Angebote, die niemand ablehnen konnte

Die kriminellen Machenschaften bei Juventus Turin sind selbst für das skandalerprobte Italien harter Stoff. von filippo proietti

Der Mann weiß, wovon er spricht. »Fußball ist nur sonntags ein Sport, an Werktagen aber eine Industrie wie alle anderen auch«, sagte Luciano Moggi einmal. Da liegt es doch nahe, dass die Fußballindustrie nichts dem Zufall überlassen darf, insbesondere nicht die Sonntage, an denen ein Elfmeter oder eine Rote Karte über Millionen Euro entscheiden können. Ohne diese Überzeugung wäre es Luciano Moggi und seinem Verein Juventus Turin wohl kaum gelungen, zwölf Jahre lang den italienischen Fußball zu dominieren.

Dafür musste der inzwischen zurückgetretene Sportdirektor von Juventus ein System aufbauen, das in Italien bereits »System Moggi« genannt wird: eine Organisation nach Art der Mafia, in die Schiedsrichter, Funktionäre, Vereinspräsidenten und Journalisten eingebunden waren und der es Juve verdankte, die italienische Meisterschaft durch Bestechungen, Erpressungen und Drohungen zu beeinflussen.

Die mehr als 100 000 Telefongespräche zwischen Moggi und seinen Helfern, die die Polizei in acht Monaten abgehört hat – das sind mehr als 400 pro Tag – haben tiefe Einblicke in die Fußballmafia ermöglicht und nicht nur den italienischen Fußball erschüttert. Über den Sport hinaus soll Moggis Einfluss bis in die Staatsanwaltschaft, die Steuerfahndung, die Polizei und sogar den Geheimdienst gereicht haben, zudem soll er hervorragende Kontakte zum ehemaligen Innenminister Giuseppe Pisanu und zum ehemaligen Wirtschaftsminister Domenico Siniscalco gehabt haben.

Nun ist er wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung, Sportbetrug, unlauterem Wettbewerb, Veruntreuung und Nötigung angeklagt. Sogar Menschenraub wird ihm vorgeworfen, weil er einmal einen aufmüpfigen Schiedsrichter in der Kabine eingeschlossen und den Schlüssel zum Flughafen mitgenommen haben soll. Die Staatsanwaltschaften in Neapel, Turin, Rom und Mailand ermitteln in 24 Fällen aus der Saison 2004/05, bei denen der Verdacht von Spielmanipulation besteht.

Zwei Schiedsrichter haben bei Verhören bereits angegeben, von Moggi genötigt worden zu sein. Er soll mit Hilfe bestechlicher Funktionäre die Schiedsrichter ausgesucht haben, die für die Spiele von Juventus bestellt wurden. In der vergangenen Woche trat der Vorsitzende des italienischen Fußballverbands, Franco Carraro, zurück. Kurz darauf wurden neun Schiedsrichter und einige Funktionäre suspendiert, die von der Polizei verdächtigt werden, mit Moggi zusammengearbeitet zu haben. Einer dieser Schiedsrichter ist Massimo de Santis, dessen Nominierung für die Weltmeisterschaft ebenfalls zurückgezogen wurde.

Es spricht so manches dafür, dass der Verband ein fester Bestandteil des »Systems Moggi« war. Welche Probleme der Club in den vergangenen Jahren auch immer hatte, er konnte darauf vertrauen, es mit wohlmeinenden Funktionären zu tun zu haben. So endeten die Gerichtsverfahren um den Dopingskandal bei Juventus Ende vergangenen Jahres mit Freisprüchen, während im ersten Verfahren zumindest noch der Mannschaftsarzt für schuldig befunden wurde, zwischen 1994 und 1998 systematisch die Spieler mit Epo und anderen unerlaubten Mitteln gedopt zu haben. Andere Konsequenzen hatte der Skandal nicht.

Im Zentrum der Ermittlungen steht ferner die Spielervermittlung GEA World, die rund 300 Spieler und Trainer unter Vertrag hat und von Luciano Moggis Sohn Alessandro geführt wird. Die Ermittler halten die Firma für ein »ein operatives Instrument«, das von Moggi benutzt werde, um den Fußballmarkt zu beeinflussen.

Vater und Sohn Moggi sind nicht die einzigen Familienbande bei dieser Affäre – keine Mafia ohne Vetternwirtschaft, könnte man fast meinen. Involviert ist auch Nationaltrainer Marcello Lippi, der zwischen 1994 und 1999 und nochmals zwischen 2001 und 2004 selbst als Trainer von Juventus erfolgreich war. Sein Sohn Davide arbeitet als enger Berater für die GEA. So eng, dass die Staatsanwaltschaft in der vergangenen Woche Marcello Lippi befragte, selbst wenn er nicht im Verdacht steht, an den mutmaßlichen Manipulationen beteiligt gewesen zu sein. Allerdings gibt es die Vermutung, dass Moggi ihn dazu genötigt haben soll, bestimmte Spieler in die Nationalmannschaft zu berufen. Lippi bestreitet die Vorwürfe. »Ich habe autonom die Spieler ausgesucht, ich bin von Moggi nie unter Druck gesetzt worden«, sagte er nach seiner Befragung. Davide Lippi halten die Ermittler nicht nur für einen der »engsten Mitarbeiter der Vermittlungsagentur Gea«, sondern fügen auch hinzu, dass seine Bedeutung dem »beträchtlichen Einfluss« geschuldet sein dürfte, den er aufgrund seiner Verwandtschaft mit Marcello Lippi habe.

Deshalb fragt sich die Öffentlichkeit, ob durch den Nationaltrainer auch die Teilnahme Italiens an der WM in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Seinen Rücktritt fordert allerdings auch niemand. Und es fällt nicht ganz leicht zu glauben, dass der Mann, der acht Jahre lang während der zwölfjährigen Amtszeit Moggis den Club trainierte und fünf Meisterschaften, eine Champions League, einen nationalen Pokal und einen Weltpokal gewann, von Moggis Machenschaften nicht das Geringste gewusst haben soll. Auch in der Dopingaffäre hatte er kräftig seinen Club verteidigt.

Vor zwei Wochen, als Juventus zum 29. Mal die Meisterschaft errang, trat Moggi weinend ab. »Dieser Fußball ist nicht meine Welt«, sagte er. Dieser Meistertitel dürfte wohl ebenso aberkannt werden wie der aus dem Vorjahr. Zudem droht dem Verein Juventus, dessen gesamter Vorstand inzwischen zurückgetreten ist, der Zwangsabstieg in die Zweite oder gar die Dritte Liga. Das würde für den Club den Bankrott bedeuten. Juventus Turin ist mit zwanzig Millionen Fans einer der populärsten Fußballclubs der Welt, im vergangenen Jahr hat er 230 Millionen Euro erwirtschaftet. 80 Prozent des Gewinns kommen aus Fernsehrechten, von Sponsoren und der Champions League. Ohne diese Einnahmen wird er Gianluigi Buffon, Lilian Thuram, Pavel Nedved und all die anderen nicht bezahlen können.

Die derzeitigen Ermittlungen befassen sich mit den Jahren 2004 und 2005. Doch Moggis Management begann im Jahr 1994, als Umberto Agnelli aus der mächtigsten italienischen Unternehmerfamilie, der nicht nur Juventus, sondern auch der Automobilkonzern Fiat gehört, ihn zum Manager bestellte. Bislang weiß man nicht, wann das »System Moggi« geschaffen wurde. Auch ist unklar, ob und wie sehr die Agnellis in die Angelegenheit verwickelt sind. Wenn man deren Bedeutung gerade in der Stadt Turin kennt, drängt sich jedenfalls die Frage auf, ob die örtlichen Staatsanwälte und Richter in dieser Sache unabhängig arbeiten können.

Vielleicht werden diese und andere Fragen noch aufgeklärt, vielleicht auch nicht. Die Erfahrung aus anderen großen Skandalen in Italien aber lehrt, dass ein paar Leute bestraft werden, das ganze System aber unangetastet bleibt. Bei der Weltmeisterschaft werden wir die von Lippi geführte italienische Nationalmannschaft sehen, und selbstverständlich werden fast 60 Millionen Italiener »Forza Italia« schreien.