Tote trinken keinen Wodka

Zwei russische Krimis

von kerstin eschrich

»Klassischer Skoliose-Typ«, lautet die Zuschreibung, die der Protagonistin Nastja Kirillowna Kiatscheli in Viktoria Platowas neuem Krimi gleich im ersten Satz verpasst wird. Bei ihrer ersten Undercover-Recherche geht die 28jährige ohne Pro­bleme als ältliche Putzfrau mit Wirbelsäulenschaden durch, als Skoliose-Typ eben. Sie wohnt in der Provinz und fährt nach St. Petersburg, um ihren Bruder Kirill zu besuchen. Doch der ist tot, erhängt mit seinem Bademantelgürtel, die Wohnung ist verwüstet. Die Polizei glaubt an Selbstmord im Psychowahn, doch Nastja weiß sofort: Er wurde ermordet.

Der neue Krimi ist nicht der spannends­te der Autorin und wirkt am Ende kons­tru­iert. Er führt ins Milieu der faschistoiden Eso-Spinner, Teufelsanbeter und skrupellosen Kleinkriminellen, die mit ungewöhnlichen Methoden rasch viel Geld verdienen wollen. Aber die spöttischen Beschreibungen der russischen Gesellschaft und vor allem die sarkastischen Charakterisierungen der »neuen Russen« haben es in sich. Die Protagonistin verwandelt sich im Laufe ihrer Ermittlungen von einer verhuschten, von ihrem Ehemann geknechteten Unkrautjäterin in eine Aufsehen erregende Schön­heit. Fortan liegen ihr die Männer zu Füßen. Womit Platowa urkomisch die Machos, die es in Russland offenbar an jeder Ecke gibt, vorführen kann.

Allerdings kommen weder die Hauptperson noch die Handlung an die atembe­raubend schnellen und abgefahrenen Kri­minalromane mit der in jeder Beziehung schlagfertigen Protagonistin Eva heran. Platowas Fernsehserie »Jagd auf Aschenbrödel« mit der coolen Eva als Hauptperson ist in Russland ein großer Erfolg. Seit Jahren sorgen dort Krimiautorinnen für Furore, neben Pla­towa auch Alexandra Marinina und Polina Daschkowa. Ihre Bücher verkaufen sich in Millionenauflagen. Sie bieten spannende Unterhaltung mit dem richtigen Schuss Sozialkritik.

In Daschkowas neuem Kriminalroman ist die Dramaturgie fast schon psychologisch-philosophisch bestimmt, worunter die Handlung manchmal leidet. Wolodja, dessen Eltern ermordet wurden, tritt als Rächer der Geknechteten auf. Sein Gegen­spieler Skwosnjak, der hinter allen Morden steckt, tötet aus Lust und weil er sich holen will, was ihm zusteht. Zur Zeit des Realsozialismus landete er in einem Waisenhaus. Dort wurden die Kinder mit Psy­cho­pharmaka ruhig gestellt, bis sie nur noch psychische Wracks waren. Skwos­njak kommt davon, aber auch er will sich rächen. Die Hauptfigur Vera, eine Übersetzerin, ist eher unscheinbar. Sie hängt seit Jahren an ihrem untreuen Lover, vor lauter Verzweiflung will sie den Erstbesten heiraten, der sie begehrt und nett zu ihr ist. Dumm nur, dass dieser Jemand sich nur kurze Zeit später als eine höchst unerfreuliche Gestalt entpuppt.

Die Beschreibungen von Russland in den Krimis sind nicht frei von Klischees. Mörder, Betrüger und Mädchenhändler lauern überall, ihnen stehen oft überforderte, teilweise brutale und korrupte Polizisten gegenüber – ein übliches Szenario in Kriminalromanen. Die »neuen Russen«, die in allen Romanen auftauchen, sind die Gewinner nach dem Untergang des Realsozialismus, ob sie auch Verbrecher sind, kommt immer auf den Blickwinkel an, aus dem man sie betrachtet.

Viktoria Platowa: Der Schweif des Todes. Aufbau, Berlin 2006, 411 S., 7,95 Euro

Polina Daschkowa: Keiner wird weinen. Aufbau, ­Berlin 2006, 405 S., 19,95 Euro