»Es handelt sich um eine Retourkutsche«

Erich Schmidt-Eenboom

Hat sich die frühere rot-grüne Bundesregierung doch am Irak-Krieg beteiligt? Berichte der Süddeutschen Zeitung und des ARD-Magazins »Panorama« legen dies nahe. Ein früherer Mitarbeiter des Pentagon soll »Panorama« gesagt haben, der Bundesnachrichtendienst (BND) habe den Amerikanern während des Krieges »direkte Unterstützung« bei der »Zielerfassung« geleistet.

Erich Schmidt-Eenboom hat zahlreiche Bücher zum Thema Geheimdienste verfasst und ist Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim. Mit ihm sprach Stefan Wirner

Die Süddeutsche Zeitung und das ARD-Magazin Panorama erheben den Vorwurf, zwei Mitarbeiter des BND, die während des Kriegs im Irak geblieben sind, sollen US-Militärs unterstützt und über Ziele von Bom­bar­de­ments informiert haben. War Gerhard Schrö­der doch kein »Friedenskanzler«, sondern ein »Kriegskanzler«, wie es nun aus der Friedensbewegung zu hören ist?

Das muss man differenzierter betrachten. Es wurde inzwischen eingeräumt, dass der Bundesnachrichtendienst auch während des Krieges im Irak präsent war. Er hat dabei mit Sicherheit auch die sehr guten Kontakte zum Nachrichtendienst von Saddam Hussein aufrechterhalten. Zugleich stand der BND unter dem Zwang, auch unter den Bedingungen einer politischen Eiszeit zwischen Washington und Berlin seine Kontakte mit der Defense Intelligence Agency nicht ganz absterben zu lassen. Insofern sind mit Sicherheit Aufklärungsergebnisse des BND in der Zeit des Krieges auch an die Amerikaner gegangen.

Eingeräumt wurde, man habe die Amerikaner allein über zu schonende Ziele aufgeklärt. Das halte ich für unzutreffend. Ich gehe davon aus, dass man sie auch über andere Ziele informiert hat. Die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung geht aber ein Stück weiter. Demzufolge hätten sich die BND-Leute in der Rolle von Feuerleitoffizieren ­befunden, so als sei aus ihren Informationen unmittelbar die Bombardierung von bestimm­ten Zielen erfolgt. Das halte ich schon angesichts des Meldeweges für unwahrscheinlich. Denn die BND-Mitarbeiter hatten keinen direkten Draht zu den Amerikanern, sondern haben ihre Meldungen auf dem ganz normalen Routinedienstweg abgesetzt. D.h. dass ein langer Abstimmungsprozess zwischen der Defense Intelligence Agency in Europa mit Sitz in Stuttgart, zwischen Pullach und Bag­dad stattfand, und das taugt zur Zielbekämpfung oder Aufklärung überhaupt nicht.

Dem widerspricht das, was die Süd­deutsche Zeitung über den Angriff vom 7. April 2003 auf eine Wagenkolonne in Bagdad, in der Saddam Hussein vermutet wurde, berichtet. Der US-amerikanische Pilot, der diesen Angriff geflogen hat, und ein Mitarbeiter des BND haben im Nachhinein einen Orden von den Amerikanern bekommen. Wie ist das zu erklären?

Der BND-Mitarbeiter hat den Orden bekommen, weil er zur Schonung von Zivilisten beigetragen hat, und nicht, weil er an der Zielauswahl beteiligt war. Was die Amerikaner nun in den Medien verbreiten, muss man als Teil einer Kampagne gegen die alte rot-grüne Bundesregierung sehen. Es handelt sich auch um Teilangriffe auf die neue Regierung. Im Vorfeld der Reise der Bundeskanzlerin nach Washington, die ja die Schließung von Guantánamo Bay forderte, wurde von den Amerikanern die Karte gespielt, dass die Distanz der rot-grünen Regierung zum amerikanischen Krieg nicht so groß gewesen sei, wie die Regierung es immer verkündet hat.

Es handelt sich um eine Retourkutsche für die Ausnutzung des Antiamerikanismus zu Propagandazwecken durch die Regierung Schröder. Ich glaube nicht, dass der BND direkt in die Bekämpfung von Zielen in Bagdad involviert gewesen ist. Das haben die Amerikaner angesichts ihrer Aufklärungslage und ihrer Satellitenkapazitäten gar nicht nötig.

Warum wird diese angebliche Kampagne jetzt geführt? Wäre es nicht besser gewesen, sie in einer Zeit zu beginnen, als Schröder noch Kanzler war?

Zum einen muss man Schröder nun nicht mehr schonen, weil man nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten muss. Und zum anderen spielte die Reise der Bun­des­kanz­le­rin in die USA eine Rolle, weil man sehr deutlich gesehen hat, dass die deutschen Medien wegen der Berichte über CIA-Gefängnisse usw. von antiamerikanischen Vorwürfen geprägt sind. Deshalb nun diese Mediengegenoffensive. Offensichtlich erlaubten amerikanische Nachrichtendienste, dass Mitarbeiter dieses oder jenes ausplauderten.

Also teilen Sie die Sicht des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier, der sagte, dass die Mitarbeiter des BND nur im Irak geblieben seien, um »ein Mindestmaß an eigenen Erkenntnissen« zu gewinnen?

Ein »Mindestmaß« würde ich für stark untertrieben halten. Wir hatten damals eine Kriegssituation, und die Bundesregierung war darauf angewiesen, möglichst authentische, also ei­gene Informationen zu gewinnen. Sie wäre schlecht beraten gewesen, wenn sie sich nur auf das verlassen hätte, was die Amerikaner oder andere Partnerdienste übermittelten.

Gegenüber Spiegel online sollen namentlich nicht genannte SPD-Politiker von einer »Sonderaußenpolitik« des BND gesprochen haben. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass die Regierung nichts davon wusste, was der BND im Irak getan hat?

Das ist äußerst unwahrscheinlich. Der Präsident des BND, August Hanning, wird den Teufel tun und in einer so heiklen Frage wie der des Nachrichtenaustausches mit den Amerikanern während des Krieges alles auf die eigene Kappe zu nehmen. Er hat mit Sicherheit dazu im Kanzleramt Abstimmungsgespräche geführt, d.h. Steinmeier dürfte im Kern darüber unterrichtet gewesen sein, dass Erkenntnisse des BND an Partnerdienste, nicht nur an die Amerikaner, weitergegeben wurden. Alles andere halte ich derzeit für einen Entlastungsangriff einiger Abgeordneter der SPD aus Treue zur alten Regierung.

Wenn man Berichte hört, dass der BND etwa an Verhören in Syrien und auf Guantánamo beteiligt gewesen sein soll, fragt man sich doch: Wird da tatsächlich die »rot-grüne Lebenslüge« offenbar, wie es allenthalben heißt, oder ist der BND außer Kontrolle geraten?

Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung von den Aktivitäten des BND wusste und kein Vernehmer des Bundeskriminalamtes nach Damaskus geflogen ist, ohne dass der Präsident des BKA und der Bundesinnenminister, also damals Otto Schily, eingeweiht war. Dass BND-Mitarbeiter in Guantánamo waren, dürfte mindestens mit dem Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau abgestimmt und Herrn Steinmeier bekannt gewesen sein.

Aber was heißt da Lüge? Die Bundesregierung war – und das war keine Lüge – ein entschiedener Gegner der militärischen Lösung des Irak-Konflikts. Sie stand jedoch zugleich unter dem Zwang, mit dem großen Nato-Partner USA zu einem Mindestmaß zu kooperieren …

… um das atlantische Bündnis nicht völlig zu sprengen?

Ja. Auch um die Wunden wieder zu heilen, die da geschlagen worden sind.

Welche Hinweise und Belege haben Sie dafür, dass der BND während des Irak-Krieges seine Kontakte zum Nachrichtendienst von Saddam Hussein aufrechterhalten hat?

Der BND unterhält zum neuen irakischen Nachrichtendienst gute Beziehungen. Und dieser besteht zum Teil aus Personen, die aus dem Dienst von Saddam Hussein übernommen wurden. Das ist ja das erstaunliche Phänomen, dass Geheimdienste Systemwechsel meist relativ unbeschadet überstehen. Siehe Gehlen im Dritten Reich und anschließend in der Bundesrepublik.