»Das beste Mittel für Betrug sind Wahlcomputer«

Tim Pritlove

Wer kann garantieren, dass George W. Bush bei seiner ersten Wahl in Flo­rida tatsächlich 537 Stimmen mehr erhielt als Al Gore? Dass im Jahr 2002 die SPD tatsächlich 6 027 Stimmen mehr errang als die CDU und infolgedessen beanspruchen konnte, den Bundeskanzler zu stellen? Dass Romano Prodis Mitte-Links-Bündnis den Vorsprung von 0,07 Prozent hatte, die genügten, um Silvio Berlusconi abzulösen? Könnten Wahlcomputer derlei Ungewissheiten verhindern?

Der »Diskordische Evangelist« Tim Pritlove vom Chaos Computer Club teilt diese Einschätzung nicht. In seinem Weblog »The Lunatic Fringe« ver­öffentlichte er einen Text mit dem ­Titel »Wahlcomputer müssen sterben!« Mit ihm sprach Daniel Kulla.

Nach der Diskussion über Wahlbetrug in Mexiko und vor den Wahlen im Kongo wird der Ruf nach »sicheren Wahlen« laut. Als Lösung gelten elektronische Mittel. Was halten Sie davon?

Technik kann dazu beitragen, Prozesse trans­parenter zu machen oder zu beschleunigen. Bei Wahlen stellt sich allerdings die Frage, ob die Anwendung elektronischer Mittel nicht zu Lasten der Überprüfbarkeit geht. Dass Firmen hierin ein Geschäft sehen, macht die Sache nicht sicher und zuverlässig. Allein der Begriff »Wahlmaschinen« ist irreführend. Die Funktion einer Brotschneidemaschine ist leicht ersichtlich, die Funktionen eines Computers kann heute nicht mal ein Heer von Mitarbeitern von Intel zuverlässig nachvollziehen. Niemand kann ernstlich garantieren, dass ein Computer bei einer Wahl das tut, was man von ihm erwartet.

Die Hersteller dieser Computer werben damit, dass sie den Vorgang vereinfachten, insbesondere bei schwierigen Verfahren wie dem Kumulieren oder Panaschieren, also der Stimmabgabe für einzelne Kandidaten einer Liste bzw. einzelne Kandidaten verschiedener Listen.

Grundsätzlich ist die Stimmabgabe mit einem Stift und einem Kreuz an Einfachheit kaum zu überbieten. Jeder kann einen Bleistift führen und weiß, wie das klingt und wie es sich anfühlt. Das Ergebnis ist für jeden über­prüfbar: ein Kreuz auf dem Papier. Und nicht nur der Wähler hat ein Feedback der Stimm­abgabe, sondern jeder kann sich in seinem Wahlkreis – wie es beim Lotto so schön heißt – »vom ordnungsgemäßen Ablauf« überzeugen. Beim Computer ist das völlig anders. Der Tastendruck erzeugt zwar ein Feedback, aber keine Bestätigung, dass die Eingabe wirklich zur Kenntnis genommen wurde. Die Maschine mag das vorgaukeln, überprüfbar ist es nicht.

Ließe sich dieses Problem nicht durch technische Verbesserungen beheben?

Sicherlich lassen sich Teile des Vorgangs noch verändern, aber was ist denn überhaupt das Problem? Der Vorgang ist doch schon stark reduziert: Man wählt eine Partei oder einen Kandidaten mit einem Zettel, komplexere Formen der Zustimmung sind nicht vorgesehen. Ist nun mit diesem System irgendwas kaputt, was mit Computern repariert werden muss? Nein, im Gegenteil, Zeit und Geld sind gut investiert, wenn es ein nachprüfbares Resul­tat gibt.

Vielleicht geht es aber nicht vorrangig um Vereinfachung für die Wählenden, sondern um eine Vereinfachung und Verbilligung.

Der Einsatz von Computern macht einen Vorgang nicht unbedingt billiger. Compu­ter ermöglichen Dinge, die es ohne sie nicht gäbe, zum Beispiel das Internet. Wahlen hingegen funktionieren auch ohne Computer. Dafür handeln wir uns eine neue Dimension von Manipulier­barkeit ein. Natürlich führen Stimmzettel zu geringen Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung. Wer aber das Gesamtergebnis beeinflussen will, muss an vielen Orten auf viele Menschen Druck ausüben, die wirklich etwas mitbekommen haben. Bei einem völlig digitalisierten Verfahren muss man gar keinen Druck ausüben, es reicht, auf die Technik zuzugreifen.

Der zuständige Ausschuss des rheinland-pfälzischen Landtages hat eine Klage gegen den Einsatz von Computern mit der Begründung abgewiesen, dass es sich bei der Manipulation um einen bloßen Verdacht handelt und keine verstärkte Begünstigung von Manipulation nach­gewiesen werden konnte.

Durch die Umfragen vor den Wahlen ist vom Computer recht genau bestimmbar, wo sich Manipulation dank knapper Entscheidungen leicht durchführen lässt, also wenn nur wenige Stimmen manipuliert werden müssen. Auf diese Art wird der bloße Verdacht zerstreut, und es kommt gar nicht erst zur Überprüfung. Das beste Mittel für Betrug sind Wahlcomputer. Geprüft werden die Computer in Deutschland von wenigen Mit­arbeitern der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, die sich gar nicht alle Komponenten vornehmen können. Von der Software ganz zu schweigen, die die Module dann ausliest, die Informationen weiterleitet, in Datenbanken überführt und schließlich das Ergebnis präsentiert. Überall können Fehler auftreten, da braucht es keine Absicht.

Ist es auch ein bisschen Affekt, wenn du als Nerd gegen den Einsatz von Com­putern auftrittst?

Ich sehe da keinen Widerspruch, da gerade der Chaos Computer Club von Anfang an unterschieden hat zwischen nützlicher und bedrohlicher Technik. Mit einem Baseballschläger kann ich Sport treiben oder Leute umbringen. Beim Computer ist nun nicht mehr jedem leicht begreiflich, wie Chancen und Risiken verteilt sind. Deshalb ist der Computerfreak in einer besonderen Verantwortung.

Kann die Möglichkeit von Betrug auch ohne Einsatz von Computern reduziert werden?

Es ist einfach kein technisches Problem. Ein systematischer Wahlbetrug, wie es ihn beispielsweise in Weißrussland gab, entsteht aus der gesellschaftlichen Situation. Gerade an dieser Möglichkeit der zentralen Kontrolle ändert sich durch Computer nichts.

Du warnst in deinem Blog davor, dass mit dem Einsatz der Computer auch Hacker zur Manipulation ermuntert werden.

Mit Hackern meine ich »Menschen mit hohem technischen Sachverstand«. Nehmen wir das Beispiel Spam-Mails, wo eine wechselseitige Aufrüstung stattfindet. Einerseits versucht man, sich dagegen zu schützen, auf der an­deren Seite locken die schnell verdienten beträchtlichen Geldbeträge junge technisch Sachverständige, Umgehungen zu finden. Diesen Mechanismus können wir aus der Demokratie nur raushalten, indem wir auf den Einsatz von Wahlcomputern verzichten.

Jenseits der parlamentarischen Prozedur werden derzeit auch die Möglichkeiten der direkten Demokratie im Internet diskutiert. Gibt es damit ähnliche Probleme?

Die Beteiligung aller über das Internet ist ein romantisches Bild. Doch es verlangt auch die maximale Offenlegung der Identität und der Entscheidung. Das jetzige Wahlsystem erlaubt die weit­gehend anonyme Stimmabgabe. Ich bezweifle, dass das im Internet auch garan­tiert werden kann. Es gibt nach fünfzehn Jahren noch immer keinen Bezahlstandard, an dem ja großes Interesse von allen Seiten besteht. Ich denke, vor den nächsten Schritten müssen wir Computer und Internet weiter ins Selbstverständnis der Gesellschaft einbeziehen. Das Internet ist ein Ort der Meinungsbildung. Gewählt werden sollte jedoch auf Papier.

Ist das noch das diskordische Denken, das sich in anarchistischer Weise über den Parlamentarismus lustig macht?

Mit der Wahl drücken wir das einzige dem Staatsbürger verliehene Recht in der Demokratie aus, nämlich darüber zu entscheiden, wer die Delegation erhält, politische Macht auszuüben. Die abgegebene Stimme ist der wertvollste Bestandteil der Demokratie. Diese Realität akzeptiere ich. Wenn diese Stimmabgabe nicht mehr überprüfbar ist, wird das Wesen der Demokratie zerstört.