Best of Theweleit

Zwischen Belletristik und Sachliteratur: »Friendly Fire« fasst verstreute Texte des Schriftstellers und Soziologen in einem Band zusammen. von tina manske

Na klar hat der Mann ’n Knall. Nur wer’n Knall hat, kann so klar sehen – wenn man akzeptiert, dass klar Sehen erst einmal verlangt, alles zu verwirren.« Das schreibt Klaus Theweleit in seinem neuen Buch über den Maler Blalla (»Balla Balla«) W. Hallmann. Die Sätze würden aber ebenso gut auf Thewe­leit selbst zutreffen, natürlich nur im positiven Sinne. Wer sonst führt uns regelmäßig so kurzweilig und treffend auf die Um- und Abwege, die man auf dem Tram­pelpfad der vorgefertigten Meinungen niemals entdeckt hätte? Beim Warten auf die neuen Bände seiner »Pocahontas«-Reihe und auf weitere Meldungen vom »Buch der Könige« kann man sich jetzt wenigstens eine Zeit lang mit einer schönen Compilation über die Runden helfen. »Friendly Fire«, das ist in Militärkreisen eine Formel für das versehentliche Abschießen der eigenen Leute. Bei Theweleit wird das »freund­liche Befeuern durch Worte« eine Me­tapher für das Schreiben schlechthin.

In der Popmusik gibt es Best-Of-Alben. Sie dienen dazu, Lücken in der Plattensammlung zu schließen oder, noch besser, erstmalig mit einer bestimmten Band in Beziehung zu treten und sich einen Überblick über deren Werk zu verschaffen. Wie man weiß, gibt es solche Sammlungen auch in der Literatur, und so gesehen ist »Friend­ly Fire« so etwas wie das Best-Of-Album des Kulturtheoretikers Klaus Theweleit. Man ist es mittlerweile gewohnt, dass seine Bücher mehr wiegen als die Dachziegel vom Nachbarhaus, und so ist auch dieses wieder ein Wälzer von über 400 Seiten geworden. Er versammelt darin – wie der ironische Unter­titel »Deadline-Texte« bereits andeutet – Artikel, die als Auftragsarbeiten für Zeitschriften, Radiosendungen oder als Laudatio entstanden sind, geschrie­ben also auf einen bestimmten Zweck hin. »Tut man sie in ein Buch, bekommen sie ein neues Leben«, schreibt Theweleit im Vorwort. »Man kann die ›Deadliners‹ so auch lesen als die Art Roman, die manche Leser ohnehin gern in meinen Büchern sehen: Roman von Wahrnehmungsreisen in verzweigte Wirklichkeiten, nahe oder abgelegene Kunst-, Psycho- und Politwelten.«

Theweleit ist wie immer ein hervorragender Beobachter und zeigt sich als der ungeschlagene Vermittler zwischen Welten, von denen man noch nicht wusste (oder es vielleicht nur ahnte), dass sie etwas miteinander zu tun haben könnten. So liest er Carl Barks’ Comics als Kommen­tar zur amerikanischen Kolonialgeschichte, beschreibt »Das Schweigen der Lämmer« von Jonathan Demme als Metamorphosen­film und dessen Heldin Clarice Starling (»STARling Darling«) als »eine der ungebrochensten Karrierefrauen der Schmet­terlings- oder Filmgeschichte«. Er untersucht Übermalungstechniken im Werk Friedemann Hahns und Cézannes, sieht in Andy Warhol abermals den Erfinder des MTV-Videoclips und Verfechter der falschen Tonarten, spricht mit Noam Chomsky über die Macht in Amerika und Europa, be­obach­tet Intellektuelle nach dem Angriff der USA auf den Irak beim Hüpfen auf die Schöße von Schröder, Fischer und Co. (»der Krieg macht alles einfach, auch und gerade für den Friedensfreund«), schreibt einleitende Worte zu einem Buch über das Schicksal der Frauen, die sich in den von Deutschen besetzten Gebieten in ihre Besatzer verliebten und dafür als Volks­verräterinnen »verurteilt« und geschoren wurden, und empört sich über die scheinheiligen Aufschreie über die Folterungen von Abu Ghraib: »Man kann sich dafür interessieren, warum diese Typen so sind, oder sich nicht dafür interessieren. Aber so tun, als hätte man dergleichen noch nie gehört, kann man nicht.«

Klarsichtig ist auch einmal mehr seine Einschätzung der gegenwärtigen Geschichtsstunden in den deutschen Film- und Fernsehanstalten. Schon wahr, dass dieses »Beste aller Zeiten«, das uns jeden Abend bei Kabel 1 (nicht nur dort, aber dort besonders oft) in den Ohren dröhnt, die ureigenste Hitlersche Wendung ist, aber schlimmer noch, dass hierzulande immer noch die öffentlich geehrt werden, die den Deutschen ihre sowieso schon ach wie weißen Westen nochmal heiß überbügeln: »Den Bambi bekommt, wer Deutsche nicht bei ihrer Unschuldsfeier stört« (siehe »Der Untergang« et al.). Ein Band des Autors der »Männerphantasien« wäre eben nichts ohne den politischen Theweleit.

Nebenbei erfahren wir, dass The Art Ensemble of Chicago »die schönste Musik der Welt« spielt. Überhaupt, die Musik: eines der beeindruckendsten Kapitel dreht sich um Theweleits Musiksozialisa­tion in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und darum, wie der Rock’n’Roll und der Blues aus den USA das Ohr befreiten vom ewigen Widerhall der von der Mutter rund um die Uhr into­nierten deutschen Volkslieder: »Ich lernte: Gegen eine Musik im Kopf hilft nur eine andere Musik im Kopf.« Musik als Realitätsmaschine number one: »Ich jeden­falls tausche den gesamten Suhrkamp-Laden gegen die gesammelten Columbia Records.«

Man hat schon oft versucht, das Werk Theweleits auf einer Skala zwischen »Sach­buch« und »Roman« einzuordnen – richtig gelingen will das allerdings nicht. Seine Bücher sind eine Kategorie für sich; ihr Ziel ist es, wie Theweleit in seiner Dankesrede zur Verleihung des Johann-Heinrich-Merck-Preises im Jahr 2003, die in »Friendly Fire« abgedruckt ist, for­mulierte, »die Gegensatz-Paarbildungen solcher Widerspruchsfelder und deren heimliche Dialektiken hinfällig zu machen, Grenzziehungen wie die zwischen Sachbüchern und belletristischen Büchern also zum Verschwinden zu bringen«. Seine Texte sind mithin für die Literatur, was die Arbeiten Alexander Kluges für den Film sind: Sie ermöglichen eine neue Sicht auf die Realität, eben weil sie auch imaginativ, fantastisch, fiktional sind.

Klaus Theweleit: Friendly Fire. Deadline-Texte. Frankfurt a.M. und Basel, Stroemfeld Verlag 2005, 434 S., 19,80 Euro