Das Gespenst von Corleone

ich-ag der woche

Er war der mysteriöseste Boss der sizilianischen Mafia. Nach 43 Jahren auf der Flucht wurde Bernardo Provenzano am Dienstag voriger Woche verhaftet. Auf Sizilien erzählte man sich Legenden über ihn. So habe der Pate nie ein Telefon, ein Handy oder einen Computer benutzt, sondern lediglich über so genannte pizzini kommuniziert, kleine Zettelchen mit Anweisungen an seine Vertrauensleute. Anhand eines Lichtbildes aus dem Jahr 1959 hatte die Polizei vor einigen Jahren eine Phantomzeichnung angefertigt, in der das »Gespenst von Corleone« ein 40 Jahre älteres, neues Gesicht bekam. Der kleine, 73jährige Mann, der in einer ärmlichen Hütte nur einige Kilometer entfernt von seiner Heimatstadt, der sizilianischen Mafia-Hochburg Corleone, gefasst wurde, sah seinem Phantombild erschreckend ähnlich.

Nachdem der »Boss der Bosse«, Totò Riina, 1993 verhaftet worden war, avancierte Provenzano zum Chef der Mafia, zumindest ihres militärischen Flügels. Wegen seiner Verwicklung in einige der berüchtigtsten Verbrechen, darunter die Ermordung der Untersuchungsrichter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Jahr 1992, wurde er in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt.

Seine Festnahme beendete nicht nur seine lange Flucht, sondern zerstörte auch den Mythos, der seine Person umgibt. Vom Chef eines multinationalen Unternehmens mit gigantischen Einnahmen aus Drogenhandel, Erpressung, Geldwäsche und ähnlichen Geschäften hatte man nicht erwartet, dass er so ein schäbiges Leben führt. Ausgiebig berichteten die italienischen Medien über den Inhalt seines Kühlschranks in seiner Hütte. Ricotta-Käse (selbst gemacht!) und Chicoree, auf dem Tisch Honig und Grissini – mehr schien der Pate nicht zu essen. Unspektakulärer kann man es sich kaum vorstellen: Was ihn am Ende verriet, war eine Plastiktüte mit gerade gelieferten frischen Hemden.

federica matteoni