In rosa Watte

Wird ihr die Verharmlosung des Judenmords vorgeworfen, meint der Holocaust für die Dark-Wave-Band »Death In June« im Zweifelsfall eine »vulkanische Landschaft«.

Die Eingabefrist für den »Death in June Art Contest« ist abgelaufen. Bis zum 1. Mai dieses Jahres konnten die Fans zum Thema »Visualize DIJ« ihre Beiträge für den Wettbewerb einreichen, der von Neo-Form, dem Online-Magazin »für Neofolk, Industrial, Avantgarde und Kultur« veranstaltet wird. Die Teilnahme sei einfach: »Visualisiert einen Song von Death in June! Fotos, Fotomanipulation, Malerei (…) jede Art der visuellen Kunst ist zur Teilnahme berechtigt.« Der Gründer der Band »Death in June«, Doug­las Pearce, werde über »jedes neue Kunstwerk« informiert, und der Gewinner soll von ihm persönlich geehrt werden.

Der subkulturelle Gestus der Dark-Wave-Szene, zu dem eine gewisse Introvertiertheit und Intellektualität gehören, dürfte sich ästhetisch und konzeptionell in den eingereichten Beiträgen widerspiegeln. Dies könnte auch die Ähnlichkeit zu Wettbewerben übertünchen, die etwa Bravo gerne veranstaltet: »Mal ein Bild von deinem Superstar, bau eine Collage!« Hauptgewinn: Besuch beim Star!

»Irgendwie scheinen dem Kunstwerk auch Grenzen gesetzt zu sein, wenn man es per Mail schicken soll«, kommentiert jedoch ein Interessierter im Forum. Ein anderer Fan von »Death in June« hingegen könnte es sich vorstellen, gleich eine CD seiner Lieblinge zu visualisieren: »Also ›Rose clouds of Holocaust‹ wäre bei mir eine Art Modelleisenbahn mit entsprechendem Lager, und aus dem Schornstein kämen rosa Wattebällchen. Huuuaaar makaber!«

Provokanter Scherz oder politischer Ernst? Seit Jahren lieben Protagonisten aus der Dark-Wave-Szene das Spiel mit vermeintlichen Tabus. Ein Bestandteil dieses Spiels sind die erwartbaren Reaktionen von Kritikern. Echauffieren sollen sie sich. Die Spielregeln sind bekannt: Nach einer Aussage, etwa einer Idealisierung oder Relativierung des Holocaust, erfolgt die Erwiderung: Derlei sei keineswegs beabsichtigt, die Fans würden das provokante Konzept erkennen, und nur die Kritiker könnten nicht zwischen ästhetischen Motiven und politischen Aussagen unterscheiden.

Die Independent-Szene versteht sich selbst, wie vermutlich alle Popszenen, größtenteils als »unpolitisch«. Die Fans mögen die Musik der frühen Szenestars »Joy Division« oder die Lieder von »Goethes Erben«. Mit den melancho­lisch-romantischen Klängen oder harten Rhyth­men verbinden sie weder politische Aussagen noch politische Motive. Die rechten kulturkritischen Töne überhören so einige Fans immer noch gern, etwa wenn Pearce den Band-Klassiker »Death of the West« singt: »They’re making the last film / They say it’s the best / And we all helped make it / It’s called the death of the West / The kids from fame / Will all be there / Free Coca-Cola for you!«

Die Daily Soap und die Getränkemarke stehen im Song als Synonym einer »Unkultur« des amerikanischen Westens, die sich in aller Welt ausbreite. Die Rettung scheint Pearce im Wiedererwachen einer heidnischen Tradition in Europa zu sehen, wenn er intoniert: »A star is rising in our northern sky / And on it we’re crucified.«

Seit Anfang der neunziger Jahre sind rechtsextreme Tendenzen in der »Schwarzen Szene« evident. Einer der Trendsetter ist bis heute die Band »Death in June«, die im Jahr 1981 von Douglas Pearce und Tony Wakeford gegründet wurde. Bereits der Name »Tod im Juni« ist eine Aussage, nämlich eine Reverenz an den SA-Führer Ernst Röhm. Im Interview mit dem Magazin Zillo erzählte Pearce einmal: »Auf der Suche nach einer zukünftigen politischen Perspektive stolperten wir über den Nationalbolschewismus, der sich wie ein Leitfaden durch die Hierarchie der SA zog.«

Die Band war nicht die einzige, die auf der Suche nach neuen ästhetischen Inspira­tionen auf alte politische Ideen stieß. »Allerseelen«, »Blood Axis«, »Von Thronstal«, »Der Blutharsch« oder »Waldteufel«, all diese Bands ließen sich in ihrer Beschäftigung mit den Themen der Szene – nämlich Tod, Zerfall, Treue, Liebe, Reinheit, Einfachheit und Natürlichkeit – von rechtsextremen Ideologemen, Symbolen und Metaphern anregen.

Sie bedienen sich bei völkischen Künstlern, konservativ-revolutionären Literaten, faschistischen Theoretikern und manchmal eben auch bei nationalsozialistischen Funktionären. In ihren ästhetischen Projekten komprimieren sie die antimodernen Mo­tive der extremen Rechten zu einer politischen Synthese, durch die der individuelle Pessimismus und die kollektive Melancholie der »Schwarzen Szene« zum heroischen Realismus und totalen Antimodernismus der braunen Szene wird.

Dabei ist weniger das einzelne vermeintlich »Tabuisierte« oder »Häre­tische« problematisch, sondern die Kombination und der Kontext der rekurrierten Metaphern und Mythen. Mögen die rechtsextremen Dark Waver sich damit verteidigen, die Synthese von faschistischen Ideologiefragmenten sei »reine Kunst« und die faschis­tische Ästhetik »reiner Fetisch«, sind sie es selbst, die mit diesen Operationen ihre Ästhetik politisieren, und nicht erst die Kritiker, die darauf aufmerksam machen.

Die Anleihen bei den Nazis bewogen das frühere Bandmitglied Patrick Leagas zum Ausstieg. »Wir hatten gerade ein Konzert in Bologna absolviert«, erzählte er rückblickend, »als sich eine junge Frau näherte und schrie: ›Ich hoffe, deine Mutter hasst dich!‹ (…) Wir trugen SS-Uniformen in einer Stadt, in der rechtsradikale Terroristen gerade viele Menschen umgebracht hatten. Ich schämte mich.«

In der Lyrik, dem Artwork des Booklets oder bei den Live-Auftritten wartet man vergeblich auf eine Dekonstruktion der nationalsozialistischen Motive. Vielmehr verdichten die rechtsextremen Dark Waver die harmonische Inszenierung zu einem »faschistischen Stil«, den auch der neurechte Theoretiker Armin Mohler schätzte.

In diesem Stil, meinte Mohler, drücke sich die Sehnsucht nach einer »un­bedingteren Lebensform« aus, die nur in Grenzerfahrungen des antibürgerlichen Lebens erlebt werden könnten, vom Drogengenuss bis zum Sturmangriff.

So inszeniert »Blutharsch« permanent Kampf und Tod als nihilistischen Akt. Vielleicht denkt die Band dabei an Gottfried Benns Einlassungen über die »Liebe zur Gefahr« oder »die schönen Ideen, für die man stirbt«. Die Glorifizierung des Kriegs geht, bemerkte Walter Benjamin, mit der Idea­lisierung von Brutalität und Barbarei einher.

Wie bewusst Pearce Stile, Symbole und Metaphern verwendet, erläuterte er selbst: »Death in June hat immer alles mit sündlos gutem Geschmack getan und mit dem passenden Verständnis für die Ästhetik und den Symbolismus hinter solchen Dingen.« Das Bandlogo, der SS-Totenkopf, sym­bolisiere denn auch »den totalen Ein­satz« und zeige den Feinden, »dass sie nicht toleriert werden«.

Angesichts dessen dürfte die Idee des Fans, der mit »verspielten Bildern« eines Vernichtungslagers das Cover von »Rose clouds of Holocaust« gestalten möchte, nicht überraschen. Solche Assoziationen dürfte Pearce jedoch unterbinden wollen. Insbesondere, seit ein Rechtsstreit wegen der CD anhängig ist. Im vergangenen Jahr wurde nämlich das Album »Rose clouds of Holocaust«, das bereits im Jahr 1995 erschienen ist, auf Empfehlung des Brandenburger Landeskrimi­nalamts von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert.

Im Titelsong singt Pearce: »Rose clouds of Holocaust / Rose clouds of flies / Rose clouds of bitter / Bitter, bitter lies / And when the angels of ignorance / Fall down from your eyes / Rose clouds of Holocaust / Rose clouds of lies.« Die anfänglich klare Aussage wird im folgenden kryptischer: »Rose clouds of twilight truth / Rose clouds of night / Rose clouds of harvested / Love, all alight / And when the ashes of life / Fall down from the skies / Rose clouds of Holocaust / Rose clouds of lies.«

Die Irritation, die der Text auslöste, wurde von der Single-Auskopplung »Sun Dogs« verstärkt. Deren Cover zeigt ein linksdrehendes, aus Hundeköpfen gebildetes Haken­kreuz mit einer blühenden roten Rose in der Mitte. Doch natürlich war alles nicht so gemeint, wie man als unbedarfter Beobachter hätte annehmen können. Vor beinahe zehn Jahren, als die Wochenzeitung Junge Freiheit Pearce nach seiner »Inspiration« für das Stück »Rose clouds of Holocaust« fragte, verwies er auf ein Naturerlebnis in Island.

Gegenüber der Bundesprüfstelle er­neuer­te er diese Geschichte: »Ich erfuhr ein spirituelles Erlebnis.« Das Wort »Holocaust« bedeute »verbranntes Opfer«, und Island sei eben voller Vulkane. »Die vulkanische Land­schaft ist der ›Holocaust‹, von dem hier die Rede ist.« Dieser »Holocaust« habe nichts gemein mit der »Verfolgung und Vernichtung von Juden, Homosexuellen, Zigeunern und anderen in Deutschland während der Zeit des Dritten Reichs«.

Die Prüfstelle ließ sich von diesen Einlassungen allerdings nicht überzeugen und blieb bei der Auffassung, dass der Verfasser »den Holocaust während des sog. ›Dritten Reichs‹ mit Lügen« gleichsetze. Diese »Lüge vom Holocaust«, meinte die Behörde weiter, soll »wie ›die Engel der Ignoranz‹ von ›den Augen der Menschen‹ ›abfallen‹«. Zudem sei »Holocaust« ein »feststehender Begriff für die Ermordung von Millionen Menschen in Konzentrationslagern«. Dass der Verfasser den Holocaust als »Rosenwolke«, mit »Rosenwolken aus bitteren Lügen« und einer »zwielichtigen Wahrheit« beschreibe, impliziere, dass er diesen Massenmord »als Lüge entlarven« wolle. Gegen die Entscheidung wurde eine Klage eingereicht, wie eine Sprecherin der Behörde der Jungle World berichtete.

Gleichzeitig dürfte die Indizierung die Platte endgültig zum »Kultobjekt« erheben – und zwar nicht nur bei eingefleischten Fans. Diesen Effekt kann man fast schon klassisch nennen.

Anfang der neunziger Jahre, als die Intellektuellen der »Neuen Rechten« damit begannen, sich in bestimmte popkulturelle Szenen einzumischen, und fast gleichzeitig Intellektuelle aus der »Mitte der Gesellschaft« auf den rechtsextremen Ideologie- und Symbolfundus zurückgriffen, betonte Umberto Eco: »Um tolerant zu sein, muss man die Grenzen dessen, was nicht tolerierbar ist, festlegen.« Man könne nicht das Tolerierbare ablehnen und zugleich tolerant sein. Indizierungen markieren Grenzen. Aber sie ersetzen keine Diskussionen.