Laute Musik im Stehen

Die US-Regierung hat eine juristische Grauzone für die Misshandlung
von Gefangenen geschaffen. Bürgerrechtler und Parlamentarier wollen
nun das Folterverbot erneut durchsetzen. von jörn schulz

Es gibt Bereiche, in denen der US-amerikanische Rechtsstaat noch vorbildlich funktioniert. Der Freedom of Information Act ermöglicht es in vielen Fällen, die Veröffentlichung von Dokumenten zu erzwingen, die Regierung, Militär und Behörden lieber unter Verschluss halten würden. So gelang es der American Civil Liberties Union (Aclu), Einsicht in die Autopsie­berichte von Gefangenen zu nehmen, die in US-Gefängnissen im Irak und in Afghanistan verstorben sind.

In 21 von 44 Fällen stellten die Pathologen einen gewaltsamen Tod fest, meist durch »Strangulation«, »Erstickung« oder äußere Gewalteinwirkung. Bei den als »natürlich« eingestuften Todesursachen taucht verdächtig oft eine »arteriosklerotische kardiovaskuläre Krankheit« auf, obwohl ein plötzliches Herzversagen bei jungen Männern recht selten auftritt. »Diese Dokumente sind ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass US-Vernehmer Gefangene zu Tode gefoltert haben«, sagte der Aclu-Anwalt Amrit Singh.

Die Autopsieberichte dürften auch im Zivilprozess »Masri v. Tenet« eine Rolle spielen, denn sie bestätigen die Aussage Khaled al-Masris, dass in US-Gefängnissen auf afghanischem Territorium gefoltert wurde. Anwälte der Aclu haben in der vergangenen Woche die Klageschrift gegen den ehemaligen CIA-Direktor George Tenet und andere an der Verschleppung und Misshandlung al-Masris Beteiligte eingereicht. Vor Gericht geht es zwar nur um eine Entschädigung von 75 000 Dollar, eine Verurteilung Tenets würde jedoch die Praxis der rendition, die Überstellung von Gefangenen an ausländische Regierungen und ihren Transport in US-Gefängnisse außerhalb des Landes, für rechtswidrig erklären. Aktenkundig wäre dann auch, dass die CIA foltert.

Die US-Regierung müsste dann nicht nur mit einer Welle von Schadensersatzprozessen rechnen, auch der politische Druck würde sich weiter erhöhen. Unterstützt unter anderem von der Operation Truth, einer Organisation von Soldaten, die im Irak und in Afghanistan stationiert waren, hat in der vergangenen Woche die Kampagne »Torture is not US« begonnen. Sie wirbt für die Gesetzesinitiative des republikanischen Senators John McCain, die »grausame, inhumane oder entwürdigende Behandlung oder Strafe« verbietet, ungeachtet der Nationalität des Gefangenen und des Ortes, an dem er inhaftiert ist.

Bereits im Oktober haben 90 Prozent der Senatoren dem Gesetzentwurf zugestimmt. In dieser Woche soll das Repräsentantenhaus das ­McCain Amendment diskutieren, und bei einer Abstimmung wird eine ähnlich deutliche Zustimmung erwartet.

Doch das McCain Amendment hat ein entscheidendes Manko. Es definiert nicht, was unter Folter zu verstehen ist, sondern verweist nur auf die entsprechenden, sehr allgemein gehaltenen Zusatzartikel der US-Verfassung sowie auf die UN-Konvention gegen Folter und erkennt ausdrücklich die Vorbehalte an, die die US-Regierung bei der Uno zu Protokoll gab. »Um den Tatbestand der Folter zu erfüllen, muss eine Handlung spezifisch dazu bestimmt sein, schwere physische oder mentale Schmerzen zu verursachen«, ist einer dieser Vorbehalte.

Das schließt schmerzhafte Maßnahmen, die angeblich aus Sicherheitsgründen oder zur Wahrung der Disziplin im Gefängnis notwendig sind, vom Folterverbot aus und überlässt es der Interpretation, was unter schweren Schmerzen zu verstehen ist.

Ein im August 2002 vom Justizministerium dem Präsidenten unterbreitetes Memorandum argumentiert, dass nur Methoden, die Schmerzen wie bei einem Organversagen oder im Augenblick des gewaltsamen Todes hervorrufen, als Folter gewertet werden können. Das Memorandum wurde nach Angaben der Regierung revidiert. Sie will jedoch nicht verraten, welche Verhörtechniken die in den folgenden Jahren erstellten Memoranden des Justizministeriums gestatten.

Die US-Regierung hat offiziell erklärt, dass sie sich im »war on terror« nicht an die Genfer Konvention gebunden fühlt. Führende Regierungsmitglieder wie Donald Rumsfeld haben »harte Verhörtechniken« öffentlich gerechtfertigt. »Ich stehe acht bis zehn Stunden am Tag. Warum wird das Stehen auf vier Stunden begrenzt?« fragte der Verteidigungsminister. Der Zwang, in schmerzhaften Positionen zu verharren, Scheinangriffe von Hunden, Schlafentzug und die Dauerbeschallung mit extrem lauter Musik gehören zu den Methoden, die als legitim oder zumindest diskutabel gelten.

Es sind solche Methoden, die das 1983 erstellte »Human Resource Exploitation Manual« der CIA empfiehlt. Die physische Folter bringt den Gefangenen nur dazu, mit seinen Aussagen die Verhörer zufrieden zu stellen, nicht aber die Wahrheit zu sagen. Moderne »Zwangstechniken« sollen eine Regression bewirken, die den Häftling dazu bewegt, einen Vernehmer als Vaterfigur zu akzeptieren, der er sich anvertraut. Diese Methode kostet Zeit, und sie erfordert, dass ein Vernehmer sich als »good cop« präsentiert.

Die dokumentierten Folterfälle entsprechen jedoch keineswegs immer diesem Mus­ter. Manadel al-Jamadi blieb keine Zeit, sich einem »good cop« zu offenbaren. Er wurde nach seiner Gefangennahme am 4. November 2003 in das Abu-Ghraib-Gefängnis eingeliefert, 45 Minuten später war er tot. Der Autopsiebericht diagnostizierte einen Erstickungstod und stellte gebrochene Rippen fest. Ein Militärgerichtsprozess konnte klären, dass Jamadi geschlagen und an den Handgelenken in einer Position aufgehängt wurde, die ihm das Atmen unmöglich machte. Neben einem Übersetzer war nur der 64jährige CIA-Agent Mark Swanner in Jamadis Zelle anwesend. Swanner arbeitet weiter für die CIA und wurde bislang nicht angeklagt. Die von Aclu veröffentlichten Autopsieberichte deuten darauf hin, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt.

Warum folgte der erfahrene Agent nicht den Folterrichtlinien seines Arbeitgebers? Möglicherweise haben er und andere für den Tod von Gefangenen Verantwortliche, ermuntert durch die offizielle Genehmigung »harter Verhörtechniken« und in der Gewissheit, nicht bestraft zu werden, die Frustration über ihren lebensgefährlichen Job und mangelnde Erfolge bei der Terrorbekämpfung an den Gefangenen ausgelassen. Möglicherweise geht es der US-Regierung aber nicht nur um die Gewinnung von Informationen, sondern auch um Abschreckung.

Dafür spricht vor allem die Praxis, im Rahmen der rendition Gefangene an Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien und Syrien zu überstellen. Es ist allgemein bekannt, dass sie dort nicht mit lauter Heavy-Metal-Musik traktiert werden, sondern mit den klassischen Methoden der physischen Folter wie Elektroschocks und dem Ausreißen von Fingernägeln. Und sämtliche Experten des Militärs und der Geheimdienste sind sich darüber einig, dass sich auf diese Weise keine verwertbaren Erkenntnisse gewinnen lassen. Dennoch hält die US-Regierung trotz der Proteste von US-Bürgerrechtlern und nun auch europäischen Politikern an dieser Praxis fest.

Nicht alle Pläne der US-Regierung können durch den Freedom of Information Act der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, und über die bereits von Präsident Bill Clinton genehmigte rendition ist noch sehr wenig bekannt. Wo die politische Verantwortung für solche Geheimoperationen liegt, stellt jedoch die CIA auf ihrer Homepage klar: »Nur der Präsident kann anordnen, dass die CIA eine verdeckte Aktion unternimmt.«