Der große Graben

Trotz jüngster Erfolge bei den belgischen Kommunalwahlen bleibt dem rechtsextremen Vlaams Belang der Griff nach der Macht verwehrt. von korbinian frenzel, brüssel

Wie viele Länder gibt es in Belgien? Die Frage erscheint nach den Kommunalwahlen am vorletzten Sonntag berechtigt. Die Wahlergebnisse zeigen, wie tief das Land, das gerade mal zehn Millionen Einwohner zählt, gespalten ist.

Vor allem die Erfolge der rechtsextremen separa­tistischen Partei Vlaams Belang (VB) in den flämischen Gemeinden haben dabei die Aufmerksamkeit gerade auch des Auslandes erregt. Mit 20,8 Prozent der Stimmen bekam der VB im nördlichen Landes­teil Flandern rund sieben Prozentpunkte mehr als bei den Kommunalwahlen im Jahr 2000. In der sprachlich geteilten Hauptstadt Brüssel zogen die Rechtsextremisten in neun von 19 Bezirks­parlamenten ein. Im südlichen, frankophonen Landes­teil Wallonien war die Partei, die ein Ende der »Solidargemeinschaft« des reicheren Nordens mit dem ärmeren Süden fordert, konsequenterweise nicht angetreten. Der »Rechtsruck in Belgien«, von dem belgische wie internationale Medien nach der Wahl sprachen, war erneut in erster Linie ein Rechtsruck im Norden des Landes.

Mit dem bisher besten Ergebnis in seiner Parteigeschichte hat der VB, der 2004 aus der vom belgischen Verfassungsgericht verbotenen Partei Vlaams Blok hervorging, seine Präsenz weiter ausgebaut und ist nun in sieben lokalen Parlamenten im Norden des Landes die stärkste Kraft. Während der VB vor allem auf dem Land zugelegt hat, verharrte die Partei in den Städten jedoch weitgehend auf gleichem Niveau. In ihrer Hochburg Antwerpen mussten die Rechtsextremen gar eine Niederlage einstecken. Dort wurden sie von den Sozialisten überflügelt. Die Hoffnung des VB-Frontmanns und Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters, Philip Dewinter, ins Rathaus der zweitgrößten belgischen Stadt einzuziehen und damit den symbolischen Durchbruch zur Macht zu erreichen, erfüllte sich trotz eines Stimmenanteils von mehr als 33 Prozent nicht. »Belgien atmet auf«, titelte die französisch-sprachige Zeitung Le Soir, nachdem das Er­gebnis bekannt geworden war.

Insgesamt scheint der VB trotz seiner jüngsten Erfolge der Macht ferner denn je. Landesweit wird vermutlich trotz der zusätzlichen Mandate auch nach diesen Wahlen kein Politiker aus Reihen des VB in eine Exekutive einziehen. Politiker von den Grünen bis zu den Christdemokraten beteuerten in den vergangenen Tagen, dass sie an dem seit 1989 geltenden cordon sanitaire gegen die Rechten festhalten werden. In diesem parteiübergreifen­den Beschluss schließen die etablierten Parteien jedwede Kooperation oder Ko­alition mit den Rechtsextremen aus. »Wir werden mit dem Problem fertig, ohne den hohen Preis der Regierungsbeteiligung von rechtsextremen Demagogen zu zahlen«, erklärt Karel Tousseyn vom belgischen Außenministerium. Die »Methode Haider«, die kurzzeitig insbesondere in der liberalen Partei von Premierminister Guy Verhofstadt diskutiert wurde, sei vom Tisch.

Hoffnungsvoll blicken nun vor allem die Sozialisten auf Antwerpen und auf den erneuten Sieg des amtierenden Bürgermeisters Patrick Janssen. Mit einem Zuwachs von knapp 16 Prozent sicherte er seiner Partei erneut die Macht im Rathaus, dessen »Übernahme« erklärtes Ziel des VB im Wahlkampf gewesen war. Vor allem Janssens Erfolge als Bürgermeister und sein persönliches hohes Ansehen dürften den Aufstieg des Rechtsextremen Dewinter ver­hindert haben, vermutet Le Soir. »Er hat gezeigt, dass der Aufstieg des VB kein unaufhaltsames Schicksal ist«, kom­men­tierte das Blatt.

Eine Rolle dürften zudem der Schock über die rassistisch motivierten Morde in Antwerpen an einem afrikanischen Au-Pair-Mädchen und dem von ihr betreuten zweijährigen Kind im Mai gespielt haben. Die Tat war von einem Anhänger und Neffen einer Abgeordneten des VB begangen worden und hatte damals eine Debatte über die Folgen der ausländerfeindlichen Parolen der Partei ausgelöst. (Jungle World, 21/06)

Im kommenden Frühjahr wird in Belgien ein neues Parlament gewählt. Inwiefern die Kommu­nalwahlen als Stimmungstest für diese Wahl gelten, ist noch unklar. Eines zeigen die Ergebnisse der Kommunalwahlen jedoch deutlich: Bel­gien ist ein politisch gespaltenes Land. Während in Wallonien vor allem die Sozialisten in Folge von Korruptionsskandalen Stimmen verloren haben, sind die flämischen Liberalen von Premierminister Guy Verhofstadt die großen Verlierer im Norden. Dem VB werden für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr keine großen Sprünge zugetraut.

Verhofstadt stehen in den kommenden Monaten dennoch zahlreiche politische Auseinandersetzungen bevor, die sich immer wieder an der Trennlinie zwischen den rund vier Millionen französischsprachigen und den etwa sechs Millionen flämischen Belgiern entzünden und die schon kurz vor der Kommunalwahl beinahe zum Bruch der Koalition aus Sozialisten und Liberalen geführt hätten. Dau­er­themen sind dabei die finanziellen Transfers vom Norden in den Süden sowie die Frage des Status von Brüssel, die viele Flamen als »ihre« Stadt ansehen, wo aber 90 Prozent der Bewohner französisch sprechen. Nicht nur die Anhänger des VB, die Brüssel trotz frankophoner Mehrheit zur Hauptstadt eines unabhängigen Flandern machen wollen, stören sich an der zunehmenden Wallonisierung der Stadt.

Die Tageszeitung Metro hatte am Morgen nach der Wahl zumindest optisch schon erfüllt, was die Wahlsieger der belgischen Kommunalwahl vom VB seit Jahren fordern: eine Trennung Flanderns vom frankophonen Süden Belgiens. Auf den beiden Ausgaben der kostenlos an den U-Bahnhöfen Brüssels ausliegenden Zei­tung fand man Belgien geteilt. Auf der französischsprachigen Ausgabe war nur eine Grafik, die die Ergebnisse in Wallonien zeigte – in der flämischen Ausgabe konnte man nur über die Ergebnisse in den niederländischsprachigen Gebie­ten erfahren. Vom jeweils anderen Landesteil wurde nur in einer Randspalte berichtet, als hätte am selben Tag nur zufällig auch noch in einem anderen Staat eine Wahl stattgefunden.