetzten Seitenflügel des Bethanien 230 Jugendliche untergebracht werden, die zur Straßenfußball-Weltmeisterschaft nach Berlin reisen werden.

»Das Bezirksamt hat behauptet, sie wären vorbei gekommen und hätten vor verschlossener Tür gestanden. Wir waren aber im Gebäude und hatten uns ins Foyer gesetzt. Die haben alle unsere Telefonnummern, sie hätten uns ja auch anrufen können«, erzählt Andrea aufgebracht. »Irgendwann hieß es dann, wir wären nicht gekommen. Es gab aber keine telefonische Absage unsererseits, wie es in den Zeitungen stand.«

Die Vereinbarung hätte man aber ohnehin nicht unterschrieben. Die Leute aus der Yorckstraße 59 wollen einen nahtlosen Übergang in ein Ersatzobjekt. Es lägen zwar bereits mehrere Kaufangebote des Liegenschaftsfonds vor, doch der Zustand der Häuser sei verheerend. »Die Heizkörper sind zerplatzt, die sanitären Anlagen müssten neu gemacht werden, es ist alles total runtergekommen. Die Gebäude stehen seit zehn oder elf Jahren leer. Es ist richtig viel Arbeit, und das ist bis März nicht zu machen. Man kann ja nicht im März, also im Winter, in ein Haus umziehen, das nicht beheizbar ist«, sagt Andrea. Außerdem verstehe sie es ohnehin nicht, dass man im Bethanien so viele Jugendliche unterbringen will.

»Das ist doch nicht wirklich praktisch«, findet auch Nina. »Man könnte besser in eine Schule gehen, das haben wir dem Veranstalter schon vorgeschlagen. Er hatte uns gesagt, dass er woanders hingehen würde, wenn es hier in der Nähe des Oranienplatzes wäre.« Man werde noch mal mit ihm reden, sagt Andrea.

Über den Aufruf zur Wiederbesetzung der Yorckstraße 59 (»Wir holen uns das zurück, was uns gehört. Und das mit Gewalt«), der im Internet kursieren soll, können Andrea und Nina nur lächeln. »Der Eigentümer würde ja sofort einen Strafantrag stellen. Das ist hier ganz anders«, sagen sie. »Das ist ein Bezirksamt, und angeblich wollen sie das Projekt ja auch unterstützen, nun sind sie in der Not, uns dulden zu müssen.« Die Duldung ist, nach Auffassung der Besetzerinnen, politisch begründet. »Ob die Reinauer uns jetzt doof oder nett findet – es ist eine Parteilinie, und die können es sich halt nicht leisten, eine Räumung durchzuziehen, auch wenn sie wollten. Es ist schon eine günstige Situation«, meint Andrea und lacht. »Wir gehen davon aus, dass uns leerer Wohnraum zusteht. Das ist gesellschaftliches Eigentum. Und wir sind eben die Gesellschaft.«