Eine Blume im Knopfloch

Regierungsverhandlungen in Österreich

von heribert schiedel

Wie schon vor ihm Silvio Berlusconi und Gerhard Schröder fällt es auch dem österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel schwer, die Wahlschlappe zu akzeptieren. Überzeugt von der eigenen Grandiosität tut er so, als ob sich die Wähler am 1. Oktober geirrt hätten. Und so kündigte Schüssel nach den Wahlen an, die bisherige Politik ohne Abstriche fortsetzen zu wollen – mit wem auch immer. Seine Realitätsverweigerung trägt Züge von Cäsarismus und wird zunehmend zur Belastung für seine Partei ÖVP.

Aber noch scheint die ÖVP lieber in Neu­wah­len untergehen als Schüssel loswerden zu wol­len. Und so folgte der Parteivorstand am 30. Oktober einstimmig seinem Wunsch nach Abbruch der zuvor ohnehin nur halbherzig und widerwillig betriebenen Koalitions­verhandlungen mit der SPÖ. Der Anlass für diesen trotzigen Rückzug war leicht gefunden: Die SPÖ hatte wie angekündigt zu Beginn der neuen Legislaturperiode gemeinsam mit den Grünen und der FPÖ zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse zur Kontrolle der Bankenaufsicht und der Anschaffung von neuen Abfangjägern eingesetzt. Wegen dieses Vorgehens, das an sich nur ein Beispiel für par­teiübergreifenden Parlamentarismus darstellt – was in Österreich tatsächlich nicht alltäglich ist –, äußerte die ÖVP ihre Bedenken gegenüber einer Dreierkoalition (SPÖ-FPÖ-Grüne).

Dies tat ausgerechnet jene Partei, die zwei Mal die rechtsextreme FPÖ in die Regierung hievte und es entgegen ihrem Wahlversprechen nun auch ein drittes Mal tun wollte. Anhand der Reaktionen von Schüssel und seiner Parteifreunde auf diesen »parlamentarischen Affront« wird deutlich, wie sehr sich in sechs Jahren autoritärer Wende die Exekutive bereits verselbständigt hat.

Kehrt die ÖVP dem Druck der Medien und des Bundespräsidenten Heinz Fischer zum Trotz nicht an den Verhandlungstisch zurück, wird es angesichts fehlender Alternativen wohl zur Bildung einer Minderheitsregierung der SPÖ und dann zu baldigen Neuwahlen kommen. Jedoch will niemand den Eindruck erwecken, an einer neuerlichen Wahl schuld zu sein. Das gilt gerade für die ÖVP, deren Umfragewerte nach den Wahlen ohnehin weiter gesunken sind. Darum wird sie früher oder später ihre »staatspolitische Verantwortung« wieder entdecken. Tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass mit dem Abbruch der Gespräche nur der Preis für eine allseits gewünschte »stabile Regierung« weiter in die Höhe getrieben werden soll.

Auch ein Blick auf die jüngere Vergangenheit macht für die ÖVP ein Nachgeben ratsam. Nach dem Ende einer von der FPÖ tolerierten mehrmonatigen SPÖ-Minderheitsregierung fuhren die Sozialdemokraten im Jahr 1971 einen fulminanten Wahlsieg ein und regierten in den folgenden zwölf Jahren mit absoluter Mehrheit.

Den Preis für die zumindest vorübergehende Duldung einer derartigen Minderheitsregierung durch die FPÖ scheint die SPÖ auch diesmal zahlen zu wollen. Der Vorsitzende der FPÖ, Heinz-Christian Strache, plauderte offenherzig über die gute Atmosphäre in den Gesprächen mit dem SPÖ-Vorsitzenden Alfred Gusenbauer. Und der SPÖ-Fraktionsführer, Josef Cap, ahmt bereits die Konservativen nach, indem er Stra­che als »demokratisch gewähltes Mitglied des Nationalrates« verharmlost. Schließlich empörte sich auch niemand aus der SPÖ, als die FPÖ-Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung des Nationalrates mit der blauen Kornblume im Knopfloch aufmarschierten. Dabei war sie das Erkennungszeichen der ab 1933 illegalen Nationalsozialistischen Partei.