Queer Bollywood

Zwischen Skandallesben und pathetischem Buddy Movie: Homosexualität kommt im populären Hindi-Film als Subtext vor. Ein Queer Reading von florian krauß

Ist Bollywood bereit für seinen ›Brokeback Mountain‹, fragte die Times of India angesichts des Erfolgs von Ang Lees Melodram, und in Internetforen kursierten Gerüchte, dass ein Hindi-Remake der schwulen Liebesgeschichte in Planung sei. Die Verbindung von überdrehtem Hindipop und melancholischem Cowboy-Drama mag abstrus anmuten, entbehrt aber, genauer betrachtet, keinesfalls jeder Logik. Als hybride Mischkultur bedient sich der Hindi-Mainstreamfilm gern kassenträchtiger US-Filme. Mit von Hollywood inspirierten Stoffen erhofft man sich in den Produktionsstätten Mumbais auch westliche Zuschauergruppen, denen bei der Auswertung von Filmware eine zunehmend wich­tige Rolle zukommt.

Bis vor kurzem hatte Bollywood hierzulande kein Forum, heute laufen Sha-Rukh-Khan-Streifen erfolgreich in der RTL 2-Primetime. Die Hindi-Variante von »Brokeback Mountain« wäre im Falle ihrer Realisierung freilich nicht nur ein interessantes Crossculture-Phänomen, sondern auch ein brisantes Politikum. Sex zwischen Männern stellt in der »größten Demokra­tie der Welt« bis heute ein Strafdelikt dar, und schwul-lesbische Lebensentwürfe sind im kom­merziellen Hindikino ein Tabu. Entgegen allen Eskapismus-Vorwürfen wagt sich das realitätsferne Bollywood jedoch immer wieder an gesellschaftskritische und -relevante Stoffe, etwa wenn es inbrünstig für die Liebesheirat eintritt, ein in Indien durchaus kontroverses Sujet, oder sich, umfassender, dem Konflikt zwischen Tra­dition und Moderne widmet. Auf eben diesem Terrain könnte das Thema Homosexualität hei­misch werden, welches, wie an »Brokeback Mountain« gut abzulesen, auch jenseits von Indien die Gemüter erregt.

Das von Rechtskonservativen attackierte Hol­lywoodwerk ist nicht zuletzt deshalb so großartig, weil es die homoerotischen Subtexte des Westerns, eines fast gänzlich von Männern bevölkerten Genres, konsequent im Melodram fortschreibt. Wer sucht, stößt auch im Bollywoodkino auf schwule Unter­töne, schließlich betrifft die für westliche Zuschauer meist übertrieben wirkende Romantisierung dort nicht allein heterosexuelle Liebesbündnisse, sondern in ähnlichem Maße Männerfreundschaften. So wie die große und ultimative Liebe am Ende siegt, scheint auch das Band zwischen zwei Freunden oder Brüdern auf Ewigkeit angelegt und unlösbar. »Masala-Filme«, wie man die visuell und emotional abwechslungsreichen Werke aus Mumbais Filmcity in Indien gern nennt, funktionieren in dieser Hinsicht oft als pathetische Buddy Movies und legen eine Rezeption nahe, die die Filmwissenschaft als »Queer Reading« bezeichnet: Lesbische, schwule oder bisexuelle Zuschauer bürsten eine heterosexuell dominierte Popkultur gegen den Strich, machen Subtexte aus und eignen sich einen Mainstream an, der Homo- und ­Bisexualität weitgehend negiert.

Falls queere Lebensentwürfe in Bollywood doch vorkommen, dann meist in Gestalt des Kuriosen oder in der Funktion des Running Gags. Kaum ein männlicher Superstar Bollywoods war noch nicht im Fummel zu sehen, und im Nebenplot des auch auf RTL2 gezeigten New-York-Musicals »Kal Ho Naa Ho« (Lebe und denke nicht an morgen) findet ein vermeintlich witziges Verwechslungsspiel statt, in dem die zwei männ­lichen Helden für schwul gehalten werden. Eine solch alberne Herangehensweise an Homosexualität, die man mühelos auch in der US-amerikanischen Filmgeschich­te findet, lässt nicht unbedingt an »Broke­back Mountain« denken, aber vielleicht ist Ang Lees behutsam und leise erzähltes Drama auch der falsche Referenzfilm für den überdrehten und opulenten Hindi-Mainstream?

Dessen ausgeprägter Hang zur Übertreibung, poppigem Ambiente und zügelloser Emotionalität legt, zumindest für westliche Zuschauer, die Rezeption als Camp nahe, eine ironische oder postmoderne Herangehensweise an Popkultur, die längst nicht mehr spezifisch schwul ist, aber ihre Wurzeln in der Gay Community hat. Auch in dieser Hinsicht mag die Frage interessant sein, ob Bollywood sich dem Thema Homo­sexualität annehme. Mit dem skandalumwitterten »Girl­friend« von Karan Razdan liegt hier bereits ein konkreter Fall vor. Ähnlich subtil wie der Titel ist die Zeichnung der lesbischen Hauptfigur geraten. Statt Sari trägt Tanja Sportswear, und zu ihren Freizeit­beschäftigungen gehören Boxen, versiertes Waschbecken-Reparieren sowie »male bashing«. Kein Lesben­klischee wird ausgelassen, und wenn die Maskulinität der Protagonistin Grenzen kennt, dann nur insofern, dass sie noch als heterosexuelles Sexobjekt funktionieren muss. In Bollywood-typischen Song- and Dance-Nummern planschen sie und Sanja, ihre heterosexuelle Mitbewohnerin, im Wasser, räkeln sich auf Motorrädern und tragen bauchfreie Tops. Die Harmonie hat ein Ende, als ein Mann in Sanjas Leben tritt. Fernab von dem Film »Brokeback Mountain«, der das Kunststück schafft, auf unaufdringliche Weise homophobe Gewalt anzusprechen, wird die homosexuelle Hauptfigur hier als gewalttätige Psychopathin dargestellt. »Ein Mann, gefangen im Körper einer Frau«, erläutert Tanja in Hindi das englisch ausgerufene Geständnis »I’m a lesbian« und setzt alles daran, das heterosexuelle Liebesglück zu verhindern. Spätestens wenn die Lesbe sterben muss – wieder vereint stehen Rahul und Sanja an ihrem Grab –, ist die Aneinanderreihung von Klischees nicht mehr bloß witzig. Gern würde man die B-Produktion »Girlfriend« als sexistischen Trash ad acta legen und sich besseren Bollywoodwerken zuwenden, wären da nicht die Ausschreitungen, welche die Kinoauswertung in Indien vor knapp zwei Jahren begleiteten. Verwüstete Lichtspielhäuser waren nicht das Produkt von aufgebrachten Frauenverbänden, sondern die Hinterlassenschaft rechter Demons­tranten. Allein die Thematisierung von Lesben, und sei sie noch so homophob, rief Hass hervor.

Verhandelt wird das Thema aber nicht nur in den kalkuliert skandalösen B-Movies, wie ein Blick auf indische Filme jenseits von Bollywood zeigt. Deepa Mehtas bildgewaltiges Lesbendrama »Fire« von 1997 ist kein massentauglicher Hindipop, sondern dem Realismus verschriebenes Arthousekino, das auch für westliche Zuschauergruppen konzipiert wurde. Ähnliches lässt sich über den Film »Sancharram« von 2004 sagen, der von der aufkeimenden Liebe zweier Schulmädchen erzählt. In einer schönen Szene kommentieren sie, ein Starmagazin durchblätternd, Bilder weiblicher Bollywoodstars. Nicht zuletzt den schwärmenden Mädchen wäre es gegönnt, wenn Schwule und Lesben auch das Hindi-Mainstreamkino erobern könnten und Bollywood die Frage, ob es für seinen »Brokeback Mountain« bereit sei, mit Ja beantworten würde.