Nichts sehen, nichts hören

Wie zu den Zeiten der verbotenen »Skinheads Sächsische Schweiz« prügeln die Neonazis in Pirna, während die Polizei zuschaut. Nun wird auch gegen Polizisten ermittelt. von alexander fichtner

Ein ganz normaler Samstag in Pirna. Neonazis greifen andere Jugendliche an. »Sieg Heil!« brüllen die Angreifer. Die Polizei kommt zu spät, um sie zu fassen. Aber im Unterschied zu anderen Samstagen ist ein Team der ARD-Sendung »Kontraste« vor Ort und interviewt die Betroffenen. »Da habe ich mich umgedreht«, erzählt einer von ihnen, »da stand ein Nazischläger hinter mir und hat gesagt, ›dich kriegen wir auch noch‹, und hat mir mit einem Schlagring in der Faust ins Gesicht geschlagen.« Eine Platzwunde unter dem Auge und den Verdacht auf Jochbeinbruch trägt er davon, bei seinem Freund besteht der Verdacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma. Über die Polizei sagt einer der Jugendlichen: »Nachher hab ich selber noch gehört, wie sie gesagt haben, dass sie die Suche nach den Leuten einstellen, obwohl wir eigentlich, viele Leute von uns, eine passende Beschreibung abgegeben haben.«

Solche und ähnliche Fälle, bei denen die Polizei nichts gegen die Neonazis unternimmt, häufen sich in Pirna. Am 5. Mai, Christi Himmelfahrt, überfielen Neonazis an einem Kiessee in der Nähe der Stadt mit 50 000 Einwohnern eine zeltende Gruppe Jugendlicher und schlugen sie zusammen. Die Polizei schaute vom Parkplatz aus zu und nahm die Personalien der Opfer auf. Nach »Kontraste« halfen die Beamten nicht einmal, die Verletzten zu den Krankenwagen zu bringen. Später kamen die Nazis zurück und prügelten wieder los. Als die Angegriffenen erneut versuchten, die Polizei zu alarmieren, sei ihnen gedroht worden, berichtete einer von ihnen: »Der genaue Wortlaut war dann: ›Eure Jugendstreitereien könnt ihr alleine klären, dafür braucht ihr uns nicht. Wenn ihr halt noch mal anruft, dann gibt’s halt Ärger, dann könnt ihr die Rechnung selber bezahlen fürs Ausrücken!‹«

Zwei Tage später fand in Pirna ein Stadtfest unter dem Motto »Markt der Kulturen« statt, bei dem 60 Neonazis die Bühne stürmten. »Unsere Security wollte nicht eingreifen, aus der Befürchtung, die Lage könnte eskalieren«, sagt Sven Forkert von der Aktion Zivilcourage der Jungle World. Die Polizei traf erst eine halbe Stunde später ein. Die Band spielte unterdessen weiter, die Gäste tanzten, und die Rechten, zum Teil aus dem Umfeld der verbotenen »Skinheads Sächsische Schweiz« (SSS), hielten Transparente hoch. »Linker Hetze entgegentreten« und »Pirna stellt sich quer gegen den Markt der Kulturen« stand darauf.

Nachdem zwei Streifenpolizisten die Neonazis der Bühne verwiesen hatten, bewarfen diese die Veranstalter mit Eiern. »Bei Kooperationsgesprächen hatten wir die Polizei auf die Gefährdung aufmerksam gemacht«, sagt Forkert. »Die Polizei hat Fehler gemacht.« Günter Liebenow, der Leiter der Polizeidirektion Oberes Elbtal-Osterzgebirge erklärte der Sächsischen Zeitung: »Wir hatten auf Grund der Meinungsfreiheit rechtlich keine Grundlage, um eher einzuschreiten. Auch mehr Personal hätte da nichts geholfen.«

Wie Ende der neunziger Jahre, zu Zeiten der Skinheads Sächsische Schweiz, überfallen in Pirna wieder regelmäßig rechte, vermummte Jugendliche in Gruppen bis zu 25 Personen alternative Jugendliche, die sie zum Beispiel grillend an den Elbwiesen finden. Der Verdacht drängt sich auf, dass ehemalige Mitglieder der SSS an den Überfällen beteiligt sein könnten.

Gegen vier verurteilte Mitglieder der früheren Skinheadorganisation läuft derzeit ein Verfahren wegen Fortführung der verbotenen Vereinigung. Andere sind mittlerweile in der NPD aktiv. Der Pirnaer NPD-Stadtrat Mirko Liebscher beschreibt den Journalisten von »Kontraste«: »Man kennt sich, man geht auf Veranstaltungen. Man geht mal ein Bier trinken. Eine normale Freundschaft.« Liebscher leitet gemeinsam mit Thomas Rackow, früher SSS, die Ortsgruppe der Jungen Nationaldemokraten, der Jugendorganisation der NPD.

Schon im Umgang mit der SSS war der Polizei häufig vorgeworfen worden, sie habe nicht auf Hilferufe reagiert, etwa als um das Jahr 2000 wiederholt das kleine Restaurant der türkischen Familie Sendilmen in der Innenstadt angriffen worden war. Die Großrazzia gegen die Skinheadvereinigung im Juni 2000, bei der das Sächsische Landeskriminalamt unter anderem auf zwei Kilogramm TNT, Sprenggranaten, Gewehre, Pistolen, scharfe Zündvorrichtungen und rechtsextremes Propagandamaterial stieß, hatte ohne das Wissen der Pirnaer Polizei stattgefunden. Man befürchtete, dass die Neonazis davon erfahren könnten.

»Gegenüber dieser Zeit hat sich die Situation schon gebessert«, sagt Ina Gorpe von der RAA-Opferberatung Dresden. Doch nach wie vor würden Angriffe verharmlost mit Worten wie: »Die mögen zwar rechts sein, aber zugeschlagen haben sie, weil sie betrunken waren.« Polizeidirektor Günter Liebenow sagte in »Kontraste«: »Wenn es so ist und es ist Tatsache, was Sie sagen, was ich aber nicht ganz glauben will, dann wäre es erschreckend, das würde ich so auch bestätigen. Aber mir ist die Lage so nicht bekannt, wie Sie die Lage darstellen.«

Viele Gruppen in der Sächsischen Schweiz, die sich gegen den Rechtsextremismus engagieren, kooperierten zeitweise eng mit der Polizei und ermunterten die Opfer von Angriffen, Anzeige zu erstatten. Was aber ist zu tun, wenn die Polizei offensichtlich unfähig oder sogar unwillig ist, gegen Rechtsextreme vorzugehen?

Mittlerweile sind mehrere Strafverfahren wegen Strafvereitelung im Amt und Nötigung gegen Polizisten eingeleitet worden. »Von den Ergebnissen wird abhängen, ob und welche Maßnahmen gegen Polizeibeamte eingeleitet werden müssen«, sagte der Sprecher des Innenministeriums, Andreas Schumann, der Chemnitzer Morgenpost.

In Pirna treffen sich die Jugendlichen derweil weiter an den Tankstellen oder vor den Supermärkten. Im Stadtteil Copitz hat sich die »Copitzfront« formiert. Bis sie im Februar von Antifas gehackt wurde, waren auf ihrer Webseite zwei Mitglieder zu sehen, die den Hitler-Gruß zeigen, im Forum grüßte man sich mit der Parole »Ruhm und Ehre der Waffen-SS«, und die »Freien Kräfte« sicherten ihre Unterstützung zu: »Wir stehen hinter Euch! Sobald es was gibt, wegen Demo oder linker Gewalt, meldet Euch bei mir! Kommen morgen auf den Markt!!« Verlinkt war dieses Posting mit der Internetseite »Heimatschutz«, damals betreut vom verurteilten SSS-Mitglied Thomas Rackow.