Hilfe für die erste Welt

»Entwicklungshilfe« soll mehr noch als bisher den Interessen
von Staat und Kapital dienen. Eine Tagung der Deutschen
Wirtschaft zu dem Thema besuchte jörg kronauer

Gerne hätte Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) die Rede selbst gehalten. Nur habe dichter Nebel über Berlin ihre Anreise verhindert, ließ die Entwicklungsministerin dem wohl situierten Publikum im Kölner Dorint-Hotel mitteilen. Die geschäftigen Herren mittleren bis gehobenen Alters, die zur Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Entwicklungspolitik der Deutschen Wirtschaft gekommen waren, vernahmen die regierungsamtliche Botschaft stattdessen aus dem Munde eines Ministerialdirigenten. Der verlas Wieczorek-Zeuls Redetext zum Thema »Direktinvestitionen aus Sicht der Entwicklungspolitik«.

Die vor fünf Jahren von den UN-Mitgliedsstaaten beschlossenen »Millenniumsziele«, die eine globale Verringerung der Armut vorsehen, könnten nur mit einer »großen Koalition der anderen Art« erreicht werden, ließ die Ministerin mitteilen: »durch gemeinsame Aktivitäten aller gesellschaftlichen Kräfte, eingeschlossen die Privatwirtschaft«. Insbesondere ­seien Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in Entwicklungsländern »elementar für die Erreichung der Millenniumsziele«. Entwicklungspolitik müsse daher ein »Katalysator für stärkeres privatwirtschaftliches Engagement« sein.

Noch enger als bisher soll die Zusammenarbeit von Entwicklungspolitik und Unternehmen werden, fordert die beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) angesiedelte Arbeitsgemeinschaft Entwicklungspolitik. Sie tritt damit bei der »roten Heidi« offene Türen ein. Habe man anfänglich noch Bedenken gehabt, so sei heute unumstritten, dass »die Ministerin für die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft steht«, bekräftigte Hans-Peter Schipulle vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) auf der Kölner Tagung. »Es sind keine ideologischen Grundsatzdebatten mehr angesagt«, berichtete er über die Arbeit unter der bald dienstältesten deutschen Entwicklungsministerin.

Dass die deutsche Entwicklungshilfe expansionswilligen deutschen Unternehmen bisweilen zuarbeitet, ist keine Neuigkeit. Die Auslandstätigkeit seines Hauses sei eine »Basisinvestition für den lebenswichtigen Außenhandel der deutschen Industrie«, erklärte schon Walter Scheel (FDP), der erste Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit der Republik (1961 bis 1966). Sein Nachfolger Hans-Jürgen Wischnewski (SPD) bemerkte, die Entwicklungshilfe könne der deutschen Wirtschaft in »konjunkturell schwachen Zeiten durch größere Lieferungen wieder Impulse geben«. Wie das im Einzelnen funktioniert, kann man heute weltweit beobachten.

In Pakistan etwa, einem Schwerpunktland der deutschen Entwicklungshilfe, fördert das BMZ unter anderem die Nutzung erneuerbarer Energien. Seit vielen Jahren berät die bundeseigene Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) die Regierung des südasiatischen Landes auf dem Energiesektor und arbeitet unmittelbar mit dem pakistanischen Wasser- und Energieministerium zusammen. Die diffizile ingenieurtechnische Aufsicht über ein großes, von der GTZ unterstütztes Wasserkraftvorhaben, das Allai Khwar Hydropower Project, ging an die deutsche Firma Lahmeyer International. Direkt förderte das BMZ den Bau des Wasserkraftwerks Ghazi Barotha, an dem deutsche Unternehmen kräftig verdienten: Voith Siemens und Züblin erhielten dort lukrative Aufträge. Als der BDI kürzlich einen »Pakistan Business Day« veranstaltete, lud er einen Energieexperten der GTZ mit Erfahrung in dem Land als Referenten ein.

Doch der zweifellos vorhandene Nutzen der Aktivitäten des Bundesministeriums für die deutsche Wirtschaft reicht den Unternehmern nicht mehr. Sie sind, wie überall, in der Offensive, und werden von der Regierung unterstützt. Entwicklungshilfe »ist keine Einbahnstraße«, teilte das Bundeswirtschaftsministerium noch zu Zeiten der rot-grünen Regierungskoalition mit: »Entwicklungshilfe nutzt auch dem Geberland« – etwa »als wirtschaftliche Einstiegshilfe in sensible Regionen«. In Zukunft müssten »öffentliche Entwicklungszusammenarbeit« und »außenwirtschaftliche Interessen und Instrumente« noch enger kooperieren, verlangte der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Bernd Pfaffenbach, Ende August.

Die Arbeitsgemeinschaft Entwicklungspolitik der Deutschen Wirtschaft hat dazu klare Forderungen formuliert, »Kernthesen«, die Eingang in die Regierungspolitik finden. »Good Governance entwickeln« lautet eine von ihnen, mit der sich besonders gut werben lässt: Wer will sich schon für schlechtes Regieren aussprechen, für Willkürherrschaft und Korruption? In vielen Entwicklungsländern störten widrige politische und soziale Umstände »die Entwicklung der lokalen Unternehmen und schrecken internationale Unternehmen von Engagements ab«, erläutert die Arbeitsgemeinschaft Entwicklungspolitik der Deutschen Wirtschaft. Das ist »Bad Governance«, erklärte Christian Ruck, der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, auf der Kölner Tagung: Die neue Regierung werde »Bad Governance« stärker bekämpfen.

Das lässt für einige afrikanische Länder harte Zeiten erwarten. In großen Teilen Afrikas konnten deutsche Unternehmen bislang noch nicht wunschgemäß Fuß fassen – ohne Zweifel ein Fall von »Bad Governance«. Der politische Druck auf die entsprechenden Staaten dürfte in den kommenden Jahren zunehmen. Dabei muss differenziert werden: Ruck plädiert für eine »internationale Arbeitsteilung« neuer Art. »Wir müssen überlegen: Welche Staaten übernehmen wir selbst? Welche überlassen wir der EU?« riet der CSU-Entwicklungspolitiker in Köln.

Die Auswahl wird wohl nicht allein den Unternehmern überlassen bleiben. In Afrika stehen schwere strategische Auseinandersetzungen an: Einflusskämpfe gegen den europäischen Konkurrenten Frankreich, vor allem aber gegen den großen strategischen Konkurrenten China. »Die rasche Ausdehnung des chinesischen Einflusses in Afrika« stelle »eine zentrale Herausforderung für die deutsche Afrikapolitik« dar, heißt es in einer kürzlich erschienenen Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik; die Auseinandersetzungen im Sudan und in Simbabwe gäben einen ersten Eindruck davon.

Eine Regierung, die für derlei Einflusskämpfe gewappnet sein will, tut gut daran, sich der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zu versichern. Gerade Direktinvestitionen in den betroffenen Ländern stärken die eigene nationale Position; der »Weg zur Weltgeltung« führe »nicht über den Warenexport, sondern über die Kapitalstärke«, wusste schon Hermann Josef Abs von der Deutschen Bank, der darum bereits 1956 die bis heute aktive »Gesellschaft zur Förderung von Auslandsinvestitionen« gründete.

Die Kölner Tagung zeigte deutlich: Wirtschaft und Staat wollen gleichermaßen ihre Einflusssphären ausdehnen, und seit geraumer Zeit wird das offensiver formuliert. Gewinne lassen sich eben auch noch in den ärmsten Staaten erzielen, die wiederum keine Regierung im globalen Machtkampf vernachlässigen darf. Das traditionelle Mittel, um beide Interessen zu verquicken, ist die »wirtschaftliche Zusammenarbeit«, die den euphemistischen Namen »Entwicklungspolitik« trägt. Dieser Umstand täuscht gelegentlich über eine Binsenweisheit hinweg: Die Entwicklungspolitik ist ein ganz normaler Teil des Geschäfts.