Bayern. CSU. Die Partei.

Das Konzept war einfach: in Bayern regieren, im Bund opponieren.
Doch das bayerische Einparteiensystem ist in die Krise geraten.
Schuld daran ist nicht nur Edmund Stoiber. von philipp steglich

Alle Welt befindet sich im Skiurlaub, verdaut die Weihnachtsgans oder ist damit beschäftigt, die neuen guten Vorsätze peu à peu wieder aufzugeben. Der Jahresanfang dient im allgemeinen dazu, die Kraftreserven wieder aufzufüllen. Nur die CSU macht da eine Ausnahme und zerfleischt nach der Weihnachtsgans auch sich selbst.

Der Auslöser der heftigen Personaldebatte war die Spitzelaffäre um Gabriele Pauli (Jungle World, 1/07). Wir erinnern uns: Michael Höhen­berger, ein Vertrauter Stoibers und Beamter der Bayerischen Staatskanzlei, erkundigte sich nach etwaigen Männerbekanntschaften und Alkohol­problemen der Fürther Landrätin. Als sie dies erfuhr und publik machte, wurde er von seinem Posten abberufen.

Seither bestimmen Paulis Wortmeldungen die politische Diskussion im Freistaat Bayern. Erst forderte sie eine Urwahl, um den nächsten Kandidaten der CSU für das Ministerpräsidentenamt zu bestimmen, dann warf sie Stoiber vor, mit Frauen in der Politik ein Problem zu haben, und verwies auf seinen Umgang mit Bun­deskanzlerin Angela Merkel und mit ihr selbst. Das Erstaunliche dabei ist: Pauli wurde bisher weder geteert noch gefedert. Ein Hauch von Glasnost weht durchs Alpenvorland. Und die CSU setzt sich mit Verve über Allgemeinplätze auseinander.

Denn die beklagte Frauenfeindlichkeit hat die Partei bisher keineswegs als Makel empfunden, sondern klammheimlich als Markenzeichen verstanden. Natürlich hat die CSU immer noch das »traditionellste Familienverständnis«, wenn man so die Pflicht, das Leben zwischen Kindern, Küche und Kirche zu verbringen, beschreiben möchte. »Laptop und Lederhose«, der bayerische Slogan für die Ver­einbarkeit von moderner Arbeitswelt und Tradition, gilt ausdrücklich nicht für Dirndlträgerinnen.

Darüber kann auch die prompte Solidaritäts- und Ehrenerklärung hochrangiger Parteikolleginnen nicht hinwegtäuschen. Sie, die schreiben, die »Behauptung von Frau Pauli zur Stellung und Förderung der Frauen in der CSU« gehe »völlig an der Realität vorbei«, dürf­ten ihre Posten fast ausschließlich unter Edmund Stoiber erhalten haben und ihm entsprechend dankbar sein. Ohnehin ist der ja nicht allein an allem schuld. Wer ihm selbst zu nahe kam, wurde abgedrängt, ob Frau, ob Mann. Ansonsten handelt es sich um ein Struk­turproblem der Partei. Es sei daran erinnert, dass die erste Ministerin in Bayern, Mathilde Berghofer-Weichner, erst vor zwanzig Jahren, 1986, vereidigt wurde. Sie bekam das Ressort Jus­tiz.

Die CSU, die immerhin schon seit 1957 regiert, hat sich an einigen maßgeblichen gesellschaftlichen Verände­rungen der vergangenen Jahrzehnte erfolgreich vorbeigemogelt. Das könn­te daran liegen, dass sie zum einen eine intelligente Arbeitsteilung mit der CDU pflegte und sich zum anderen permanent in ­einem simulierten Aufstand befand.

Franz Josef Strauß verkör­perte das Prinzip in seiner Zeit als bayerischer Ministerpräsident. Beinahe gegen alles, was die schwarz-gelbe Koalition in Bonn unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) – durchaus auch mit den Stimmen der CSU – beschloss, opponierte er von München aus. Das Aufbäumen gegen die vermeintliche Zentral­regierung in Bonn traf das Lebensgefühl der Bayern, die sich gegenüber den Deutschen tra­ditionell benachteiligt fühlen wie die Franken und Schwaben sich ihrerseits gegen­über den Altbayern. Weil es um Gefühle geht, vor allem das des Zu-kurz-Kommens, war die Politik der CSU so erfolgreich. Noch heute wird aus den Schmähungen der aus­ufernden europäischen Bürokratie in Brüssel dieselbe Lust gezogen.

Stoiber hat anfangs verstanden, dies für sich zu nutzen. Als Theo Waigel Vorsitzender der CSU und zugleich in Bonn unter Kohl Finanzminister war, bildeten die beiden, mögen ihre persönlichen Animositäten noch so groß gewesen sein, ein formidables bayerisches Team aus good guy und bad guy. So führte Waigel etwa die Verhandlungen zur Einführung des Euro, während Stoiber sich um die Erhaltung der Deutschen Mark sorgte. Als Wähler der CSU konnte man für und gegen die Bundespolitik zugleich sein.

Warum das nicht mehr funktioniert? Da Stoiber weder jemanden über noch neben sich duldet, weder in Berlin noch in München, muss er beide Rollen spielen. Er tut das seit dem vergangenen Sommer vor allem bei der Gesundheitsreform: Dem Kompromiss der Großen Koali­tion stimmt er in Berlin zu, um nur wenig später, von München aus, alles in Frage zu stellen und als nicht hinnehmbar zu kritisieren. Seit Monaten fragt man sich, ob Stoiber an einer Persönlichkeitsspaltung leidet. Dabei kann er gar nicht anders, er muss notgedrungen beide Rollen spie­len, weil er keinen parteiinternen Gegenspieler auf Bundesebene hat. Die Personaldiskussion dieser Tage, bei der man auch über eine erneute Trennung des Parteivorsitzes vom Amt des Ministerpräsidenten nachdenkt, hat genau darin ihren Ur­spung.

Mit Stoiber hat die CSU es geschafft, sich aus dem Sumpf der wirklich großen zeitgenössischen Skandale herauszuarbeiten – zumindest wird nichts dergleichen bekannt. Damit hat sie aber auch entschieden an Glamour verloren. Denn wie ein Franz Josef Strauß seine Stellung schamlos ausnutzte, um Aufträge für sich und seine Spezln an Land zu ziehen, das empörte seine Wähler nicht, es nötigte ihnen vielmehr Respekt ab. Schließlich starb der Metzgersohn als Millio­när.

Noch heute gilt das Wort des Künstlers Herbert Achternbusch: »In Bayern sind 60 Prozent der Bevölkerung Anarchisten. Und die wählen alle CSU.« Denn so sehr die Wähler der Partei nach Autorität dürs­ten, sie haben auch rebellische Züge. Das führt natürlich zu paradoxen Situa­tionen, etwa wenn man im Bierzelt gegen die vermeintlich laxe Drogen­po­li­tik geschimpft hat und dann kollektiv besoffen nach Hause fährt. Das ist das Fas­zinierende an Bayern und dem Phänomen der CSU.

Aber nicht nur dem eindimensionalen Stoiber gelingt es nicht mehr, dem Klischee gerecht zu werden. Auch die Partei ist in die Krise geraten, da sie als erklärte Volkspartei alle Wählerschichten gleichermaßen vertreten will, »Markt­weiber und Generaldirektoren«, wie es Franz Josef Strauß formulierte. Die Zeiten sind seit dem Mauerfall auch in Bayern komplizierter geworden, und der CSU fehlt es an politischen Ideen, wie man zum Beispiel auf den Niedergang des industriellen Sektors reagieren soll.

Seit der Wende hat sich die bayerische Wirtschaftspolitik darauf beschränkt, das Volksvermögen zu verpulvern, also Privatisierungserlöse aus Industriebetei­ligungen in Großprojekte zu stecken. Weil nun das Geld alle ist, aber keine langfristigen wirtschaftlichen Erfolge sichtbar geworden sind, musste die Regierung Stoiber den ausgeglichenen Haus­halt zum neuen selig machenden Ziel erklären. Und auf der Tagung in Wildbad Kreuth, die in dieser Woche stattfindet, wird wohl darüber diskutiert werden, ob man wirtschaftsliberaler oder doch sozialpolitischer werden will.

Wegen der Personalentscheidungen muss man derweil nicht bange sein, Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Edmund Stoiber hat in der vorigen Woche Gabriele Pauli den lange verweigerten Gesprächstermin zugestanden.